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107 Zittauer wollen in den Stadtrat - trotz zuletzt vieler unpopulärer Entscheidungen

Obwohl zum Sparen verdonnert, hat die Stadt Zittau die vergangenen Jahre Millionen Euro in die Infrastruktur investieren können. Welche Aufgaben unter anderem noch vor ihr liegen.

Von Thomas Christmann
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Blick auf das Zittauer Rathaus: Dort tagt fast jeden Monat der Stadtrat. Der wird im Juni neu gewählt.
Blick auf das Zittauer Rathaus: Dort tagt fast jeden Monat der Stadtrat. Der wird im Juni neu gewählt. © Archivfoto: Matthias Weber/photoweber.de

Zittaus Stadtrat könnte künftig bunter werden. So treten am 9. Juni 107 Kandidaten für elf Parteien und Wählervereinigungen an - und damit mehr als zur Kommunalwahl vor fünf Jahren. Die meisten Frauen und Männer schickt mit 20 Bewerbern die AfD ins Rennen, welche aktuell die zweitstärkste Fraktion im Gremium bildet. Zu vergeben sind 25 Plätze.

Erstmals treten in Zittau die vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften Freien Sachsen mit Personen wie Torsten Sameiske von der Zittauer Schmalspurbahn oder Handwerker Daniel Arbogast an. Letzterer randalierte bei einer Schüler-Impfaktion am Beruflichen Schulzentrum im September 2021 derart, dass die Polizei kommen musste. Das Amtsgericht verurteilte ihn dafür zu einer Geldstrafe.

Ebenfalls neu auf der Wahlliste ist das Bündnis Sahra Wagenknecht. Dafür stellen sich zwei Kandidaten auf, die bisher anderen Parteien angehörten. Zum einen Ex-Stadt-Justiziar Horst Schiermeyer, der seit der Gründung 1980 Mitglied der Grünen war. Er stehe zwar nach wie vor zu deren Grundsätzen "ökologisch, sozial, basisdemokratisch, gewaltfrei". Seine alte Partei stehe aber laut ihm nicht mehr für eine gewaltfreie Lösung von Konflikten. Statt internationaler Kooperation sei die Parole Krieg, Aufrüstung und verschärfte Konfrontation, so Horst Schiermeyer. Das Bündnis stehe hingegen dafür und sei daher nicht nur pazifistischer, sondern letztlich ökologischer.

Der andere Kandidat ist Winfried Bruns, der im Januar die Linken verließ und seither als Fraktionsloser im Stadtrat sitzt. Die Gründe: Während auf bundesweiter Ebene für ihn eine aktive Friedenspolitik seiner alten Partei immer weniger sichtbar gewesen ist, führte auf kommunaler die tolerierte Sparpolitik Zittaus zum Austritt. Für sein sozialpolitisches Engagement sieht er im Bündnis Sahra Wagenknecht nun eine Basis.

Politisch neu orientiert haben sich auch andere Stadträte. Dazu gehört Klaus Reepen, der statt für die CDU nun für die FUW antritt. Die Partei sei für ihn nicht mehr wählbar, sagt er. So habe diese erst zu Regierungszeiten den Atomausstieg forciert, um sich nun in der Opposition für die Kernenergie starkzumachen. Zudem wolle sich die CDU die Option offen halten, nach der nächsten Bundestagswahl mit den Grünen zu koalieren. "Das kann ich mit meinem Gewissen nicht mehr vereinbaren", meint Klaus Reepen.

Der CDU-Gemeindeverband Zittau habe gegen seinen Austritt auch nicht opponiert, wie der Vorsitzende und Stadtrats-Kollege Dietrich Glaubitz mitteilt. Man wolle bis zum Ende der Wahlperiode möglichst geräuschlos zusammenarbeiten.

Ebenfalls für die FUW kandidiert Jörg Gullus, der im Stadtrat bisher die FDP vertritt - wenn auch nicht als Mitglied. Über die Gründe schweigt er. Die FDP versucht nun mit anderen Kandidaten in Zittau ins Gremium einzuziehen wie den Bürgerpreis-Trägern Sabine und Steffen Ridder von Kriseninterventionsteam des Landkreises Görlitz.

