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Tausende Jahre früher als gedacht ziehen die ersten Bergleute durchs Erzgebirge

Ein Loch im Wald beweist den Jahrtausende alten Bergbau im Erzgebirge. Sachsens Bergbaugeschichte muss damit neu geschrieben werden. Sie begann viel früher - und das überall in der Region.

Von Stephan Schön
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Sächsische Archäologen finden im Erzgebirge den bisher ältesten Bergbau Europas. Die Bergleute kamen viel früher als bisher geglaubt. Und es waren viele, erklärt der Montanarchäologe Matthias Schubert beim exklusiven Grabungstermin mit der SZ.
Sächsische Archäologen finden im Erzgebirge den bisher ältesten Bergbau Europas. Die Bergleute kamen viel früher als bisher geglaubt. Und es waren viele, erklärt der Montanarchäologe Matthias Schubert beim exklusiven Grabungstermin mit der SZ. © kairospress

Ein paar Sonnenstrahlen mogeln sich durch die dichten Baumkronen. Der Nadelwald hier ist noch intakt. Der Waldboden darunter unberührt. Seit Tausenden Jahren. Fette Blaubeersträucher und dichtes Buschwerk wachsen kniehoch am Hang. Eine einsame Rotkappe steht auf der kleinen freien Fläche unter den Fichten – 900 Meter über dem Meeresspiegel. Dieser Wald befindet sich kurz unter dem Gipfel von Sachsens zweithöchstem Berg, dem Auersberg im Westerzgebirge.

Nicht Förster, nicht Jäger ziehen hier durch das Unterholz. Es sind die Archäologen vom Landesamt und Studenten aus München. Sie graben den Waldboden um. Sie wollen dort den Beweis für den frühesten Bergbau zur Bronzezeit im heutigen Sachsen finden. – Und sie haben ihn gefunden. Es ging damals um Zinn für die Bronze. Was heute seltene Erden und Lithium als strategische Rohstoffe sind, das war das Zinn in der Bronzezeit. Bronze, das sind 90 Prozent Kupfer und entscheidende zehn Prozent Zinn. Dieses Zinn ermöglichte es, härtere Werkzeuge herstellen, bessere Waffen und wertvolleren Schmuck anfertigen zu können.

Sachsen hatte den wichtigsten Stoff der Bronzezeit

Die frühen Bergleute aus dem heutigen Sachsen haben den raren Rohstoff geliefert. Sie hatten dafür den bedeutendsten Bergbau von ganz Mittel- und Osteuropas in der Bronzezeit hier im Erzgebirge aufgebaut. Die Bergbautradition entstand in Sachsen damit einige Tausend Jahre früher als bislang geglaubt. Ein erster Fund hatte 2018 bereits für Aufsehen gesorgt. Das jedoch galt als spektakulärer Einzelfall von vor etwa 4.000 Jahren.

Und nun, die Archäologen finden 3.000 Jahre alten Bergbau fernab vom ersten Fundort. Jahrtausende alter Bergbau in Sachsen war weder einmalig noch zufällig, ist sich Matthias Schubert sicher. Er ist in Sachsen verantwortlich für die Montanarchäologie und leitet die Grabungen am Auersberg. „Hier im Erzgebirge hat über Jahrtausende immer wieder Zinnbergbau stattgefunden und das über große, unerschlossene Räume hinweg.“ Schubert sagt es beim Gespräch im Landesamt für Archäologie – und verabredet sich mit Sächsische.de zum Ortstermin. Im Wald am freilich geheim gehaltenen Fundort. Mitten im sächsischen Bergbauland der Bronzezeit. Erstmals wird damit diese Entdeckung überhaupt öffentlich gemacht.

Vor 3.000 Jahren haben hier die Bergleute der Bronzezeit gegraben. Jetzt sind es die Archäologen, die die letzten Spuren der ersten Bergleute in Sachsen suchen.
Vor 3.000 Jahren haben hier die Bergleute der Bronzezeit gegraben. Jetzt sind es die Archäologen, die die letzten Spuren der ersten Bergleute in Sachsen suchen. © kairospress
Christiane Hemker, Projektleiterin von ArchaeoTin, und und Matthias Schubert, Leiter der Montanarchäologie. Die ganze Region hier wurde mehrfach von den frühen Bergleuten umgegraben. senken, Hügel und hohe Kanten entstanden so.
Christiane Hemker, Projektleiterin von ArchaeoTin, und und Matthias Schubert, Leiter der Montanarchäologie. Die ganze Region hier wurde mehrfach von den frühen Bergleuten umgegraben. senken, Hügel und hohe Kanten entstanden so. © kairospress
Arwen Deyhle siebt den abgetragenen Boden auf der Suche nach Holzkohle und Werkzeugen von damals.
Arwen Deyhle siebt den abgetragenen Boden auf der Suche nach Holzkohle und Werkzeugen von damals. © kairospress
Die Grube, die die Geschichte des Bergbaus neu enthüllt. Alle diese Schiuchten sind menschgemacht..  Die älteste gefundene Abraumhalde Europas.
Die Grube, die die Geschichte des Bergbaus neu enthüllt. Alle diese Schiuchten sind menschgemacht.. Die älteste gefundene Abraumhalde Europas. © kairospress

