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Krisengipfel: Sachsens Gießereien suchen nach der richtigen Form

Sachsens Wirtschaftsminister will eine Energiewende aus einem Guss. Der Branchengipfel in Dresden sollte Klarheit bringen, wie das aussehen kann.

Von Michael Rothe
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Die Keulahütte GmbH in Krauschwitz bei Weißwasser ist eine Eisengießerei. Ein Großteil der Produktion wird zur Herstellung von Hydranten, Armaturen und Druckrohren verwendet. Der Betrieb gehört zu einer Firmengruppe mit Sitz in der Schweiz.
Die Keulahütte GmbH in Krauschwitz bei Weißwasser ist eine Eisengießerei. Ein Großteil der Produktion wird zur Herstellung von Hydranten, Armaturen und Druckrohren verwendet. Der Betrieb gehört zu einer Firmengruppe mit Sitz in der Schweiz. © SAE Sächsische Zeitung

Sachsens Gießereien sind mit der Gesamtsituation unzufrieden. Ihre Lage ist aber weit weniger witzig als der verbreitete flotte T-Shirt-Spruch. Auftrags- und Fachkräftemangel, verbreitete Kurzarbeit, Handelsbeschränkungen für Roheisen aus Russland, eine Wirtschaftspolitik, die wenig Planungssicherheit verheißt – und vor allem: viel zu teure Energiekosten.

Die Dekarbonisierung der Industrie, steigende CO2-Preise, lange Umsetzungszeiten für den Ausbau erneuerbarer Energien und die Flaute in der Autoindustrie sorgen zusätzlich für einen Anpassungsdruck, dem manche Adresse nicht gewachsen ist. Pleiten wie die der HAL-Gruppe, die auch im vogtländischen Plauen produziert, sorgen für Aufsehen. Und in der vergangenen Woche wurde für die gut 120 Jahre alte Sachsen Guss GmbH in Chemnitz-Wittgensdorf, mit rund 800 Beschäftigten Sachsens größte Gießerei, ein Insolvenzverfahren in Eigenverantwortung angeordnet.

Zeit für einen Krisengipfel bei Sachsens Wirtschaftsminister, mal wieder. Martin Dulig (SPD) traf sich am Dienstag mit Branchenvertretern in Dresden – wie zuvor schon mit der Stahlindustrie, die ähnliche Sorgen hat. Mit dabei: Gesandte von elf Gießereien unter anderem aus Coswig, Dresden, Pirna, Schmiedeberg, Krauschwitz und vom Bundesverband BDG.

Sachsen größter Vertreter der Branche im Osten

Der Freistaat ist der stärkste Branchenvertreter im Osten. 30 Gießereien beschäftigten dort gut 5.100 Menschen und erwirtschaften einen Jahresumsatz von 1,1 Milliarden Euro. Die Metallerzeugung und -verarbeitung ist das Fundament für alle anderen Industrien, vor allem für den Automobilsektor sowie den Maschinen- und Anlagenbau. Zudem sind Gießereien wesentlicher Teil der Kreislaufwirtschaft. Sie schmelzen alte Produkte und Schrotte ein und machen aus ihnen neue. Ohne ihre Erzeugnisse fehlt vielen Industriezweigen ein wichtiges Glied in ihrer Lieferkette. Und nicht zuletzt sind Gussteile für Windkraftanlagen und Wärmepumpen Ermöglicher klimaneutraler Technologien.

„Wirtschaftliche Transformation und Dekarbonisierung sind für energieintensive Branchen wie die Gussindustrie eine Mammutaufgabe“, räumt Minister Dulig ein. Sachsen habe „riesengroßes Interesse, dass vor allem unsere Grundlagenindustrie stark bleibt und die Gießereien die Transformation erfolgreich bestehen“. Die Umstellung der Produktion auf grünen Wasserstoff könne ihre Energiebilanz verbessern und die Kosten senken. „Wir haben uns erfolgreich eingesetzt, dass Sachsen ans Wasserstoffkernnetz des Bundes angeschlossen wird – etwa der Industriebogen Meißen“, lobt Dulig sich und sein Haus.

