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Leipziger Ökonom: „Wir brauchen eine Transformationspause“

„Deutschlands fette Jahre sind vorbei“ heißt Gunther Schnabls neues Buch. Im Interview erklärt er, was nötig ist, um die Wachstumsschwäche zu überwinden.

Von Nora Miethke
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Der Staat sollte sich aus der Wirtschaft zurückziehen, sagt der Leipziger Ökonom Gunther Schnabl.
Der Staat sollte sich aus der Wirtschaft zurückziehen, sagt der Leipziger Ökonom Gunther Schnabl. © Archivfoto: Anja Jungnickel

Professor Schnabl, es wird viel diskutiert über den Wirtschaftsstandort Deutschland. Ist diese Wachstumsschwäche hausgemacht?

Ja! Die Währung ist nicht mehr so stabil wie früher. Der Staat hat seine Ausgaben zu stark ausgeweitet. Und er greift stark über Regulierungen in die Wirtschaft ein. All das bremst das Wachstum.

Wer ist dafür verantwortlich zu machen, die Ampel-Regierung oder die vorherige unter Angela Merkel?

Das lässt sich nicht an einer Regierung festmachen. Der erste Fehler war die Einführung des Euros, was die Voraussetzung dafür geschaffen hat, die harte Deutsche Mark zu einem weichen Euro zu machen. Im Zuge der europäischen Finanz- und Schuldenkrise hat die Europäische Zentralbank (EZB) nicht nur die Zinsen zu lange zu niedrig gehalten und in großem Umfang Staatsanleihen gekauft. Die Regierungen unter Angela Merkel haben auch die Staatsausgaben zu stark ausgeweitet. Der Fehler der Ampel war es, zu glauben, dass sie so weitermachen könnte, obwohl die EZB die Zinsen erhöht hat und keine Staatsanleihen mehr kauft. Damit war die sehr ambitionierte Sozial- und Klimapolitik der Ampel nicht mehr finanzierbar.

Sie erläutern in Ihrem Buch, dass die Eurorettungspolitik positive Effekte für Westdeutschland hatte, aber negative für Ostdeutschland. Warum?

Durch den massiven Ankauf von Staatsanleihen hat die EZB einen großen Spielraum für zusätzliche Staatsausgaben geschaffen. Das hat zwar das Wachstum in ganz Deutschland gestützt, aber mit sehr unterschiedlichen Auswirkungen auf die regionalen Arbeitsmärkte. Es wurden viele zusätzliche Beschäftigungsverhältnisse in der Bundesverwaltung und in regulierungsnahen Dienstleistungsbereichen insbesondere in Berlin geschaffen. Von den Hilfen der EZB und des deutschen Staates profitierten in erster Linie die exportorientierten Großunternehmen, deren Zentralen in Westdeutschland liegen.

Hat die Politik bei der Schaffung von Jobs im öffentlichen Dienst den Osten vergessen? Oder sind ostdeutsche Politiker keine guten Lobbyisten in Berlin?

Wie die Entscheidungen genau verlaufen sind, weiß ich nicht. Aber das Problem scheint inzwischen in Berlin verstanden worden zu sein. Es kommen jetzt neue Behörden nach Ostdeutschland. Auch Subventionen scheint man jetzt gezielt nach Ostdeutschland zu schicken. Man denke an Intel in Magdeburg und TSMC in Dresden.

Bauarbeiter stehen auf der Baustelle des Smart Power Fab von Infineon. Die Bundesregierung fördert mit Milliarden-Subventionen neue Chipfabriken von Infineon und TSMC in Dresden. Foto: Sebastian Kahnert/dpa
Bauarbeiter stehen auf der Baustelle des Smart Power Fab von Infineon. Die Bundesregierung fördert mit Milliarden-Subventionen neue Chipfabriken von Infineon und TSMC in Dresden. Foto: Sebastian Kahnert/dpa © dpa/Sebastian Kahnert

Dann sind also die 40 Milliarden Euro für den Strukturwandel und die geplanten 5.000 Behörden-Jobs in den Kohleregionen durchaus gerecht?

