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Kollaps der Carolabrücke: Was ist jetzt noch sicher, wenn selbst Brücken einstürzen können?

Der Einsturz der Carolabrücke ist verstörend, weil Brücken in Deutschland das eigentliche Symbol für Sicherheit und Stabilität sind. Doch es bröckelt. Die Carolabrücke wird zum Sinnbild einer neuen Verunsicherung. Ein Kommentar.

Von Stephan Schön
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Brücken gelten als absolut sichere Bauwerke in Deutschland. Doch die absolute Sicherheit gibt es eben nicht, wie die eingestürzte Carolabrücke in Dresden zeigt.
Brücken gelten als absolut sichere Bauwerke in Deutschland. Doch die absolute Sicherheit gibt es eben nicht, wie die eingestürzte Carolabrücke in Dresden zeigt. © dpa/Robert Michael

Wann und wo auch immer ich in diesen Tagen über eine Brücke gehe oder fahre, dieses Bild erscheint sofort im Kopf. Die eingeknickte zum „V“ gefaltete Carolabrücke auf dem Grund der Elbe liegend. Umspült vom Hochwasser, das noch dazu kommt. Ohne Anzeichen, ohne Warnung, ohne zusätzliche extreme Belastung ist dieses Bauwerk eben einfach mal so in sich zusammengefallen.

Die Carolabrücke wird zum Symbol einer neuen Verunsicherung. Was bleibt von der schon symbolträchtigen Brückensicherheit? Was in Dresden geschah, könnte doch woanders ebenso passieren. Ebenso unbemerkt. Es gibt schließlich 4.000 ähnliche und teils ebenso sanierungsbedürftige Brücken bundesweit.

Etwa 135.000 Straßenbrücken sind es insgesamt. Sie sind die Lebensadern für das Land. Ihnen galt und gilt schon immer besondere Aufmerksamkeit. Sie sind auf Nummer sicher gebaut, mit dem Mehrfachen an Reserve, was ihre maximale Belastung betrifft. Brücken werden zudem regelmäßig geprüft und gewartet – nicht irgendwie, sondern nach dem besten Stand der Wissenschaft. Dafür gibt es klare Regeln. Bisher hatten die auch gereicht.

Der Einsturz der Carolabrücke ist unfassbar, weil eigentlich unmöglich

Und für alles gibt es Berechnungen, auch für den theoretisch möglichen Schadensfall. Das Risiko, dass eine genutzte Straßenbrücke in Deutschland zusammenbricht, liegt statistisch betrachtet bei eins zu einer Million. Bei 135.000 Straßenbrücken hätte das also gar nicht passieren sollen.

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Ist es aber. „Unfassbar“, das war daher wohl auch das am häufigsten gebrauchte Wort, welches die Dresdner über die Brückenruine am Tag nach dem Unglück sagten. Unfassbar, weil eigentlich unmöglich. Doch wenn die Carolabrücke eines lehrt, dann, dass es die absolute Sicherheit nicht gibt. Auch nicht in einem Land wie Deutschland, das TÜV und Tests für fast alles hat - bis hin zu den Brücken. Ein Land mit meist ungewöhnlich straffen Regeln für Sicherheit. Weshalb Deutschland im Ausland immer wieder mit seiner „German Angst“ verspottet wird.

Es ist das erste Mal in der Bundesrepublik überhaupt, dass eine sich im normalen Verkehr befindende Brücke eingestürzt ist. Dafür gibt es mindestens eine, wahrscheinlich aber mehrere Ursachen, wenn auch keinen Schuldigen bisher. Vielleicht wird es den auch nie geben, die Untersuchungen der Staatsanwaltschaft werden es zeigen. Aber selbst wenn, dann stellt sich doch noch eine ganz andere Frage: Reichen die gegenwärtigen Untersuchungen für Brücken aus? Und ganz generell: Was ist noch möglich, wenn doch dieses für unmöglich Gehaltene passieren kann?

Gefühlte und reale Unsicherheit sind zwei verschiedene Dinge

Großschadensereignisse, so nennt es die Wissenschaft, die verunsichern die Menschen. Je nach Betroffenheit mal mehr, mal weniger. Dinge, die große Schäden verursachen und auch Leben gefährden. Dinge, die plötzlich kommen und von uns nicht kontrollierbar sind. Das passt nicht zur menschlichen Psyche. Menschen haben das Ziel, alles zu steuern und unter Kontrolle zu bekommen. In dem Maße, wie dies nicht mehr der Fall ist, nimmt das Sicherheitsgefühl halt ab, so formuliert es die Tübinger Professorin Rita Haverkamp, die zu Risikomanagement und Kriminalprävention forscht.

Ereignisse wie das in Dresden können also nicht nur den Blick auf Brücken, sondern generell den auf sicher geglaubte, weil gut kontrollierbare Dinge infrage stellen. Das kann Unsicherheit bis Ängste erzeugen. Was nichts mit der wirklichen Gefährdung zu tun haben muss. Gefühlte und reale Unsicherheit sind zwei verschiedene Dinge. Der Straßenverkehr oder auch der Klettersport erscheinen doch nur deshalb sicher, weil wir hier glauben, darüber die Kontrolle zu haben. Was ganz sicher nicht so absolut der Fall ist. Sicher erscheinen uns zudem jene Dinge, mit denen wir uns tagtäglich arrangieren – müssen oder wollen. Der Einsturz einer sicher geglaubten Brücke ist das nun mal nicht. Dürre, Waldbrand oder Hochwasser aber ebenso wenig. Naturkatastrophen verunsichern in sehr hohem Maße. Nun gibt es in Deutschland weder aktive Vulkane noch verheerende Erdbeben, daher sind hier die Menschen durchaus sensibler für die, nennen wir es mal kleineren Katastrophen.

Vor 20 Jahren hätte eine Flut wie die jetzt an Neiße und Elbe ganz sicher große Ängste ausgelöst. Das hielt sich diesmal in Grenzen. Ganz sicher auch deshalb, weil in den vergangenen Jahren hier sehr viel getan wurde. Milliarden wurden in den Flutschutz investiert. Rückhaltebecken und Flutungsgebiete geschaffen, die sich bei Bedarf füllen und Leben wie Güter retten. Die Menschen sehen, es ist zu ihrem Schutz etwas passiert. Die Kontrolle über ein sonst katastrophales Naturereignis ist zumindest ein Stück weit zurück.

Ja und bei den Brücken? Auch hier wird und muss es gelingen, die Kontrolle zurückzubekommen. Sei es durch bessere Prüfungen und andere Regeln. Oder durch neues Wissen, wie es jetzt durch die Analysen an den Trümmern der Carolabrücke gewonnen wird. Und durch neue Wissenschaft, die besser in das Innere solcher Bauwerke blicken kann. Aber trotz alledem wird Sicherheit nie 100-prozentig sein. Nicht hier bei Brücken und nirgends anderswo.

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