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Kommandos an Kanzler Scholz beim Spatenstich für Chipfabrik ESMC in Dresden

Beim Spatenstich für die Dresdner Mikrochipfabrik ESMC muss Bundeskanzler Olaf Scholz einem exakten Countdown folgen. Wie die Zeremonie im Festzelt ablief, und was die Elektronikkonzerne jetzt vorhaben.

Von Georg Moeritz
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Spatenstich auf Kommando: Sieben Männer und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (in Rot) beginnen den Bau der Dresdner Chipfabrik ESMC. Kanzler Scholz steht in der Mitte.
Spatenstich auf Kommando: Sieben Männer und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (in Rot) beginnen den Bau der Dresdner Chipfabrik ESMC. Kanzler Scholz steht in der Mitte. © Foto: SZ/Veit Hengst

Dresden. Gute Aussicht vom Pausenbalkon der Bosch-Mikrochipfabrik: Ein Dutzend Angestellte beobachtete am Dienstag fröhlich, wie Limousinen und Polizeiautos vorbeifuhren und am Festzelt auf dem sonst leeren Nachbargrundstück hielten. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kamen zum ersten Spatenstich für die Mikrochipfabrik ESMC, die Dresden 2.000 zusätzliche Arbeitsplätze bringen soll. Die Zeremonie war streng durchgetaktet, mehrmals gab es Countdowns. Auf Kommando musste der Kanzler seinen Spaten in Sand stecken, heben und halten. Viele Fotografen standen davor.

Der symbolische Spatenstich fand im Zelt statt, im Hintergrund wurden Bagger und Lkw nur eingeblendet. Anderthalb Wochen vor der sächsischen Landtagswahl lobte Kanzler Scholz die Zusammenarbeit der Unternehmen im Branchenverband Silicon Saxony, und Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) dankte dem Kanzler für dessen „ganz persönlichen Einsatz“ und „hanseatische Klugheit“. Ohne das Engagement von Scholz „würden wir heute hier nicht sitzen“, sagte Kretschmer.

Denn noch nie sind zehn Milliarden Euro in einen Fabrikneubau in Sachsen investiert worden. Die Hälfte des Geldes kommt als Subvention vom Bund. Die Entscheidung über die Investition aber hat ein Taiwaner getroffen, und der ist nach eigenen Angaben vom Kanzler dazu überredet worden. Der Chef des Mikrochipkonzerns TSMC, der seinen komplizierten Namen stets als C. C. Wei abkürzt, stand am Dienstag auch im Dresdner Festzelt. Wei sagte, vor einigen Jahren habe er mit Partnern und Scholz zusammengesessen und habe versucht, auf dessen Wunsch nach einer Investition in Deutschland Nein zu sagen. Doch Scholz habe so klar gesagt, alles sei vorbereitet, dass er sich nicht getraut habe.

Chipfabrik ESMC in Dresden soll 2029 voll ausgelastet sein

Nun baut der Mikrochip-Weltmarktführer TSMC aus Taiwan gemeinsam mit seinen deutschen Partnern Bosch und Infineon sowie NXP aus den Niederlanden seine erste Mikrochipfabrik in Europa. Das Gemeinschaftsunternehmen heißt ESMC European Semiconductor Manufacturing Company, also europäische Gesellschaft zur Halbleiter-Herstellung. Der Bau soll in diesem Jahr beginnen, 2027 soll die Produktion starten. Die Investoren nennen kaum Details, aber aus einer Veröffentlichung der EU-Kommission geht hervor, dass 2029 die volle Auslastung erreicht sein soll. Die Fabrik kann dann pro Jahr 480.000 Siliziumscheiben zu Chips verarbeiten. Auf eine Scheibe können Tausende Chips passen, je nach Aufbau.

Konzernchef C. C. Wei leitet den Halbleiterproduzenten TSMC in Taiwan. In Dresden sagte er, den Bau in Sachsen habe er eigentlich ablehnen wollen - aber sich bei Kanzler Scholz nicht getraut.
Konzernchef C. C. Wei leitet den Halbleiterproduzenten TSMC in Taiwan. In Dresden sagte er, den Bau in Sachsen habe er eigentlich ablehnen wollen - aber sich bei Kanzler Scholz nicht getraut. © SZ/Veit Hengst

Konzernchef Wei sagte, TSMC wachse sehr stark. Dresden sei als Standort ausgewählt worden, weil die Chipfabrik nah an wichtigen Kunden sei und weil dort „viele talentierte Leute“ rekrutiert werden könnten. ESMC-Chef Christian Koitzsch, ehemals Chef bei Bosch nebenan, hatte bei einem Pressegespräch am Tag zuvor gesagt, das Unternehmen werde europaweit Personal anwerben. Denn sächsische Firmen sorgen sich wegen Abwerbung ihrer Fachkräfte. Ministerpräsident Kretschmer erinnerte an die gemeinsame Erklärung mit Wirtschaftsverbänden, die vorige Woche faire Zusammenarbeit verabredeten. Kretschmer sagte, es werde Zuwanderung geben. Er freue sich, dass Sachsen wieder in eine Zeit des Wachsens komme.

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Die Zeremonie im Festzelt dauerte nur 55 Minuten. Wer asiatische Kultureinlagen erwartet hatte, wurde enttäuscht. Moderatorin Janine Mehner begrüßte auf Deutsch, Englisch und mit dem chinesischen Hallo: „Ni hao“. Ein Jazz-Quartett stimmte zum Ausklang „Night and Day“ an. Per Video grüßten lächelnde TSMC-Mitarbeiter aus den Fabriken in Japan und in den USA, die auch gerade erst gebaut wurden.