Es ist Anfang September, es sind die Tage vor der großen Flut, die Sonne im Elbtal brennt heftig. Oben am Berg weht ein lauer Luftzug. Mit Spitzhacke und Spaten graben sich hier die Archäologen in die Geschichte hinein. Waldboden, Wurzelwerk und Steine. Grobe Arbeit, bei der aber feinste Splitter zählen. Manche sind nur wenige Millimeter klein und Indiz für die Bergleute von damals. Drei mal vier Meter groß ist die Grabungsfläche. Eimer um Eimer füllt sich mit Boden und Steinen. Alles muss untersucht werden.

Das große Sieb ist voll mit Erde und Schlamm, mit Steinen und Steinchen. Mehrere Kilogramm sind das. Auf der rutschigen, feuchten Uferböschung kniet Arwen Deyhle. Die Münchner Archäologiestudentin ist für eine Woche mit im Team. Ihr Job ist mit der härteste im Grabungsfeld. Im Bach vor ihr muss das Sieb geschwenkt werden. Wieder und wieder. Und wie beim Goldwaschen wird nach Edlem gesucht. Am Ende glitzert das nicht, sondern ist schwarz. Es sind winzige Holzkohlestückchen, die sich über Jahrtausende erhalten haben. Sie werden gesammelt, eingetütet, beschriftet und sind der Stoff fürs Labor. Diese teils nur wenige Millimeter kleinen Stückchen berichten vom Bergbau im Erzgebirge. C14 nennt sich die Methode, mittels derer das Alter bestimmt werden kann.

Um die 750 Jahre vor Christus, so zeigen inzwischen die ersten Labordaten, waren die Menschen hier oben. Die Wissenschaftler sind im Tagebau der ersten Bergleute Sachsens angekommen. Für Christiane Hemker, die Leiterin von diesem Großprojekt ArchaeoTin, ist das der Schlüssel. Er öffnet die Tür zu einer neuen Bergbaugeschichte. Die Sauschwemme am Auersberg hat ihr Geheimnis preisgegeben. Eingezeichnet war die als Zinn-Fundort in Karten aus dem 18. Jahrhundert und in mittelalterlichen Überlieferungen erwähnt als Zinn-Abbaugebiet. Nur aus der Bronzezeit gibt es freilich keine Überlieferungen. „Und wo sollten wir hier anfangen mit den Grabungen?“, fragt Matthias Schubert und steigt den Hang steil bergan. Durchs hohe Gras und niedrige Buschwerk.

Hier ist alles vom Menschen gemacht

Große Senken öffnen sich da plötzlich, und bis zu sechs Meter hohe Abbruchkanten begrenzen diese Senken. Rippen, Rinnen und Reithalden ziehen sich einen Kilometer weit den Berg hinauf. Alles dicht bewachsen, Natur pur. Ist es aber nicht. „All das hier ist einmal Teil des Zinnabbaus in der Sauschwemme gewesen“, berichtet der Archäologe. Die Bergleute im Mittelalter und auch später noch haben den ersten, Jahrtausende alten Uralt-Bergbau nochmals umgegraben. Matthias Schubert ist auf der fast aussichtslosen Suche nach jenem Fleck, der seit der Bronzezeit nicht mehr verändert wurde.

Das Team hat Detektivarbeit geleistet. Zunächst mal im Büro. Satellitenbilder und Luftaufnahmen sowie die Daten vom Laserscanner lieferten die digitalisierte Landschaft und dazu eine Topografie in 3-D auf wenige Zentimeter genau. Sachsens Landesamt für Geobasisinformation hatte die Daten zur Verfügung gestellt. Ein digitales Geländemodell zeigte den Wissenschaftlern schließlich, was alt und unberührt und was nachträglich mit Wassergräben, Halden und Pingen verändert wurden.

