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500 Euro mehr im öffentlichen Dienst: Wirtschaft schockiert

Wirtschaftsvertreter in Zittau, Görlitz und Niesky schütteln den Kopf über die Verdi-Forderungen. Und sie räumen auf mit einem Argument, warum die Tarifsteigerung angeblich so hoch ausfallen muss.

Von Frank-Uwe Michel
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Die Gewerkschaft Verdi fordert für Beschäftigte im öffentlichen Dienst 10,5 Prozent, mindestens aber monatlich 500 Euro mehr in der Lohntüte. Ist das aus Sicht der Wirtschaft realistisch?
Die Gewerkschaft Verdi fordert für Beschäftigte im öffentlichen Dienst 10,5 Prozent, mindestens aber monatlich 500 Euro mehr in der Lohntüte. Ist das aus Sicht der Wirtschaft realistisch? © dpa/Bodo Marks

10,5 Prozent mehr Gehalt, mindestens aber 500 Euro jeden Monat zusätzlich im Portemonnaie. Das sind die Forderungen, mit denen die Gewerkschaft Verdi die Tarifverhandlungen für die Beschäftigten des Bundes und der Kommunen begonnen hat. Auf die Frage, warum die Erhöhung so groß ausfallen müsse, ist immer wieder ein Satz zu hören: Die Beschäftigten würden sonst in besser zahlende Unternehmen abwandern. Verbandsvertreter der Wirtschaft im Landkreis Görlitz sind verwundert ob dieser Argumentation. Und widerlegen das anhand eigener Erfahrungen.

"Wenn wir uns über dieses Thema unterhalten - die Unternehmer winken ab", sagt Matthias Schwarzbach. Er kann seinen Unmut nur schwer verbergen. "Das ist eine Größenordnung, die keiner mehr versteht." Dabei wolle er nicht auf die Beschäftigten schimpfen, die im öffentlichen Dienst ihre Arbeit tun, betont der Chef der Industrie- und Handelskammer Zittau. Aber: "Die Firmen haben aktuell mit vielen anderen Problemen zu tun. Die können über solche Forderungen nur den Kopf schütteln", nimmt er kein Blatt vor den Mund. Strom, Gas, Mindestlohn, Lieferketten, Transport - "das Geld muss erstmal verdient werden, ehe es ausgegeben werden kann." Die Wirtschaft sorge für den größten Teil des Steueraufkommens. Und damit der Gehaltserhöhungen, die an den öffentlichen Dienst gezahlt werden sollen.

Nach Schwarzbachs Einschätzung dreht die Gewerkschaft damit an der Inflationsschraube. Er fordert deshalb Augenmaß. "Wir wissen alle, wie die öffentlichen Haushalte unter den aktuellen Belastungen stöhnen. Zum Beispiel wendet der Landkreis Görlitz mehr als 60 Prozent seines Budgets für Sozialleistungen auf." In dieser Situation die Zahl 500 überhaupt ins Spiel zu bringen, das sei Wahnsinn, völlig unverhältnismäßig, so Schwarzbach. Wobei sich der Ostritzer zweifellos auch als "Nestbeschmutzer" fühlt. Jahrelang war Schwarzbach selbst im öffentlichen Dienst und kennt die Höhe der Gehälter, die dort gezahlt werden. "Es ist ja nicht so, dass die Leute am Hungertuch nagen. Und, dass die Wirtschaft hier im Landkreis höhere Löhne zahlt? Ich bezweifle das."

Tatsächlich ergibt sich bei den Brutto-Einkommen in den verschiedenen Branchen ein differenziertes Bild. Die Agentur für Arbeit gibt zum Jahresende 2022 für den Agenturbezirk Bautzen das Mediangehalt - also das mittlere Einkommen der Beschäftigten einer Berufsgruppe - für die öffentliche Verwaltung mit 3.609 Euro an. Damit liegen die Beschäftigten dort im erweiterten Spitzenfeld. Angeführt wird die Rangliste vom Bereich Erziehung und Unterricht. Dort liegt der Mittelwert bei 4.774 Euro. Gefolgt von Beschäftigten der Energieversorgung (4.333 Euro) sowie Finanz- und Versicherungsdienstleistern (4.219 Euro). Den letzten Platz belegt das Gastgewerbe mit 1.798 Euro, nur wenig mehr kassieren Mitarbeiter in Land- und Forstwirtschaft (2.085 Euro). Auch im Handel und bei Kfz-Werkstätten fällt das Gehalt eher dürftig aus: Im Mittel werden hier 2.282 Euro gezahlt. Selbst das verarbeitende Gewerbe - also das Gros der Produktionsbetriebe - kommt nur auf 2.561 Euro.