Sie sind aus regionalpolitischer Sicht richtig. Aber es wäre besser gewesen, private wirtschaftliche Aktivität im Osten zu erhalten. Arbeitsplätze bei Behörden sind vergleichsweise unproduktiv. Behörden werden meist in großen Städten angesiedelt, damit sie für die Mitarbeiter attraktiv sind. Zusätzliche Staatsausgaben gehen so zugunsten der Zentren. Die Kaufkraft in der Fläche trocknet aus, weil die neuen Behörden über eine höhere Steuerlast für alle finanziert werden müssen. In den kleinen Städten schließen die Geschäfte auch deshalb, weil die jungen Menschen dahin abwandern, wo die Arbeitsplätze geschaffen werden. Es kehrt Trostlosigkeit ein. Das sollte man vermeiden.

Und warum waren Großunternehmen die Gewinner der lange andauernden Nullzinspolitik?

Erstens hat die EZB Anleihen von Großunternehmen gekauft. Kleine Unternehmen können keine Anleihen emittieren. Zweitens greifen gut organisierte Interessengruppen zu, sobald in Krisen große Rettungspakete geschnürt werden. Kleine Unternehmen sind dafür oft nicht ausreichend gut organisiert. Und drittens, je komplexer die Regulierung ist, desto schwieriger ist es für kleine Unternehmen, mit diesen klarzukommen, weil die nötigen Berater teuer sind. Viertens hat die EZB seit 2008 den Euro stark abgewertet. Davon haben vor allem die sehr exportorientierten Großunternehmen profitiert.

Warum ist die ostdeutsche Wirtschaft 33 Jahre nach der Wiedervereinigung immer noch so kleinteilig?

In einer Marktwirtschaft gibt es keine spezifischen Vorteile für kleine, mittlere oder große Unternehmen. Mittlere Unternehmen haben ausreichend Freiheiten, um zu großen Unternehmen heranzuwachsen. Das ist in einer stark vom Staat beeinflussten Wirtschaft, wie sie sich in Deutschland seit der Jahrtausendwende immer stärker herausgebildet hat, anders. Große Unternehmensverbände können politische Entscheidungen leichter zu ihren Gunsten beeinflussen. Das Institut für Weltwirtschaft hat das Subventionsvolumen im Jahr 2023 auf 362 Milliarden Euro geschätzt. Das ist ein immenser Betrag, der dazu beiträgt, die gegebene Wirtschaftsstruktur zu zementieren.

Was sollten also Entscheidungsträger in Ostdeutschland tun?

Einerseits sollte man in Ostdeutschland bei Subventionen und der Ansiedlung von Behörden darauf pochen, Versäumtes nachzuholen. Andererseits sollte sich der Staat aus der Wirtschaft zurückziehen und damit wieder mehr Handlungsfreiheiten geben. Dann würden sich für Ostdeutschland neue Perspektiven erschließen.

Guter Standort für Dienstleistungen und Tourismus

Welche sind das?

Das ist schwer vorauszusehen. Ostdeutsche Städte sind ein guter Standort für den Dienstleistungssektor, da die Immobilienpreise noch vergleichsweise niedrig und die Lebensqualität hoch sind. Ostdeutschland hat die schöneren Städte und schöne Landschaften mit einem hohen Tourismuspotenzial. Das könnte dann besser genutzt werden, wenn die Kaufkraft wieder wachsen würde. Man könnte auch über eine Sonderwirtschaftszone nachdenken, in der die Steuern und die Regulierungslasten geringer sind.

Sie erklären die Skepsis vieler Ostdeutscher gegenüber der grünen Transformationspolitik der Bundesregierung mit den Erfahrungen in der DDR?

Die Strukturen sind heute ähnlich wie in der Planwirtschaft vor 1990. Es werden politische Ziele gesetzt, die in einer bestimmten Zeit insbesondere mithilfe von Regulierungen erreicht werden sollen. Doch woher soll der Staat wissen, welches die umweltfreundlichste Technologie ist? Die älteren Ostdeutschen haben erlebt, dass, nachdem sie viele Einschnitte hingenommen hatten, die gesetzten Ziele nicht erreicht worden sind.