Seifen, so nennt sich das Verfahren, mit dem damals Zinnerz gewonnen wurde, ausgewaschen aus dem Boden. Mehr als 200 solcher Seifen haben die Archäologen inzwischen im Erzgebirge identifiziert. Um den Uralt-Bergbau von vor 4.000 bis 3.000 Jahren zu beweisen, suchen sie in einer der größten Seifen, am Auersberg, nach Spuren, die die frühen Bergleute hinterlassen haben. Ein Loch im Wald bringt schließlich den Beweis: 120 Zentimeter tief, zwei mal zwei Meter groß.

Vor 3.000 Jahren haben hier die Bergleute der Bronzezeit gegraben. Jetzt sind es die Archäologen, die die letzten Spuren der ersten Bergleute in Sachsen suchen.
Vor 3.000 Jahren haben hier die Bergleute der Bronzezeit gegraben. Jetzt sind es die Archäologen, die die letzten Spuren der ersten Bergleute in Sachsen suchen. © kairospress
Anhand solch kleiner Holzkohlestückchen lässt sich das Alter des Zinnbergbaus im Erzgebirge bestimmen.
Anhand solch kleiner Holzkohlestückchen lässt sich das Alter des Zinnbergbaus im Erzgebirge bestimmen. © kairospress
Aus dem Zinnerz Kassiterit wurde schon vor 3.000 bis 4.000 Jahren Zinn gewonnen.  Foto: Hartmut Meyer
Aus dem Zinnerz Kassiterit wurde schon vor 3.000 bis 4.000 Jahren Zinn gewonnen. Foto: Hartmut Meyer
Vor 3.000 Jahren haben hier die Bergleute der Bronzezeit gegraben. Jetzt sind es die Archäologen, die die letzten Spuren der ersten Bergleute in Sachsen suchen.
Vor 3.000 Jahren haben hier die Bergleute der Bronzezeit gegraben. Jetzt sind es die Archäologen, die die letzten Spuren der ersten Bergleute in Sachsen suchen. © kairospress

Der erste Tagebau Europas

Dutzende kleine Zettel markieren Schichten und Steine in dem Loch bis hinab zu seinem Grund: „Wir stehen hier auf dem Boden der Bronzezeit. Vor 3.000 Jahren haben hier schon einmal Menschen gestanden und Erz abgebaut“, sagt der Montanarchäologe Matthias Schubert. Die Ehrfurcht in seiner Stimme schwingt mit. Bis zu diesem Grund im Loch hatten die frühen Bergleute den Boden damals weggeschürft, das Erz herausgewaschen. Vorn wurde gegraben und gewaschen, die unbrauchbaren Steine, der Lehm und Sand wurden stets nach hinten geschafft und die Grube so wieder verfüllt. Immer weiter und weiter arbeiteten sich Bergleute so den Berg hinauf. „Alles über dem Grund dieser Ausgrabung ist also von Menschen gemacht“, sagt Schubert.

All die Schichten aus Sand, Lehm, Schluff und Steinen darüber sind damit die frühesten bekannten Abraumhalden eines Tagebaus in Europa. Nirgends sonst konnte 3.000 bis 4.000 Jahre alter Bergbau unmittelbar in der Landschaft nachgewiesen werden. Die Bergleute damals werden unten im Tal begonnen haben. Über Jahrhunderte dann ging es bergauf, immer dem Zinnerz Kassiterit folgend. Das lag hier durch Jahrmillionen Jahre an Verwitterung an der Oberfläche vom Auersberg. „Erstmals in Europa haben wir hier eine technische Anlage aus dieser Zeit freigelegt und datiert.“

Zinn wurde damals auch in Cornwell, auf der Iberischen Halbinsel und in der Bretagne gewonnen. Dort belegen das allerdings nur Indizien. Ganz frisch seien diese Erkenntnisse, sodass noch nicht einmal die wissenschaftlichen Veröffentlichungen dazu publiziert seien. Die folgen noch, sagt die Projektleiterin von ArchaeoTin Christiane Hemker. Auch deshalb bleiben einige Details vorerst geheim. Über die Technologie von damals aber kann Matthias Schubert sprechen. Wasser war das wichtigste Werkzeug. Wasser, das das Zinnerz als kleine Bruchstücke freispülen konnte. Später, im Mittelalter, wurden große Steine abgebaut und in Pochwerken zerkleinert.

Die Menschen der Bronzezeit konnten das so noch nicht. Sie mussten sich mit den kleinen Erzen zufriedengeben. Daraus wurde in Keramikgefäßen das Zinn geschmolzen. Matthias Schubert vermutet, dass das sogar im Gebirge hier oben geschehen ist. Ein Stück gebrannter Lehm, gefunden in der Grabungsfläche, scheint das zu bestätigen.