"Der öffentliche Dienst reitet der Wirtschaft davon"

Matthias Schwarzbach zieht einen Vergleich zu seinen Mitarbeitern bei der IHK. "500 Euro - das wären hier in den unteren Gehaltsgruppen Lohnsteigerungen um etwa 25 Prozent." Natürlich gebe es in manchen Unternehmen auch Ausreißer nach oben. "Ein guter Ingenieur kann auch in unserer Region schon mal 4.000 Euro oder mehr verdienen." Insgesamt aber beschreibt der Zittauer IHK-Chef die Gehaltssituation so: "Im Landkreis Görlitz reitet der öffentliche Dienst der Wirtschaft davon."

Ganz so offensiv geht Frank Großmann, Chef der IHK in Görlitz, nicht mit dem Thema um. Tarifautonomie, meint er, sei eines der höchsten Güter in der Bundesrepublik. Aber ja: Auch er spricht vom Geld der Steuerzahler - und damit der Wirtschaft - das bei diesem Gehaltssprung ganz massiv an die Beschäftigten im öffentlichen Dienst fließen würde. Dass die Unternehmen im Kreis besser zahlen, hält er für ein Gerücht. "Das mag in den Ballungsräumen stimmen. Aber hier ganz sicher nicht." Ausnahmen wie Siemens oder Alstom mal ausgenommen.

Großmann hat in dem Tarifpoker, dem Hin und Her der verschiedenen Seiten, längst ein anderes Phänomen entdeckt: "Es geht um Köpfe. Um finanzielle Sicherheit, Arbeitsbedingungen." Die sogenannte Work-Live-Ballance. "Die Menschen werden immer weniger. Es bleibt aber die Arbeit, die gemacht werden muss." In diesem Wettbewerb hätten kleine und mittlere Firmen im Landkreis Görlitz eher schlechte Karten. "Ich kenne Beispiele, wo Mitarbeiter aus Betrieben in die Behörde gewechselt sind."

Roland Jäkel ist bei den Verdi-Forderungen regelrecht angefressen. Allein um die Höhe geht es ihm nicht. "Was mich stört ist, dass sich diese Summen gar nicht objektiv bewerten lassen. Wir wissen ja nicht, auf welche Basis sie sich beziehen", schimpft der Vorstandsvorsitzende des Unternehmerverbandes Niederschlesien, der in Jänkendorf selbst eine Firma betreibt. Sicherlich gebe es auch im öffentlichen Dienst die unteren Gehaltsgruppen, bei denen Gehaltssteigerungen gerechtfertigt seien. Aber auch die höheren. "Pauschal mindestens 500 Euro mehr für jeden Beschäftigten zu fordern, finde ich völlig überzogen."

Erschwerend kommt Alterspyramide hinzu

Zur Gefahr, Mitarbeiter würden aus der Behörde in die Wirtschaft wechseln, winkt er nur ab. "Auch ich habe schon Personal an die öffentliche Hand verloren. Da spielt zum einen das Geld eine Rolle. Aber auch die Arbeitsbedingungen. Die sind in den Betrieben eben manchmal auch mit 'rollender Woche' oder anderen Dingen verbunden, die nicht jedem passen." Deshalb sei der öffentliche Dienst als Arbeitgeber jetzt schon attraktiv. Und Konkurrent, wenn es um das Besetzen freier Stellen gehe.

Unter den Handwerkern im Kreis wird neben der hohen Verdi-Forderung auch ein anderes Problem diskutiert, das die Gesamtsituation noch verschärft: die Alterspyramide der Bevölkerung zwischen Zittau, Görlitz und Niesky. "Sie kippt", sagt Daniel Siegel, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft. Für Handwerksbetriebe werde es immer schwieriger, geeignetes Personal zu finden. Der Verwaltungsapparat, so seine und die Auffassung vieler Firmenchefs, blähe sich dagegen auf. Mit 500 Euro mehr in der Tasche werde die Arbeit in den Behörden noch attraktiver. Und die Schere zu den Handwerksbetrieben klaffe immer weiter auseinander.