Es hätte alles auch anders kommen können. „Wir waren drauf und dran, ein fertiges Wohnmobil zu kaufen“, sagt Ralf Schlechte aus Dresden. Doch der Termin bei einer Reisemobilmanufaktur in Süddeutschland endete für ihn und seine Frau Jana ernüchternd. „Obwohl wir auf diverse Ausstattung verzichtet hätten, wäre unser Wunschfahrzeug dadurch nicht billiger geworden“, berichtet der 53-Jährige. „Wir sind mit dem Gefühl nach Hause gefahren, uns das nicht leisten zu wollen.“
Den Traum vom eigenen Wohnmobil endgültig platzen lassen? Das kam für den Geschäftsführer einer Medizintechnikfirma aber nicht infrage. Er fuhr kurzentschlossen zum Mercedes-Autohaus seines Vertrauens und fragte nach Preisen für „nackte“ Kastenwagen. Nackt bedeutet, dass der Kastenaufbau hinter der Fahrerkabine bis aufs Blech leer ist. Der Rabatt für den laut Liste mehr als 80.000 Euro teuren Sprinter 317 CDI war so üppig, dass für Schlechte nur noch eine Frage offenblieb: „Wo muss ich unterschreiben?“
Wenige Monate später, im Februar 2024, stand der resedagrüne Mercedes auf dem Hof. Seitdem hat sein Besitzer viele Stunden seiner Freizeit damit verbracht, den Kastenwagen nach seinen Vorstellungen umzubauen.
Egal ob frisch zugelassen oder mit sechsstelliger Kilometerzahl auf dem Tacho: Einen Transporter mit Kühlschrank, Herd, Stromanschluss und Bett zum Camper umzubauen, liegt im Trend. Die Gründe dafür seien vielfältig, sagt Martin Kreplin vom Fachmagazin Explorer. „Der Wunsch nach Individualität treibt die meisten an.“ Oft seien es auch die vermeintlich niedrigeren Kosten.
„Mit dem Selbstausbau lässt sich im Vergleich zum Wohnmobil von der Stange ordentlich Geld sparen“, sagt Pia Voigt, Autorin eines gerade erschienenen Ratgeberbuchs. Die freie Journalistin hat vor wenigen Jahren rund 10.000 Euro für einen älteren Renault Master ausgegeben und weitere 10.000 Euro in den Umbau gesteckt. „Seit April 2023 bin ich damit dauerhaft unterwegs“, sagt die 27-jährige Weltenbummlerin, die ab Januar 2025 in Radeburg leben wird.
Ähnliche Zahlen nennt Martin Kreplin. Wer beispielsweise 15.000 Euro für einen rund 150.000 Kilometer gelaufenen Transporter ausgebe, sollte weitere 8.000 bis 10.000 Euro für die Aus- und Umbaukosten kalkulieren, empfiehlt der Fachmann.
Das Thema „Do it Yourself“ ist mittlerweile so groß, dass der Caravan Salon als weltweite Leitmesse seit drei Jahren Sonder-Events mit dem Titel „Abenteuer Selbstausbau“ anbietet. Egal ob Fahrzeugkauf, Grundrissplanung, Elektroinstallation, Heizen, Kochen oder Materialkunde: An Beratungsbedarf besteht ein Mangel. Regelmäßig würden Einsteiger die Komplexität eines solches Projektes unterschätzen, meint Martin Kreplin. Immerhin seien im Umbau sechs bis acht Gewerke vereint.
Ralf Schlechte sagt, für ihn selbst habe sich die jahrzehntelange handwerkliche Erfahrung bezahlt gemacht. „Außerdem habe ich vorher unzählige Youtube-Videos zum Thema angeschaut.“ Vom Anbringen spezieller Innenraumdämmung über das Tischlern der Bettkonstruktion bis hin zum Einbau von Heck- und Dachfenstern hat er alles alleine gemacht. Nur an der Elektronik vergriff sich der gelernte Rundfunktechniker nicht. „Man verliert sonst die Herstellergarantie.“ Ausschließlich von Mercedes autorisierte Firmen dürfen an der Bordelektronik werkeln. Die heikle Aufgabe übernahm schließlich die in Dresden ansässige Firma Element Camper. Zur vollsten Zufriedenheit von Schlechte: „Alles funktioniert perfekt.“
Der Wunsch nach einem eigenen Wohnmobil sei durch seine Hobbys entstanden, sagt der Vater von zwei erwachsenen Söhnen. „Ich klettere, fahre Mountainbike und Motorrad.“ Das rollende Domizil sollte genug Stauraum bieten und gleichzeitig nicht zu groß sein. „Ich wollte unbedingt unter sechs Metern Länge und dreieinhalb Tonnen bleiben“, sagt er.