Was hinter dem Stadtrat liegt

Die Debatten im Stadtrat waren in der aktuellen Wahlperiode vor allem von einem Thema geprägt: den Finanzen. In den ersten Jahren kam es zudem noch zu Lagerbildungen von Befürwortern und Gegnern der gescheiterten Kulturhauptstadt-Bewerbung Zittaus für 2025, die laut Oberbürgermeister Thomas Zenker (Zkm) tiefe Gräben hinterließen. Ein Ende fanden die Diskussionen erst, als die Stadt unter anderem einen Bürgerfond einrichtete - um Ideen der Einwohner zu unterstützen. Das Geld dafür stammt vom Freistaat, der damit den Nachfolge-Prozess der Bewerbung unterstützte.

Nachdem zwischenzeitlich die Corona-Pandemie andere Schwerpunkte gesetzt hatte, blieben die finanziellen Sorgen Zittaus. Um das Millionen-Loch zu stopfen, suchte die Stadt nach Einspar- und Einnahme-Möglichkeiten. Mit dem selbst auferlegten Haushalts-Konzept beschloss der Stadtrat beispielsweise 2023 höhere Gebühren für Turnhallen und weniger Zuschüsse für Schwimmvereine. 2024 stiegen erneut die Eltern-Beiträge für die Kita, wonach beispielsweise ein Vollzeit-Krippenplatz pro Monat 230 statt 220 Euro kostet. Seit diesem Jahr zahlen auch Anwohner für das Parken in der Innenstadt mit 60 Euro nun doppelt so viel wie bisher. Hinzu kamen höhere Gebühren für das Stadt-Archiv.

  • Mehr als 23.000 Menschen aus Sachsen haben an der Umfrage von Sächsischer Zeitung und Leipziger Volkszeitung teilgenommen. Entwickelt und ausgewertet wurde der Sachsen-Kompass unter wissenschaftlicher Begleitung und in Kooperation mit der Agentur "Die Mehrwertmacher". Dabei wurde darauf geachtet, dass die Ergebnisse belastbar sind. Wo es aus kleinen Orten/Stadtteilen nicht ausreichend Antworten für belastbare Aussagen auf Gemeinde-/Stadtteilebene gab, wurden Nachbargemeinden teils gemeinsam ausgewertet. Alle Ergebnisse finden Sie auf saechsische.de/sachsenkompass

Als "teilweise unpopulär, aber dringend notwendig", beschreibt Thomas Zenker die Entscheidungen. Dazu gehört auch die Schließung der Schwimmhalle Hirschfelde, nachdem eine für den Weiterbetrieb gegründete Bürgerinitiative der Stadt bis Ende 2023 kein schlüssiges Betreiberkonzept vorlegen konnte.

Auf der anderen Seite hat Zittau auch Millionen Euro in die Infrastruktur investieren können - dank Krediten und Fördermitteln. Davon zeugen beispielsweise die sanierte Äußere und Innere Weberstraße sowie Amalienstraße. Die Kitas "Bummi" in Hirschfelde, "Schwalbennest" in Dittelsdorf, "Querxenhäusl" und "Blumenkinder" in Zittau sind ebenso saniert wie die Turnhallen an der Lisa-Tetzner-Straße und Weinau-Schule. Andere Bauprojekte laufen aktuell oder sind in Vorbereitung: Teuerstes bleibt der Anbau der Parkschule, der Ende des Jahres fertig sein soll. Zu den größeren Posten 2024 gehören der Ausbau der Böhmischen Straße und Eckartsberger Straße. Vorigen Monat startete der Bau des Kreisverkehrs an der Goldbachstraße. Und für den Ausbau des nächsten Abschnitts der Südstraße ab 2025 hat die Stadt den Weg bereits geebnet.

Was vor dem Stadtrat liegt

Zittau ist finanziell gesehen auf einem guten Weg. Das Spar-Konzept hat die Stadt zu über 80 Prozent umgesetzt und könnte schon 2025 einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen. Die Folge: Kredite sind einfacher zu bekommen, Zittau kann sich wieder mehr leisten. Schon seit Jahren sinkt die Pro-Kopf-Verschuldung, die zuletzt bei knapp 657 Euro lag - obwohl die Zahl der Einwohner ebenfalls rückläufig ist.

