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Wie das sächsische Handwerk "lit" werden will

Sachsens Handwerk braucht dringend Nachwuchs. Damit das gelingt, gibt sich die Branche "lit", also cool. Und wirbt unter anderem mit flexiblen Arbeitszeiten.

Von Lucy Krille
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"Der Friseurberuf ist nicht mehr nur ein bisschen schön machen", sagt die angehende Friseurin Clara Schettler (l.). Mit ihrer Azubi-Kollegin Lucy Bage will sie den Nachwuchs fürs Handwerk begeistern.
"Der Friseurberuf ist nicht mehr nur ein bisschen schön machen", sagt die angehende Friseurin Clara Schettler (l.). Mit ihrer Azubi-Kollegin Lucy Bage will sie den Nachwuchs fürs Handwerk begeistern. © www.loesel-photographie.de

Dresden. Die Ansprache von Jörg Dittrich wirkt etwas "cringe", wie er zugibt. Bei der Ehrung der Gewinner und Gewinnerinnen der Berufsolympiade im Handwerk wirft der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks mit einem Augenzwinkern mit Jugendwörtern um sich. Dittrich weiß, dass die Jugendlichen, die er anspricht, einer neuen Generation angehören. Einer Generation, der oft nachgesagt wird, sie würde sich nicht mehr die Hände schmutzig machen. Für das Mittelstands- und Handwerksland Sachsen mit mehr als 35.000 Handwerksbetrieben ist das ein Problem.

Doch es gibt sie immer noch - die Jungen und Mädchen, die gern körperliche Arbeit leisten. Das beweist etwa die Sattlerin Marie Mehner. Sie holte eine Goldmedaille beim bundesweiten Berufewettbewerb. Acht weitere Gesellinnen und Gesellen aus Sachsen holten mit ihrem Gesellenstück und sehr guten Noten in ihren Handwerken Gold.

Mehner kommt aus einer Bäckersfamilie und wollte selbst etwas mit ihren Händen schaffen. Sie entschied sich für einen mittlerweile seltenen Ausbildungsberuf. Nach dem Abschluss konnte ihr Ausbilder die Feintäschnerin aber nicht übernehmen. „Jetzt arbeite ich in der Orthopädietechnik, was leider kaum noch mit Leder zu tun hat“, sagt Mehner.

Ein Drittel weniger Azubis in den Friseursalons in Ostsachsen

Dass Auszubildende nicht übernommen werden, dürfte eher die Ausnahme sein. Die angehende Frisörin Clara Schettler macht sich um ihre Zukunft weniger Sorgen: „Es gibt ja überall Menschen, die die Haare gemacht haben wollen“. Die Dresdnerin macht eine Ausbildung im Friseursalon Haarpflege in Dresden. Körperliche Anstrengung gehört in ihrem Beruf dazu, oft steht sie den ganzen Tag. „Wenn ich eine Stunde den Föhn halte, merk ich das schon in den Armen“, sagt sie. Trotzdem entschied Schettler sich vor ein paar Monaten, ihr Fach-Abi abzubrechen, weil sie nicht mehr nur in der Schule sitzen wollte.

Den Schritt hat sie nicht bereut, denn jeden Tag ist sie mit Menschen zusammen. Zudem sei der Frisörberuf heute viel mehr als „ein bisschen schön machen“. Durch die Vielfalt an Salons könne man sich auf eine Richtung spezialisieren. Die junge Frau zeigt Schülern und Schülerinnen der siebten bis zehnten Klasse beim Erlebnistag Handwerk, wie die perfekten Locken gelingen. Die Dresdner Handwerkskammer, deren Präsident Jörg Dittrich auch ist, organisiert den Tag zum dritten Mal, um Jugendliche für das Handwerk zu begeistern.

Für den Obermeister der Friseur- und Kosmetikinnung, Robert Klügel, sind solche Aktionen wichtig. Denn der Nachwuchs im Friseurhandwerk ist rückläufig. „Vor fünf Jahren war der Beruf einer der beliebtesten, über 140 Azubis gab es in Ostsachsen. Mittlerweile liegt die Zahl bei gut einem Drittel“, sagt er. Nun seien die Innungen gefordert, neue Arbeitszeitmodelle in die Betriebe zu bringen.

4-Tage-Woche im sächsischen Handwerk

Auch Silvia Forberg, Geschäftsführerin der Innung Sanitär, Heizung und Klima in Dresden, will die Jugendlichen verstärkt mit einer flexibleren Freizeitgestaltung ansprechen. „Es gibt in unserer Innung schon Betriebe, die die 4-Tage-Woche eingeführt haben“, sagt sie. Im Handwerk sei es zudem üblich, dass am Freitag 15 Uhr Schluss ist. „Das ist natürlich ein Vorteil gegenüber dem Handel oder der Gastrobranche“, sagt Forberg.

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Forberg hat den Erlebnistag organisiert. An 18 interaktiven Stationen können Jugendliche die verschiedensten Handwerksberufe ausprobieren. Die meisten kommen von Oberschulen. Der Erlebnistag ist keine klassische Jobmesse, sondern ein Tag zum Ausprobieren.

In einem Zimmer hält Kay Wagner ein flammendes Plädoyer für den Dachdeckerberuf. „Wenn ich mit meinen Enkelkindern wo vorbeikomme, dann kann ich sagen: ‚Das Dach, das habe ich gedeckt!‘“ Zudem sei der Beruf längst nicht mehr so anstrengend wie früher, da Kräne mittlerweile die Paletten aufs Dach bringen. Wagner ist Obermeister in Dresden und Stellvertretender Landesinnungsmeister. Er freut sich besonders, dass es mittlerweile mehr Mädchen gebe, die in den Beruf einsteigen, denn viele Handwerksberufe sind noch immer männerdominiert.

Auch sächsische Gymnasien interessieren sich wieder fürs Handwerk

Zudem kommt der Großteil der Auszubildenden mit einem Realschulabschluss. Immerhin 15 Prozent sind Abiturienten und Abiturientinnen, weiß Ausbildungsberater Göran Zerbe. „Und die Zahlen steigen“, sagt er. Nächstes Jahr will die Handwerkskammer auch Gymnasien zum Erlebnistag einladen, erste Anfragen gab es bereits. Immer mehr Handwerksbetriebe stellen junge Menschen vom Gymnasium oder von der Uni ein, die nicht mehr vorm Bildschirm sitzen wollen.

Haben Beyene probiert sich mit Dachdeckermeister Kay Wagner beim Erlebnistag Handwerk in der Schieferbearbeitung aus.
Haben Beyene probiert sich mit Dachdeckermeister Kay Wagner beim Erlebnistag Handwerk in der Schieferbearbeitung aus. © www.loesel-photographie.de

Die Schüler und Schülerinnen, die vor Dachdecker Kay Wagner sitzen, absolvieren dagegen ein Berufsgrundbildungsjahr, das sie für eine Ausbildung vorbereiten soll. Ein Mädchen möchte Immobilienkauffrau werden. „Trotzdem ist der Handwerkstag nicht schlecht. Vielleicht ist ja noch was Interessantes dabei“, sagt sie.

Ihr Klassenkamerad Haben Beyene lässt sich von Kay Wagner zeigen, wie man Schiefer bearbeitet. Er formt daraus ein Herz. „Das Beste, was ich heute gesehen habe“, lobt ihn Wagner. Haben Beyene hat Gefallen an dem Handwerk gefunden – und fragt Wagner gleich nach einem Praktikumsplatz.