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Nach Brückeneinsturz in Dresden: Zahlreiche Sanierungskandidaten in SOE

Das Desaster in der Landeshauptstadt lässt den Fokus auf den Zustand von Brückenbauwerken im Landkreis richten. Eine Forderung wird dabei lauter.

Von Roland Kaiser
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Kein Sanierungskandidat: Die Elbbrücke in Bad Schandau überspannt auf einer Länge von 268 Metern den Strom. Von 2001 bis 2003 wurde das Bauwerk umfangreich instandgesetzt.
Kein Sanierungskandidat: Die Elbbrücke in Bad Schandau überspannt auf einer Länge von 268 Metern den Strom. Von 2001 bis 2003 wurde das Bauwerk umfangreich instandgesetzt. © Marko Förster

Wie viele andere Landkreise in Sachsen ist die Region Sächsische Schweiz-Osterzgebirge ein einziger Brückenpark. Egal, ob entlang der Autobahnen, Bundes-, Staats- und Kreisstraßen oder in Städten und Gemeinden - Hunderte Bauwerke existieren auf dem rund 165.400 Hektar großen Territorium, in das etwa 116.000 Fußballfelder passen.

Nach dem teilweisen Einsturz Dresdner Carolabrücke kursiert auch im Landkreis SOE die Sorge vor einer ähnlichen Tragödie. Laut dem Landesamt für Straßenbau und Verkehr (Lasuv) existieren zwischen Zinnwald und Wilsdruff sowie Sebnitz und Hermsdorf/Erzg. sieben vergleichbare Großbrücken.

Behörde sieht Großbrücken in gutem Zustand

Wegen ihrer vergleichsweise geringen Standzeiten oder aufgrund erfolgter Sanierungen in der jüngeren Vergangenheit würden diese Ingenieurbauwerke momentan nicht ins Raster der Problemkinder fallen. Soweit die gute Nachricht.

Die schlechte ist: Von den etwa 400 Brücken, um die sich allein das Lasuv kümmert, befinden sich fünf in einem sanierungsbedürftigen Zustand. Sie bekamen von den Brückenprüfern durchweg Noten zwischen 3,0 und 3,8 ausgestellt, was einem nicht ausreichenden beziehungsweise ungenügenden Bauwerkszustand gleichkommt.

Dabei handelt es sich zum einen um die Brücke an der S 161 in Dürrröhrsdorf-Dittersbach, die über den Stürzaer Bach führt. Zum anderen stehen Sanierungskandidaten an der S 165 bei Hohnstein, an der S 159 in Neustadt in Sachsen, an der S 173 in Berggießhübel und an der S 174 in Hartmannsbach.

Die Sachsenbrücke am Pirnaer Stadtrand: Für das 1999 fertiggestellte Bauwerk mit einer Länge von rund 1,1 Kilometern gab es zuletzt die Note 2,8 - noch ausreichender Bauwerkszustand.
Die Sachsenbrücke am Pirnaer Stadtrand: Für das 1999 fertiggestellte Bauwerk mit einer Länge von rund 1,1 Kilometern gab es zuletzt die Note 2,8 - noch ausreichender Bauwerkszustand. © Daniel Förster

Auch das Pirnaer Landratsamt meldet aus dem bunten Reigen seiner 148 Brücken und 38 Durchlässe mehrere Problemfälle. In den Top 5 rangieren demnach die Brücke an der Kreisstraße K 8756 östlich Breitenau über die Gottleuba, die Brücke an der K 8761 östlich von Börnchen über den Trebnitzbach, der Durchlass in Wittgensdorf über den Wittgensdorfer Bach, die Brücke in Langenhennersdorf sowie die Biela-Flussquerung westlich von Bärenstein.

Rathäuser haben Sanierungspläne in der Schublade

Wie der Leiter des Straßenbauamtes, Daniel Reichelt, anmerkte, sei die Aufzählung nicht vollständig. Für die genannten Bauwerke würde entweder eine Instandsetzung oder eine Erneuerung in Betracht kommen. Sie stünden bis zu einem Baubeginn unter besonderer Beobachtung.

Der Mann vom Fach weiß, was passiert, wenn sich der Bauzustand weiter verschlechtert und eine Baumaßnahme noch in weiter Ferne liegt. Dann seien Einschränkungen der befahrbaren Breite und der Geschwindigkeit oder auch Tonnagebegrenzungen möglich. Quasi zur Entlastung. "Das setzt allerdings voraus, dass sich Verkehrsteilnehmer strikt daran halten." Ansonsten drohe die Vollsperrung einer Brücke.

Neben Landratsamt und Landesamt hat auch die Pirnaer Stadtverwaltung Sanierungspläne in der Schublade liegen - und zwar für vier Flussquerungen: die Brücke Kohlbergstraße über die Seidnitz sowie die Wesenitzbrücken Rudolf-Renner-Straße, Kiesstraße und Tannenweg. Für drei von ihnen ist gar ein Ersatzneubau vorgesehen. Schätzungsweise 6,5 Millionen Euro werden aktuell dafür veranschlagt.

Kenner der Baubranche warnen jedoch davor, dass es bei dieser Summe sicherlich nicht bleibt. Um einen signifikanten Preisanstieg zu vermeiden, müsse zügig gehandelt werden. Doch nach einem zeitnahen Maßnahmenstart sieht es momentan nicht aus. Vielmehr sollen die Vorhaben bis 2029 etappenweise verwirklicht werden.

Mit dem Wunsch, einen Teil ihrer Brücken zu sanieren, steht die Kreisstadt nicht allein da. Auch Sebnitz, Wilsdruff, Neustadt und Glashütte verfolgen ähnliche Pläne, um nur einige Beispiele zu nennen. Wie Pirna sind sie dabei auf Finanzspritzen von Land und Bund angewiesen.