Von der Leyen: Wachsende geopolitische Spannungen

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wies als einzige auf die Risiken um Taiwan hin: Sie sagte, angesichts „wachsender geopolitischer Spannungen“ werde TSMC davon profitieren, seine Fabriken zu verteilen. China erhebt Anspruch auf die Insel. Taiwan gilt auch in Deutschland nicht als unabhängiger Staat, bei den Olympischen Spielen kamen die Athleten separat mit einer Blümchenfahne.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU, Bildmitte) hat die deutschen Subventionen für die ESMC-Fabrik genehmigt - sie dienen dem Ziel, mehr Mikrochips in der EU herzustellen.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU, Bildmitte) hat die deutschen Subventionen für die ESMC-Fabrik genehmigt - sie dienen dem Ziel, mehr Mikrochips in der EU herzustellen. © dpa/Sebastian Kahnert

Von der Leyen betonte das Ziel der Europäischen Union, den Anteil an der Welt-Chipproduktion auf 20 Prozent zu verdoppeln. Die leistungsfähigsten Anlagenbauer gebe es in Europa. Die fünf Milliarden Euro Zuschuss vom deutschen Staat für die Dresdner Fabrik seien genehmigt, im Einklang mit dem europäischen Chip-Gesetz. Vorher hatte die EU-Kommission auch Zuschüsse für die Chipindustrie in Italien und Frankreich genehmigt. In Frankreich profitiert davon auch der Konzern Globalfoundries (GF), der sich an einer Fabrik in Crolles beteiligt.

GF-Konzernchef Thomas Caulfield hat sich allerdings beklagt, dass sein großer Konkurrent TSMC so stark bezuschusst wird. GF habe Ausbaupläne für sein Dresdner Werk und wolle nun vergleichbare Subventionen. Kretschmer ging vor dem Spatenstich indirekt darauf ein: In Brüssel müsse über ein Chipgesetz 2 gesprochen werden. Außerdem wolle er, dass sich weitere Lieferanten in Sachsen ansiedelten. An vielen Stellen seien schon „blühende Landschaften“ entstanden, sagte er in Anspielung auf Ex-Kanzler Helmut Kohl (CDU).

Kanzler Scholz: Halbleiter statt Erdöl, Erdgas und Kohle

Kanzler Scholz begründete die hohen Subventionen damit, dass Europa bei der Versorgung mit Halbleitern nicht abhängig von anderen Weltregionen werden dürfe. Das Ziel sei aber nicht Autarkie, völlige Unabhängigkeit. Halbleiter seien der Treibstoff des 21. Jahrhunderts und nötig für Digitalisierung und Dekarbonisierung. Der Abschied von Erdöl, Erdgas und Kohle gehöre zu den Megatrends.

Lange geheimgehalten: ESMC hat erst am Dienstag verraten, wie die geplante Fabrik in Dresden aussehen soll. Aber zum Spatenstich stand schon ein fertiges Modell bereit - mit begrünter Fassade.
Lange geheimgehalten: ESMC hat erst am Dienstag verraten, wie die geplante Fabrik in Dresden aussehen soll. Aber zum Spatenstich stand schon ein fertiges Modell bereit - mit begrünter Fassade. © Foto: SZ/Veit Hengst

Dass die neue Fabrik möglichst grün sein will, verdeutlichten die Bauherren mit einem Modell und Bildern, die auch eine bepflanzte Südfassade zeigen. Die Fabrik werde nur Ökostrom kaufen, Wasser werde in den aktuellen Betrieben von TSMC zu 90 Prozent recycelt. Sachsens Umweltminister Wolfram Günther (Grüne) sagte, es gebe hohe Anforderungen an den Umweltschutz. Das Bundeswirtschaftsministerium habe Geld für die Mikroelektronik gerettet, trotz der Schwierigkeiten um Haushalt und Klimafonds.

Scholz ruft zu Weltoffenheit und Zuversicht auf

Kanzler Scholz sagte, jeder dritte in Europa gefertigte Mikrochip komme aus Sachsen. Deutschland müsse weltoffen bleiben statt Nationalismus und Ressentiments zu pflegen. "Weltoffenheit und Zuversicht, wenn wir uns das bewahren, wird diese Großinvestition nicht die letzte sein, die wir in Sachsen und im Silicon Saxony erleben."

Nach dem offiziellen Spatenstich griffen auch Gäste aus dem Publikum spaßeshalber zu den Spaten, darunter Markus Schlimbach, Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in Sachsen. Er zeigte sich überrascht über die Bilder des geplanten Fabrikgebäudes. Einerseits sehe es nicht viel anders aus als die anderen Fabriken in der Nähe. Andererseits war in den Darstellungen sehr viel Grün zu sehen, auch Wasser, dazu Enten und Möwen. Ob die taiwanesischen Investoren offen für betriebliche Mitbestimmung sein werden, konnte Schlimbach nicht einschätzen. Die Chemiegewerkschaft IG BCE hatte am Montag angekündigt, sich bald bei dem neuen Dresdner Großbetrieb zu melden. Die Landesbezirksleiterin Stephanie Albrecht-Suliak sagte, gute Arbeit könne "nur mit Teilhabe über Betriebsräte und Tarifverträge authentisch definiert" werden.

Wer wissen wollte, was die neue Fabrik produzieren wird, konnte im Zelt Beispiele an Ständen von Bosch, Infineon und NXP sehen – die Firmen sind zu je zehn Prozent an ESMC beteiligt und werden die Fabrik mitnutzen. Infineon-Techniker Michael Schinke zeigte Antriebselektronik für VW-Elektroautos aus Sachsen. Darin stecken Schalter von Infineon Dresden, aber auch Mikrocontroller zur Steuerung. Infineon lässt sie bei TSMC herstellen – bisher in Taiwan, künftig auch in Dresden.