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Der "Orchideen-Flüsterer" von Waltersdorf

Seit 60 Jahren widmet sich Reinhold Queisser den blühenden Exoten mit der unvergleichlichen Farbenpracht. Damit sie gedeihen, pflegt er ein tägliches Ritual.

Von Frank-Uwe Michel
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Reinhold Queisser in seinem Gewächshaus. Hier pflegt er etwa 500 Orchideen.
Reinhold Queisser in seinem Gewächshaus. Hier pflegt er etwa 500 Orchideen. © Matthias Weber/photoweber.de

Wer Reinhold Queisser in seinem Waltersdorfer Grundstück sucht, muss nur den Weg zu seinem Gewächshaus finden. "Das ist mein zweites Wohnzimmer", sagt der 83-Jährige lachend. Hier hegt und pflegt er das, was ihm - natürlich außer seiner Familie - am liebsten ist: Orchideen. Etwa 500 Exemplare sind es aktuell. Im vorigen Jahr waren es noch ein paar mehr, doch eine Krankheit hat etliche Pflanzen dahingerafft. Queisser gilt als das Urgestein der Orchideenliebhaber in der Region, hat vor 50 Jahren die Gründung des Vorläufers des heutigen Lausitzer Orchideenbundes initiiert. 35 Jahre war er selbst Chef.

Doch jetzt, im Alter, ruhiger werden? Der Waltersdorfer winkt energisch ab. "Diese Blumen begeistern mich so sehr, dass ich nicht davon lassen kann." Dabei war gar nicht abzusehen, dass Queisser den bunten Blühwundern verfallen würde. "Ich hatte einen Arbeitskollegen, der war schon damals Feuer und Flamme für Orchideen", erinnert er sich. Sie zu bekommen war in der DDR jedoch äußerst schwer. Und eine Frage des Geldes. "Im Verhältnis zum Verdienst, den ich damals auf dem Bau als Maler bekam, war so eine Pflanze schon ziemlich happig." Als Freundschaftsdienst begleitete er seinen Kollegen zu einem Gärtner in Berlin. "Dort habe ich mir die erste Orchidee zugelegt. Aber eher als Gag. Denn ich dachte, die geht sowieso irgendwann wieder ein."

Als sich das gute Stück widerstandsfähiger zeigte als angenommen - und sogar blühte, war Reinhold Queissers Interesse geweckt. Er erkundigte sich, besorgte sich Literatur und versuchte, weitere Exemplare zu bekommen. Doch so einfach war das nicht. Orchideen gab es kaum in der DDR. "Ich brauchte ein paar Jahre, bis ich die ersten zehn zusammen hatte", weiß er noch ganz genau. Dabei ist die Artenvielfalt riesig. In der Natur gibt es etwa 35.000 Arten. Von Züchtern wurden bis jetzt rund 150.000 Hybriden - also Kreuzungen - geschaffen. "Da gibt es immer Pflanzen, die noch erstrebenswert sind", sagt Queisser und lächelt.

Als sich in den 1970er Jahren im Raum Zittau ein paar Gleichgesinnte fanden, wurde aus den Einzelkämpfern eine Gruppe. Man besuchte sich, tauschte Erfahrungen aus, die eine oder andere Orchidee fand einen neuen Besitzer. 1974 wurde beim damaligen Kulturbund die Fachgruppe Orchideen aus der Taufe gehoben, mit vier Gründungsmitgliedern aus Löbau, Görlitz, Horka - und eben Reinhold Queisser. Bis zur Wende stieg die Zahl der Interessenten auf 34 an, danach nahm sie wieder rapide ab.

Auch die Liebhaberei selbst veränderte sich rasant. "Auf einmal standen Orchideen überall - im Baumarkt, vor der Supermarktkasse, in jeder Gärtnerei", erzählt der Waltersdorfer. Das Interesse, die Pflanzen selbst zu vermehren, kam fast zum Erliegen. "Wem sie einging, der kaufte sich eben eine neue." Das aber war nicht Queissers und der anderen Vereinsmitglieder Philosophie, die aus der Fachgruppe inzwischen den Lausitzer Orchideenbund gemacht und in die Deutsche Orchideengesellschaft eingetreten waren. "Wir haben uns schon immer hauptsächlich mit Naturformen beschäftigt - Importpflanzen, die aus den Ursprungsländern in Asien, Mittel- und Südamerika kamen."

Denn diese verlangen, noch mehr als die gezüchteten Hybriden, viel Pflege und intensive Zuwendung. So weht den 500 Orchideen in Reinhold Queissers Gewächshaus tagsüber aus zwei Ventilatoren der Wind ums Blatt. Und alle zwei, drei Wochen gibt es Vitamine - dann wird spezieller Dünger gereicht. "Die Bedingungen müssen denen in den tropischen Wäldern möglichst optimal entsprechen. Nur dann fühlen sie sich wohl und blühen." Gerade das Farbenspiel ist es, was den Waltersdorfer an seinem Hobby so fasziniert. Dazu braucht es Fingerspitzengefühl, Wissen und Geduld. Denn den Topf einfach hinstellen und zusehen, wie es blüht - "so funktioniert das nicht."

Dabei sei es eigentlich egal, wo die Orchidee steht: auf dem Fensterbrett, in der Vitrine oder im Gewächshaus. "Sie können überall gedeihen." Baumarkt-Pflanzen seien ziemlich robust und so gezüchtet, dass sie das ganze Jahr über Blüten entwickeln, erklärt der Fachmann. Aber selbst für sie sei das "A" und "O" die Luftfeuchtigkeit und eine Temperaturdifferenz von sieben bis acht Grad zwischen Tag und Nacht. Auch bei ihm funktioniere nicht immer alles, so Queisser. In den vergangenen 60 Jahren habe er schon jede Menge Höhen und Tiefen erlebt. Am besten fühle er sich, wenn er Orchideen von der Aussaat bis zur Blüte bringe. "Das dauert", dämpft er all zu schnelle Erwartungen. "Zehn Jahre sind völlig normal." Bei etwa 40 Arten sei ihm das Kunststück schon gelungen, freut er sich.

Aktuell ist in seinem Gewächshaus die vorherrschende Farbe aber noch grün. Nur ein paar vereinzelte Orchideen blühen. Das hat seinen Grund. Weil Queisser auf Naturformen setzt, erwartet er die große Blütenpracht erst im Herbst, eine zweite dann noch einmal im Frühjahr. "Das ist zu Beginn oder Ende der Ruhezeit", weiß der Experte. "Im Sommer passiert so gut wie nichts."

Passend dazu präsentiert der Lausitzer Orchideenbund im Oktober verschiedene Arten im Jonsdorfer Schmetterlingshaus. Dann gibt es für alle Interessenten ein Feuerwerk der Farben. Verbunden mit viel Wissenswertem und einem Umtopfservice für Pflanzen, die von den Besuchern mitgebracht werden. Bis es soweit ist, pflegt Reinhold Queisser natürlich weiter sein Ritual: Morgens, nach dem Frühstück, gleich ins Gewächshaus, um den Tag bei seinen Lieblingen zu beginnen. Abends, ehe es ins Bett geht, gebührt der noch unscheinbaren, aber bald blühenden Pracht, dann ein letzter, liebevoller Blick.

  • Die diesjährige Schau der Zittauer Ortsgruppe des Lausitzer Orchideenbundes findet vom 25. bis 27. Oktober im Schmetterlingshaus Jonsdorf statt.