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Reisetipp: Auf dem Gravelbike durch Westschwedens Wälder

Ob Einsteiger oder ambitionierter Sportler – die Region Dalsland sieht sich als die Gravelbike-Hochburg in Skandinavien. Ein Härtetest auf zwei Rädern.

Von Annett Heyse
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Wälder und Schotterstraßen – davon hat die Region Dalsland in Westschweden reichlich. Was liegt da näher, als den Urlaub auf dem Gravelbike zu verbringen?
Wälder und Schotterstraßen – davon hat die Region Dalsland in Westschweden reichlich. Was liegt da näher, als den Urlaub auf dem Gravelbike zu verbringen? © Daniel Breece

Es knirscht unter den Reifen. Steil geht es bergan. Mit jeder Kurbelumdrehung schiebe ich mich der Bergspitze etwas näher. Oben angekommen wartet schon eine rasante, kurvenreiche Abfahrt auf mich. Schotter spritzt zur Seite. Noch eine Kurve. Es geht vorbei an einer Wiese, Lupinen blühen am Wegesrand. Linkerhand taucht ein See auf. Willkommen in Dalsland, Schwedens Gravelbike-Hochburg.

Den Sport, mit breiter bereiften Rennrädern durchs Gelände zu düsen, gibt es schon seit Jahrzehnten. Doch seit der Corona-Pandemie hat das Gravelbike, auf gut deutsch Schotter-Rad, dem Mountainbike als geländetaugliches Zweirad den Rang abgelaufen. „Graveln“ ist in – europaweit. Weil in Schweden nicht alle Ortsverbindungsstraßen asphaltiert sind und es darüber hinaus genügend geschotterte Forstwege gibt, liegt die Vermarktung als Skandinaviens Gravelbike-Destination auf der Hand.

Neun Journalisten sind eingeladen, die Region unter die Räder zu nehmen.Wir starten in Åmål am Vänernsee, wo uns Erik Josefsson erwartet. Er wird für vier Tage unser Reiseführer sein und hat für jeden ein Gravelbike vorbereitet. Noch schnell die Sitzhöhe angepasst, und los geht es. Sobald wir die Kleinstadt hinter uns gelassen haben, tauchen wir ein in eine grüne Oase aus Wiesen, Wäldchen, Seen. Und Schotterstraßen. Sie winden sich, mal mehr, mal weniger breit durch die Landschaft. Was wir schnell merken: Westschweden mag auf der Landkarte auf den ersten Blick flach aussehen, doch die Eiszeit hat die Landschaft zerklüftet. Sie hinterließ Hügel, Täler, felsige Schluchten. Und um die zweitausend Seen. 25 Prozent von Dalsland sind von Wasser bedeckt.

Sonnengott Balder verwöhnt uns

Erik führt uns kreuz und quer, bergauf und bergab unserer wohlverdienten Pause entgegen. Wir stoppen an einer alten Papierfabrik mit dem putzigen Namen „Not Quiet“, übersetzt „Nicht still“. Die Fabrik wurde Ende der 60er-Jahre aufgegeben und verfiel, ebenso der kleine Ort Fengersfors, dessen Einwohner plötzlich ohne Arbeit dastanden. Als vor gut 15 Jahren junge Designer, Handwerker und Künstler einen Platz für ihre Werkstätten und Ateliers suchten, stießen sie auf die alte Fabrik. Heute gibt es hier Läden, ein Café und eine Bäckerei. Dort wird hungrigen Radfahrern gern eine landestypische Fika serviert – eine Kaffeepause. Es gibt belegte Brötchen, Zimtschnecken, Kaffee oder Erfrischendes. „Hier kommen viele Radfahrer und andere Touristen vorbei. Weiter oben an der Straße gibt es jetzt auch noch einen Imbiss“, berichtet Erik. Keine Frage, die wiederbelebte Fabrik hat dem Ort gutgetan.

Verdient: eine typische Fika, eine Kaffeepause, natürlich mit Zimtschnecken.
Verdient: eine typische Fika, eine Kaffeepause, natürlich mit Zimtschnecken. © Daniel Breece

Den Abend verbringen wir in einem Hotel in Baldersnäs. Der Ort liegt – natürlich – an einem See und ist nach dem nordischen Gott Balder benannt. Der Sage nach war er der Schönste und Freundlichste der Asen, der Gott des Lichtes, der Sonne und der Wärme. Und tatsächlich verwöhnt uns Balder, bis die Sonne gegen zehn Uhr abends untergeht. Doch es wird die Nacht nicht richtig dunkel werden, weil der Mittsommer naht. Gegen vier Uhr morgens scheint schon wieder die Sonne.