Vergeblich jedoch haben die Forscher nach einer Abfallgrube, einer Pfeilspitze oder Werkzeug gesucht. Nur zu gern hätten Matthias Schubert und Christiane Hemker mit ihren Leuten hier oben im Gebirge eine Geweihhacke gefunden oder ein Tongefäß. Nur Werkzeuge waren wertvoll, die ließ man halt nicht einfach liegen. Und so müssen sich die Wissenschaftler mit kleineren Dingen zufriedengeben. Mit erhaltenen Pollen zum Beispiel, die etwas über die Natur und Landwirtschaft der Region verraten.

Im nahen Moor vom Kranichsee wurde dazu ein fünf Meter langer Bohrkern genommen. Es ist eine Art Bioarchiv von der letzten Eiszeit bis jetzt. Mikrobiologen der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität untersuchen, welche Bäume hier damals wuchsen und wie die Brandrodungen und Zinnschmelzen stattfanden. Das Moor wird es berichten. Die Baumarten von damals werden aber auch anhand der winzigen Holzkohlestückchen an der TU Dresden von deren Forstwissenschaft in Tharandt bestimmt.

Christiane Hemker ist die Projektleiterin des Forschungs-Großprojektes ArchaeoTin im Landesamt für Archäologie. Ihr Team ist im Erzgebirge auf der Suche nach den Spuren der frühesten Bergleute aus der Bronzezeit.Zinn war der strategische Rohstoff damals. Er brachte Reichtung der Region und erklärt die reichen Grabbeigaben, aber auch den reichen Depotfund mit vielen Bronzeteilen von Kyhna in Nordsachsen.
Christiane Hemker ist die Projektleiterin des Forschungs-Großprojektes ArchaeoTin im Landesamt für Archäologie. Ihr Team ist im Erzgebirge auf der Suche nach den Spuren der frühesten Bergleute aus der Bronzezeit.Zinn war der strategische Rohstoff damals. Er brachte Reichtung der Region und erklärt die reichen Grabbeigaben, aber auch den reichen Depotfund mit vielen Bronzeteilen von Kyhna in Nordsachsen. © kairospress
Zinn war der strategische Rohstoff damals. Er brachte Reichtung der Region und erklärt die reichen Grabbeigaben, aber auch den reichen Depotfund mit vielen Bronzeteilen von  Kyhna in Nordsachsen.
Zinn war der strategische Rohstoff damals. Er brachte Reichtung der Region und erklärt die reichen Grabbeigaben, aber auch den reichen Depotfund mit vielen Bronzeteilen von Kyhna in Nordsachsen. © kairospress
Zinn war der strategische Rohstoff damals. Er brachte Reichtung der Region und erklärt die reichen Grabbeigaben, aber auch den reichen Depotfund mit vielen Bronzeteilen von Kyhna in Nordsachsen.
Zinn war der strategische Rohstoff damals. Er brachte Reichtung der Region und erklärt die reichen Grabbeigaben, aber auch den reichen Depotfund mit vielen Bronzeteilen von Kyhna in Nordsachsen. © kairospress

Tausende Jahre alter Fernhandel

Sieben Partner hat das deutsch-tschechische Großprojekt ArchaeoTin im Erzgebirge. Zwei Jahre läuft es noch. Viel zu kurz, um alle Antworten zum ersten Bergbau im Erzgebirge zu bekommen. Es wird einen Nachfolger geben müssen. Und vielleicht, so hoffen die Archäologen, werden bis dahin noch neue geochemische Verfahren erfunden. Solche, die das Erzgebirgs-Zinn in der Bronze von ganz Europa eindeutig bestimmen können. Noch liefern die derzeitigen Isotopen-Verfahren zu wenige Unterschiede zwischen dem Zinn aus dem Erzgebirge und dem von Cornwell.

Diese gemeinsame chemische Signatur wurde bisher zumindest schon vom Baltikum bis Griechenland nachgewiesen. „Der Fernhandel in Europa existierte zur Bronzezeit bereits“, ist sich Christiane Hemker sicher. Und Sachsen lag dabei im Zentrum. Das Zinn aus den Bergen machte die Region reich.

Die wertvollen Bronzefunde in Sachsen und Böhmen, die Höhenburgen aus jener Zeit, die alten Pfade übers Gebirge bekommen so eine neue Erklärung. Nicht nur der Bergbau, auch die frühe Vorgeschichte Sachsens muss daher ein Stück weit neu geschrieben werden. Das erste Kapitel hat gerade begonnen.