Das Gewichtslimit einzuhalten, ist vor allem deshalb wichtig, weil ein Fahrzeug mit einem zulässigen Gesamtgewicht über 3,5 Tonnen rechtlich als Lkw gilt. Das erschwert im Alltag vieles – vom nötigen Führerschein über die Höhe der Mautgebühren bis hin zur Routenplanung auf Reisen.
Ralf Schlechtes Sprinter ist deshalb gewichtsoptimiert. Möbliert wurde mit leichten Materialien, gleichzeitig fehlt mancher Komfort, der in normalen Wohnmobilen als Standard gilt. So ist kein schwerer, fest verankerter Küchenblock an Bord, sondern eine mobile Lösung, die in eine kompakte Alukiste passt und per Schwerlastauszug aus dem Heck geholt werden kann. Gekocht wird meist im Freien. Als Sanitärlösung dient eine tragbare Trockentrenntoilette, dazu gibt es eine Outdoor-Dusche.
Richtig viel Platz nimmt dagegen das längs eingebaute, 1,70 Meter mal 2,10 Meter große Doppelbett ein. An der Liegefläche zu knausern, sei einer der häufigsten Fehler beim Selbstausbau, sagt Martin Kreplin. „Wir sehen oft zu kurze Betten – ausgehend von dem Wunsch, quer im Fahrzeug schlafen zu können.“ Solche im wahrsten Sinne des Wortes zu kurz gedachten Planungen rächten sich auf längeren Touren, sagt Kreplin. Auch Pia Voigt rät zu durchdachten Grundrissen: „Bitte nicht einfach drauflosbauen!“
Für die Wahl des Basisfahrzeugs gilt aus Martin Kreplins Sicht eine einfache Regel. „Je kastiger und eckiger, desto einfacher der Ausbau.“ Transporter wie der Mercedes Sprinter seien zwar beliebt in der Szene, aber eher ungeeignet für Selbstausbau-Novizen. „Sie sind eigentlich zu schmal, haben viele Rundungen, eine Blechhülle, die korrodieren kann und aktiv gedämmt werden muss, sind vergleichsweise schwer.“ Interessenten sollten lieber nach ausgemusterten Fahrzeugen von Paketlieferdiensten Ausschau halten – oder den Bau einer eigenen Wohnkabine erwägen. „So ein Koffer bietet gerade Wände, ist bereits gedämmt, leichter als eine Blechhülle und erlaubt es, Fenster und Türen nach Bedarf an jeder Stelle einzusetzen.“
Nach anfänglicher Nervosität beim Sägen der Aussparungen im Blech sei ihm der Fensterbau gut gelungen, sagt Ralf Schlechte. Auch insgesamt ist er mit dem Umbau zufrieden. „Für dieses Erstlingswerk brauche ich mich nicht zu verstecken.“ Die Jungfernfahrt des noch unfertigen Reisemobils führte im Frühling an den Gardasee. Seitdem hat Schlechte rund 10.000 Kilometer abgespult. Für die restlichen Arbeiten an der Innenausstattung setze er sich nicht unter Zeitdruck, sagt er.
Und die künftigen Traumreiseziele? Da muss Ralf Schlechte nicht lange nachdenken. „Mein großes Ziel ist, den Sprinter eines Tages zu verschiffen und damit durch die Vereinigten Staaten zu fahren.“
- Buchtipp: Pia Voigt: Bau dir deinen Camper: Schritt für Schritt zum Traum-Wohnmobil, Stiftung Warentest (Verlag), 224 S., 29,90 Euro.