Wir starten aber erst gegen neun Uhr. Gleich am zweiten Tag steht die Königsetappe an, 70 Kilometer durch Dalsland. Sofort schickt uns Erik über Schotterwege bergauf und bergab. Als wir unterwegs irgendwo im Nirgendwo an einem See vorbeikommen, begegnet uns ein VW-Bus mit Dresdner Kennzeichen – offenbar ist man als Sachse nie allein.

Ein Wanderweg auf Lindgrens Spuren

Die Landschaft wird im Nordwesten von Dalsland zerklüfteter und felsiger, Wanderschilder weisen in angrenzende Naturreservate. Gegen 13 Uhr erreichen wir gut durchgeschwitzt den kleinen Ort Håverud am Dalsland-Kanal. Die Wasserstraße wurde 1868 angelegt und verband die rückständig entwickelte Region mit dem größten See in der heutigen EU, dem Vänern. Dadurch konnten die Dalsländer ihre Produkte – Eisenerz und Papier – verschiffen, die Wirtschaft nahm einen Aufschwung. Später löste die Eisenbahn als Transportweg den Kanal ab. Heute hat der Dalsland-Kanal nur noch Bedeutung für Wassersportler und Ausflugsboote.

Tatsächlich tauchen an der obersten von insgesamt vier Schleusen plötzlich bunte Wimpel auf. Ein Ausflugsboot schiebt sich in die Schleusenkammer und passt gerade so hinein. Als die hinteren Tore geschlossen sind, werden die Schotten geöffnet. Mit Gewalt schießt das Wasser ins Becken darunter. Langsam sinkt das Ausflugsschiff, geschätzt fünf Meter dürfte der Unterschied sein. Dann wiederholt sich das Prozedere an der nächsten Schleuse. Es dauert gut 40 Minuten, bis das Boot alle vier Staustufen und eine Brücke, die zur Seite gedreht werden muss, hinter sich hat und den nächsten See ansteuern kann.

Schweden ist flach? Falsch. Es gibt Hügel, tiefe Täler, felsige Schluchten.
Schweden ist flach? Falsch. Es gibt Hügel, tiefe Täler, felsige Schluchten. © Daniel Breece

Auch wir machen uns bereit für den nächsten Abschnitt, ausnahmsweise gut zehn Kilometer auf einer Asphaltstraße. Am See Råvarp erwartet uns der nächste Stopp und ein kleiner Geschichtsexkurs. In dem Gebiet haben Menschen vor 2.500 bis 3.000 Jahren ihren Alltag in Steine geritzt. Man kann Jäger auf Wagen oder Schlitten, Tiere, Waffen und Sonnensymbole entdecken. In den Wäldern am Råvarp-See hielt sich übrigens auch Schwedens bekannteste Schriftstellerin auf: Astrid Lindgren entwickelte hier ihre Geschichte um „Ronja Räubertochter“. Heute führt ein Wanderweg durch die Gegend, wo man sich auf Lindgrens Spuren machen kann. Wir dagegen setzen uns in den Sattel und strampeln unserem Etappenziel entgegen.

Am nächsten Morgen steckt manchen noch die Königsetappe in den Beinen. Dazu kommt, dass das Wetter umgeschlagen ist. Heftiger Wind pustet aus Südwesten und bringt Regen mit. Doch der Zeitplan kennt kein Erbarmen. Am Abend werden wir am Ragnerud-See erwartet. Vor uns liegen weitere 62 Kilometer Schotterstraßen bei ständigem Auf und Ab. Wir strampeln los und müssen nicht nur dem Regen, sondern auch dem Gegenwind die Stirn bieten. Die Schotterstraßen sind im Regen „weich“ geworden. Selbst Erik, unser Gravelguide, flucht. „Fühlt sich wie Leim an den Reifen an“, versucht er uns mit einem Witz aufzumuntern. Bald lässt der Regen nach, und es kommt sogar die Sonne durch.