Der Transformationsprozess nach der Wende brachte nicht das erhoffte Wirtschaftswunder wie nach dem Zweiten Weltkrieg für die Westdeutschen, mit dem sich Ostdeutsche hätten identifizieren können. Ist das ein Grund für die Unzufriedenheit im Osten?

Einerseits hat es das Wirtschaftswunder gegeben. Der Lebensstandard ist nach 1990 stark gestiegen. Bei der Sanierung der maroden Infrastruktur und der verfallenen Städte hat die Marktwirtschaft Großes geleistet. Andererseits muss man auch die Ungerechtigkeiten sehen, die mit der Privatisierung der Unternehmen und der daraus entstandenen Arbeitslosigkeit verbunden waren. Es war ungerecht, dass die Ostdeutschen nach der Teilung eine Planwirtschaft bekommen haben, während den Westdeutschen die Marktwirtschaft Wohlstand beschert hat. Nach der Wende mussten die Ostdeutschen noch dazu große Anpassungslasten tragen. Nichtsdestotrotz ging es in 1990er-Jahren aufwärts. Das Problem heute ist, dass die positive Perspektive fehlt. Für viele geht es abwärts.

Was könnte eine Perspektive sein, die zu mehr Selbstbewusstsein im Osten führen könnte?

Wir brauchen wieder mehr wirtschaftliche Freiheit, die Chancen schafft. Die Wirtschaftspolitik des Bundes und der EU stört die marktwirtschaftliche Ordnung und befeuert damit Verteilungskonflikte. Hingegen haben nach dem Zweiten Weltkrieg die marktwirtschaftlichen Reformen unter Ludwig Erhard in Westdeutschland verbunden mit dem freiheitlichen Grundgesetz ein Wirtschaftswunder ermöglicht. Heute können wir uns an den einen oder anderen Strohhalm klammern, zum Beispiel grünen Wasserstoff oder Mikrochips. Die kostspielige Förderung einzelner Technologien kann aber nicht alle mitnehmen. Es braucht Wohlstand für alle.

Was muss sich aus Ihrer Sicht tun, damit es wieder aufwärts geht?

Es braucht eine stabile Währung, damit die Menschen nicht unter einer stetig sinkenden Kaufkraft leiden. Es braucht freien Wettbewerb, weshalb der Staat nicht einzelne Unternehmen subventionieren darf. Es braucht freie Preise, also keine Mindestlöhne, keine Preiskontrollen und keine Energiesubventionen, weil diese zu neuen Verwerfungen in der Wirtschaft führen. Das Privateigentum, die Vertragsfreiheit und das Haftungsprinzip müssen respektiert werden. Und vor allem braucht es Konstanz bei der Wirtschaftspolitik. Es darf nicht jeden Tag eine neue unausgereifte Idee durch das Land gejagt werden, da dies die Menschen verunsichert und die Planungssicherheit für die Unternehmen einschränkt. Die Menschen sind gestresst, auch weil ihnen ständig neue Opfer abverlangt werden.

Und was kann die Politik in Sachsen dazu beitragen?

Dafür eintreten, dass der Freistaat vom Bund und der Europäischen Union mehr Freiheiten bekommt: Weniger regulative Vorgaben, weniger Steuern und weniger Sozialabgaben. Man kann heute die Welt nicht grundlegend verändern, aber man kann konsequent auf mehr wirtschaftliche und persönliche Freiheiten hinarbeiten. Der erste Schritt wäre eine Transformationspause. Der zweite Schritt könnte eine Sonderwirtschaftszone sein.

Professor Gunter Schnabl (Jahrgang 1966) leitet das Institut für Wirtschaftspolitik an der Universität Leipzig. In seinem Buch "Deutschlands fette Jahre sind vorbei – Wie es dazu kam und wie wir ein neues Wirtschaftswunder schaffen können." , erschienen im FBV 2024, 25 Euro, zeigt Schnabl die wirtschaftspolitischen Fehler unter Angela Merkel, der Ampelkoalition und der europäischen Union auf, die seiner Ansicht nach alle von marktwirtschaftlichen Prinzipien abgerückt sind. Er liefert Lösungsansätze für eine mögliche Überwindung der Wachstumsschwäche.

Das Interview stammt aus der aktuellen Ausgabe von "Wirtschaft in Sachsen"