Dabei will Zittau attraktiver werden, um wieder mehr Menschen in die Stadt zu locken. Der Schlüssel dafür sind laut Thomas Zenker Bildungsangebote, Gesundheitswesen und Kultur - Standortfaktoren für Familien. Fachkräfte würden schon jetzt von vielen Firmen und Organisationen gesucht, sagt er. Einige Unternehmen hätten sich darüber hinaus neu angesiedelt oder erweitert. Davon zeugen die fast vollen Gewerbegebiete. Für weitere größere Betriebe fehlen der Stadt die Flächen. Die sollen einmal in Zittau-Ost entstehen. Das Wohngebiet hat die Stadt zum Rückbaugebiet erklärt. Die Großvermieter Wogeno und Wohnbau werden weitere Blöcke abreißen - und damit zugleich ihren Beitrag gegen den Wohnungsleerstand leisten. Die Stadt will an der Stelle ein nachhaltiges Gewerbegebiet schaffen. Betriebe sollen unter anderem vorhandene Infrastrukturen nutzen, ebenso sind Fotovoltaikanlagen geplant.

Überhaupt will Zittau widerstandsfähiger gegenüber den Veränderungen des Klimas werden und sich zu einem grünen Musterort entwickeln. Dahinter steht die von Unternehmern eingebrachte Idee zu "Green Zitty 2032+". Dabei arbeiten Wirtschaft und Wissenschaft an klimafreundlichen, ressourcenschonenden und energetischen Maßnahmen, um eine beispielhafte Stadt der Zukunft zu entwickeln. Am Ende soll eine Bewerbung für die Landesgartenschau im Zeitraum 2030 bis 2035 stehen. Im ersten Schritt muss eine Machbarkeitsstudie her, mit der sich der neue Stadtrat befassen wird.

Eine weitere Aufgabe für die nächsten Jahre stellt die Entwicklung des Zentrums dar. Das ist nach Angaben der Wirtschaftsförderung noch von einer guten Sortimentsvielfalt und inhabergeführten Fachgeschäften geprägt. Auf der Situation ausruhen kann und will sich die Stadt nicht. Der Online-Handel nimmt zu, die Kaufkraft sinkt und der Generationswechsel für die Laden-Betreiber gestaltet sich schwierig. Das für den Schutz der Innenstadt beschlossene Einzelhandelskonzept ist inzwischen veraltet, das den Verkauf bestimmter Waren außerhalb des Zentrums verbietet. Die damit verbundene durchgesetzte Schließung von Pfennigpfeiffer und der unfreiwillige Rückzug von Edeka haben zudem Kritik bei Händlern und Einwohnern hervorgerufen. Mittlerweile ist ein neues Konzept in Arbeit, über das der künftige Stadtrat entscheiden muss.

Das sind die Kandidaten für Zittau*:

Alternative für Deutschland (AfD)

  • Jörg Domsgen (1966), Wirtschaftsberater
  • Frank Figula (1968), Immobilienmakler
  • Steffen Kern (1972), Altenpfleger
  • Sabine Fiedler (1967), Kinderkrankenschwester
  • Andreas Wiesner (1960), Elektromonteur
  • Janine Dölle (1983), Selbstständig in der Gastronomie
  • Doreen Roman (1978), Gastwirtin
  • Steffen Glaser (1963), Angestellter
  • Maria Richter (1956), Freiberuflerin
  • Uwe Techt (1976), Mitarbeiter Sozialwesen
  • Janet Schröter (1976), Medizinisch-technische Laborassistentin
  • Frank Lobstedt (1965), selbstständiger Sicherheitsberater
  • Beate Grund (1963), Diplom-Ökonomin
  • Hans-Georg Weber (1964), Selbstständiger
  • Dagmar Lobstedt (1968), Assistenz Altenpflege
  • Mario Piontek (1971), Busfahrer
  • Tilo Schwalbe (1972), freiberuflicher Künstler- und Kulturvermittler
  • Frank Gottfried Ebermann (1978), Karosserie- und Fahrzeugbauer
  • Wolfgang Voigt (1952), Pensionär
  • Robert Thieme (1983), Sozialpädagoge

20 Kandidaten