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Zittauer Forum zur Landtagswahl: "Sachsen schuldenfrei, aber runtergewirtschaftet"

Gesellschaftliche Spaltung, Ärztemangel und die Probleme bei der Kommunalfinanzierung - das waren einige der Themen beim Wahlforum in Zittau.

Von Markus van Appeldorn
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Die Landtagskandidaten diskutieren beim Wahlforum in Zittau.
Die Landtagskandidaten diskutieren beim Wahlforum in Zittau. © Matthias Weber/photoweber.de

Die politische Debatte wird immer schärfer im Land. Die Spaltung der Gesellschaft scheint fortzuschreiten. Wie Menschen - besonders im Vorfeld der Landtagswahl - auch mit ganz verschiedenen Ansichten wieder zueinanderfinden, wie Demokratie gefördert werden kann, das war eines der beherrschenden Themen beim Wahlforum in der Zittauer Aula. Und als Urteil zur gegenwärtigen Streitkultur zeigte die überwiegende Mehrheit der gut 100 Besucher den Politikern auf dem Podium die Rote Karte - die Moderatoren hatten das Publikum zu verschiedenen Themen um ein Kartenvotum gebeten. Ebenso wurde erörtert wie hoch qualifizierte Migranten schnell in Arbeit statt ins Bürgergeld zu bringen sind und wie sich Kommunen überhaupt noch finanzieren und in die Zukunft investieren können.

Wer diskutierte auf dem Podium beim Wahlforum?

Sieben Kandidaten für den Wahlkreis 60/Zittau hatten die Möglichkeit, sich den Fragen der Moderatoren und aus dem Publikum zu stellen. Veranstaltet hat das Wahlforum die sächsische Landeszentrale für politische Bildung, die in allen 60 Wahlkreisen in Sachsen Foren anbietet, mit Unterstützung der drei großen sächsischen Tageszeitungen. Sie hatte alle Kandidaten eingeladen, deren Parteien bereits im Landtag vertreten sind oder die laut Expertenumfragen die Fünf-Prozent-Hürde schaffen werden. Demnach kamen nicht alle Kandidaten aufs Podium, die im Wahlkreis als Direktkandidaten ihrer Parteien oder Wählervereinigungen antreten. Auf dem Podium: Thomas Krusekopf (CDU), Hajo Exner (AfD), Antonia Mertsching (Linke), Steve Grundig (Grüne), Ralf Hofmann (SPD), Michel Kretschmer (FDP) und Andreas Herrmann (BSW).

Was tun gegen die Spaltung der Gesellschaft?

"Die Kultur des politischen Austausches hat erheblich gelitten", sagte Thomas Krusekopf. Besonders in sozialen Medien werde oft ein regelrechtes Mobbing losgetreten. "Das demotiviert viele Menschen, sich politisch zu engagieren", sagte er. AfD-Mann Exner bemerkte dazu, dass viele seiner Partei-Freunde regelmäßig beschimpft würden. Dafür musste er sich allerdings von der Linke anhören, dass ja genau die AfD es sei, die diese Art der politischen Auseinandersetzung befeuere - etwa mit Plakatparolen wie "Abschieben!" in der Migrationsdebatte.

In der grundsätzlichen Methode - nicht aber im konkret zu wählenden Mittel - waren sich die Diskutanten einig, wie man der Spaltung der Gesellschaft begegnen könne: nämlich durch die Förderung des Ehrenamts in Vereinen - etwa auch von solchen Vereinen, die sich der Demokratieförderung verschrieben haben. "Da stellt sich mir die Frage, wofür die Vereine, die ich kenne, überhaupt von Nutzen sind", sagte Exner. Er hält Fördergelder etwa bei Heimat, Feuerwehr- oder Sportvereinen für sinnvoller eingesetzt. Jedenfalls - und in dem Punkt herrschte Einigkeit - solle die Förderung von Vereinen nicht stets projektbezogen, sondern dauerhaft erfolgen. Was Exners Kritik an jenen Demokratie-Fördervereinen betraf, entgegnete ihm der BSW-Kandidat: "Die Arbeit der Hillerschen Villa etwa zählt zu den weichen Standortfaktoren." Deren Leistungen würden auch von vielen Neu-Zittauern nachgefragt. "Das ist kein rausgeschmissenes Geld", so Andreas Herrmann.

Warum eine ukrainische Hebamme hier nicht arbeiten darf

In diesem Punkt ging es vorrangig darum, wie man überhaupt genügend Fachkräfte in der Region hält oder sie hineinbringt, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Ein Thema: Ärztemangel. "Die Medizinausbildung dauert eine Weile und viele Ärzte wollen nicht selbständig werden, sondern sich anstellen lassen", so Antonia Mertsching. Es wäre also überlegenswert, Strukturen zu schaffen, die jungen Medizinern ermöglichen, den ganzen ungeliebten Bürokratie und Organisations-Ballast abgeben zu können. Das wären Anreize, aufs Land zu gehen. Steve Grundig betonte die Notwendigkeit, das Medizinstudium breiter zugänglich zu machen: "Mir erschließt sich nicht, warum man dafür eine 1 in Sport oder Kunst haben soll."

Nötig sei es zudem, ausländische Abschlüsse viel schneller anzuerkennen. "Die Anerkennung ist eine Katastrophe - es gibt die surrealsten Ablehnungsgründe", sekundierte ihm da FDP-Kandidat Michel Kretschmer und nannte Beispiele: "Wir haben hier syrische Ärzte im Bürgergeld-Bezug. Begründung: fehlendes Praxis-Semester." Oder da gebe es eine ukrainische Hebamme, die hier nicht in ihrem Beruf arbeiten dürfe. "Und ich glaube nicht, dass sich die Art, auf die Frauen in der Ukraine ihre Kinder zur Welt bringen, grundlegend von der hiesigen unterscheidet", sagte er. Der Moderator der Diskussion fügte an: "Im Schnitt dauert die Anerkennung eines ausländischen Abschlusses hier fünf Jahre."

Die Gäste durften auch immer wieder zu Themen abstimmen.
Die Gäste durften auch immer wieder zu Themen abstimmen. © Matthias Weber/photoweber.de

"Schuldenfrei aber runtergewirtschaftet"

Im dritten Themenschwerpunkt ging es um die Finanzierung der Kommunen. Den kämpferischsten und kürzesten Lösungsvorschlag formulierte Hajo Exner: "Den Fördersumpf trockenlegen und das Geld an die Kommunen geben." Nicht als einziger hatte Steve Grundig von den Grünen die Schuldenbremse als eines der Hauptprobleme ausgemacht: "Die Schuldenbremse behindert wichtige Investitionen. Wir haben die niedrigste Verschuldung aller deutschen Bundesländer - keine Schulden, dafür komplett runtergewirtschaftet." Und FDP-Kandidat Michel Kretschmer dazu: "Der Freistaat bereichert sich täglich an den Kommunen, um seinen riesigen Verwaltungsapparat in Dresden zu finanzieren." Demnach seien in den letzten Jahren in den Ministerien 10.000 neue Stellen geschaffen worden.

Die Linke forderte, das Steuersystem "vom Kopf auf die Füße" zu stellen. So könne es nicht sein, dass die Kommunen für Sozialausgaben wie das Bürgergeld zuständig seien - das sei Länder- oder Bundessache.

All diese Ideen kommentierte auch der anwesende Zittauer Oberbürgermeister Thomas Zenker (Zkm): "Eine gute Melange, die nicht ausreicht. Wir sind abhängig vom Freistaat. Wir können nicht investieren, wenn wir dafür erst mal 30 Jahre sparen müssen."