Autobahnbrücken unter Dauerbeobachtung

Doch neben dem fehlenden Geld sorgt noch ein anderer Umstand dafür, dass manche Bauvorhaben nicht im Eiltempo umsetzbar sind. "Vorgeschriebene Verfahren, die vor einem möglichen Baubeginn durchgeführt werden müssen, verzögern Baumaßnahmen zusätzlich", betont der Bürgermeister von Bad Gottleuba-Berggießhübel, Thomas Peters. Er sieht sich im Ortsteil Berggießhübel mit einem langwierigen Planfeststellungsverfahren konfrontiert, obwohl sich dort die betreffende Brücke schon jetzt nicht mehr im besten Zustand präsentiere.

Im Gegensatz dazu schneidet die Gemeinde Kreischa mit Abstand recht erfreulich ab. Keinen Sanierungsbedarf meldet ebenso die Stadt Dohna, die Herrin über 19 Brücken ist. Gleiches lässt sich für die etwa 50 Autobahnbrücken im Landkreis feststellen. Ein Sprecher der Niederlassung Ost der Autobahngesellschaft des Bundes begründete das mit den laufenden Streckenkontrollen sowie regelmäßigen Besichtigungen und Beobachtungen der Bauwerke.

Basis fordert mehr Geld für Infrastrukturprojekte

"Man fragt sich besorgt, welches Ingenieurbauwerk als Nächstes einstürzt, denn der Investitionsstau ist ja bekannt", meldete sich der scheidende Landtagsabgeordnete Ivo Teichmann (Bündnis Deutschland) zu Wort. Bundesweit habe dieser bereits eine Dimension von mehr als 450 Milliarden Euro erreicht, untermauert FDP-Kreisvorsitzende Cornelia Knauth das Dilemma mit einer Zahl. Ihr zufolge muss der Investitionsanteil in den Bundes-, Landes- und Kommunalhaushalten wieder deutlich hochgefahren werden.

Die noch im Bau befindliche, dreispurige Gottleubatalbrücke bei Pirna soll einmal einer Belastung standhalten, die etwa 2.300 VW Golf beziehungsweise 90 vollbeladenen Drei-Achser-Lkw entspricht, wenn diese zeitgleich über die 916 Meter lange Konstruktion
Die noch im Bau befindliche, dreispurige Gottleubatalbrücke bei Pirna soll einmal einer Belastung standhalten, die etwa 2.300 VW Golf beziehungsweise 90 vollbeladenen Drei-Achser-Lkw entspricht, wenn diese zeitgleich über die 916 Meter lange Konstruktion © Marko Förster

Die Chefin der SOE-Linken, Lisa Thea Steiner, bezeichnete den Brückeneinsturz von Dresden als "tragisches Beispiel für jahrelange Versäumnisse in der öffentlichen Infrastruktur". Das Ganze verband sie mit der Forderung nach einem umfassenden Brückencheck in der Region und dem Appell, Sanierungen deutlich schneller als bisher in Angriff zu nehmen.

Am frühen Mittwochmorgen war auf etwa 100 Metern Länge ein mit Straßenbahngleisen sowie einem Fuß- und Radweg versehene Teil der Carolabrücke in die Elbe gestürzt. Wie durch ein Wunder kam dabei niemand zu Schaden. Simone Prüfer, Leiterin des Straßen- und Tiefbauamtes, erklärte tags darauf, dass die Spannglieder des sogenannten Brückenzuges C versagt haben. Schon zuvor gab es den konkreten Verdacht, wonach Korrosion des im Beton verbauten Stahls die Ursache gewesen sein könnte.

Wissenschaftler bieten Alternative

Aufmerksam verfolgt wird die Situation von Dresdner Wissenschaftlern, die in jahrelanger Forschungsarbeit den Baustoff Carbonbeton mitentwickelt haben. Sie sehen in diesem eine Lösung für das Korrosionsproblem, das offenbar mehr Brückenbauwerke betrifft als angenommen.

Aus dem als beständig geltenden und leichteren Material lassen sich, wie bereits in der Lausitz geschehen, vollständige Konstruktionen verwirklichen beziehungsweise Sanierungskandidaten behandeln. "Selbst eine große Spannbeton-Autobahnbrücke über die Nidda bei Frankfurt/Main erhielt eine Verstärkung mit Carbonbeton", sagte Chris Gärtner, Sprecherin des Carbon Concrete Composite e.V., in dem die Forscher mitwirken.

Auch für den eingestürzten Teil der Carolabrücke stand eine Sanierung im Raum. Mittlerweile wird jüngsten Berichten zufolge ein kompletter Neubau nicht mehr ausgeschlossen. Wann dieser erfolgen kann, bleibt abzuwarten.

Indes gilt aus Sicht des Vereins ein zeitnaher Ersatz aller maroden Brücken im Freistaat als unrealistisch. Daher schlug er die Wiederbelebung eines Technologietransferprogramms vor. Auf diese Weise könnten Entwicklungen von Universitäten und anderen Branchen zügig in die Baupraxis transferiert werden.

Unabhängig davon plädierten die Carbonbeton-Spezialisten für bessere Prüfverfahren, um Einblick in das Innenleben einer Brücke zu erhalten. Es bestehe die Möglichkeit, sofern das bislang nicht passiert ist, die Bauwerke mit einer speziellen Messtechnik zu versehen. Chris Gärtner: "Unerwünschte Verformungen und Risse ließen sich so frühzeitig erkennen und melden."