Der Wind weht kräftig - natürlich von vorn

Wir nähern uns dem Örtchen Bäckefors, wo uns Daniel Hedström erwartet. Zusammen mit Kenny Gustavsson betreibt er eine Craftbeer-Brauerei. 2015 fingen sie an, mit einem Sudkessel von gerade einmal 20 Litern Bier zu brauen. „Es schmeckte fürchterlich“, gesteht Hedström. Doch sie ließen sich von diesem Stotterstart nicht abschrecken, testeten und probierten, kauften größere Sudkessel und richteten sich in einer alten Werkstatt eine Brauerei ein. Hobby gewissermaßen, berichtet Hedström.

Sein Hauptberuf ist Zimmermann, sein Partner ist in der Computerbranche tätig. Unter dem Label „Brukskällan Bryggeri“ produzieren sie in zwei 500-Liter-Tanks inzwischen zwölf Biersorten, dazu vier verschiedene Tonics und einen Softdrink. Sie beliefern Restaurants, Kneipen und Geschäfte im Umland, 23.000 Liter Bier haben sie im vergangenen Jahr gebraut. „Dieses Jahr peilen wir 30.000 Liter an“, sagt Hedström.

Daniel Hedström betreibt im Dorf Bäckefors eine Craftbeer-Brauerei.
Daniel Hedström betreibt im Dorf Bäckefors eine Craftbeer-Brauerei. © Daniel Breece

Zurück auf den Rädern geht es südwärts. Die Umgebung wird flacher. Die Wälder und Seen weichen immer mehr Wiesen, eine Schafherde grast rechts des Schotterwegs. „Ich liebe die Zeit Ende Mai, Anfang Juni. Das frische Grün, die Wildblumen, das hohe Gras. Wenn der Wind weht, bewegt es sich wie Wellen auf einem Meer“, schwärmt Erik Josefsson von seiner Heimat. Der Wind weht tatsächlich, und zwar immer kräftiger, natürlich von vorn.

Als wir mit letzter Kraft den Ragnerud-See erreichen, liegen fast 200 Kilometer Schotterstraßen und Waldwege innerhalb von drei Tagen hinter uns. Wir wissen nun, dass Westschweden gar nicht flach ist. Dafür ist es aufregend und perfekt für Radfahrer, aber auch Wanderer und Wassersportler, die Ruhe, Abgeschiedenheit und ganz viel Natur suchen.

25 Prozent von Dalsland sind von Wasser bedeckt. Der nächste See ist nie weit entfernt.
25 Prozent von Dalsland sind von Wasser bedeckt. Der nächste See ist nie weit entfernt. © Daniel Breece

Radurlaub in Schweden

  • Anreise: mit dem Flugzeug ab Frankfurt/M. oder München Direktverbindungen nach Göteborg, von da noch rund 100 km mit Zug oder Leihwagen, Fährverbindung Kiel-Göteborg, 15 Stunden Fahrzeit über Nacht oder Fähre Rostock-Trelleborg (sechs Stunden), ab Trelleborg noch rund 450 Kilometer mit dem Auto bis Dalsland.
  • Geld: Schweden gehört zwar zu EU, hat aber noch die Schwedische Krone als Währung, Umrechnungskurs Krone-Euro derzeit 11:1, Achtung: Bargeldverkehr gibt es in Schweden kaum noch, es wird mit Karte oder via App mit Handy bezahlt.
  • Übernachten: vom Zeltplatz bis zum Hotel ist alles vorhanden. Wer flexibel sein möchte, konzentriert sich auf Zeltplätze, die in der Regel hervorragend ausgestattet sind und oft sogar kleine Hütten zu vermieten haben, womit man etwas mehr Komfort hat – Hinweis: stugar/stugor oder ledige hytter
  • Orientierung: Beim Radfahren am besten per Handy oder Navigations-Radcomputer. Über die Internetseite gibt es einige Informationen. Sehr ausführlich und auch in deutscher Sprache informiert diese Website . Hier gibt es eine Übersicht über elf verschiedene Rundtouren, inklusive Höhenprofil. Man kann sich den gpx.file herunterladen und die Touren nachfahren.
  • Radverleih: Kontakt zu lokalen Vermietern über diese Internetseite, dort auch geführte Radtouren.
  • Die Recherche wurde unterstützt von Visit Sweden.