Und was sind die Ergebnisse des Gipfels? Es sei verabredet worden, beim Ost-Gießereitag am 7. November in Chemnitz mit dem Bundeswirtschaftsministerium einen Workshop zu organisieren, sagt Dulig. Der Freistaat wolle die Kontakte zur EU intensivieren, um dort Beschlossenes für hiesige Gießereien passgenau in die richtige Form zu bringen. Und man wolle das Image der Branche mit Kampagnen stärken. Dulig ist überzeugt, „dass es junge Leute gibt, die anpacken, sich die Hände schmutzig machen und beitragen wollen, damit wir auch im Zukunft Wohlstand haben“. Und das Ministerium möchte mit dem DLR-Institut in Zittau Technologieförderung für die Branche nutzbar machen.

Gießereien haben nur zwei Prozent Gewinnmarge

Für Max Jankowsky, Chef der GL Gießerei Lößnitz GmbH, war es „allerhöchste Zeit, miteinander zu sprechen, denn die Gießerei-Industrie steht vor einem entscheidenden Jahrzehnt“. Eine ganze Branche sei überfordert von Transformation und Energiewende, sagt er. Es gehe um Fortbestehen, Wachstum, gleichberechtigten Wettbewerb in Europa und die industrielle Souveränität Deutschlands.

Die Hoffnung auf Besserung zur Jahresmitte hatte sich nicht erfüllt. Der Auftragseingang ging wegen schwächelnder Bau- und Fahrzeugindustrie weiter zurück. Für eine Branche, deren Umsatzrendite bei nur zwei Prozent liege, sei das existenziell, heißt es vom BDG. Die geringe Marge mache sie besonders sensibel gegenüber Kostenerhöhung. Dazu gehörten die Energiepreise, die international nicht wettbewerbsfähig seien. So habe sich die Türkei hinter „Guss-Europameister“ Deutschland dynamisch zur Nummer zwei entwickelt.

Wirtschaft könnte ohne Gießereien nicht leben

BDG-Verbandschef Max Schumacher hat den Eindruck, in Dresden „nicht nur gehört, sondern auch verstanden worden zu sein“. Der Klimawandel sei nur mit Gießereien zu meistern, so ihr Cheflobbyist. Die Branche stehe zwar nur für ein Prozent der Wertschöpfung in Deutschland, aber die 99 Prozent könnten ohne sie nicht leben.

Dafür brauche es eine Politik, die den Mittelstand weder mit hohen Kosten noch mit Bürokratie überfordert. Und es brauche Planungssicherheit – nicht in Legislaturen, sondern für zehn bis zwölf Jahre. Auch Christian Lüke, Geschäftsführer der Dihag Holding GmbH in Coswig ist zufrieden – vor allem, weil Dulig Hilfe bei den stark gestiegenen Netzentgelten signalisiert habe.

Max Jankowsky, auch Präsident der Industrie- und Handelskammer Chemnitz, nennt die Gesprächsrunde „einen Anfang“. Und mit Blick auf den Landtagswahlkampf ergänzt er: „Die Themen überstiegen eine Legislatur und müssen langfristig platziert werden. Viele Fragen – von Netzentgelten bis zur CO2-Bepreisung – seien offen.

Eine Schlüsselbranche in Not

  • In Sachsen sind 20 Stahl- und Eisengießereien und zehn Nichteisen-Gießereien ansässig – die meisten in Ostdeutschland.
  • Der Freistaat ist seit 2019 Mitglied in der Allianz der Stahlländer.
  • Die deutsche Gießerei-Industrie ist Marktführer in Europa und rangiert in der Welt auf Platz 5.
  • Die Branche erwirtschafte 2023 mit rund 67.000 Mitarbeitenden einen Umsatz von 14 Milliarden Euro.
  • Die Gießereien gehören weit überwiegend zum Mittelstand und bilden somit das Rückgrat der deutschen Wirtschaft.
  • Laut einer Umfrage des Ifo-Instituts beurteilten sie ihre Situation nur nach der Wiedervereinigung, der Finanzkrise 2007/08 und in der Corona-Hochzeit schlechter als derzeit.
  • Keine zehn Prozent machen gute Geschäfte, über drei Viertel nennen ihre Auftragslage teils prekär.
  • Der Bundesverband BDG war mit einer Produktionsprognose von minus fünf Prozent ins Jahr gestartet.
  • Die Interessenvertretung geht mittlerweile von einem Produktionsrückgang von acht bis zehn Prozent für das Gesamtjahr aus.
  • Der Umsatz ist im Eisen- und Stahlguss um fast 14 und im Nichteisen-Metallguss um neun Prozent eingebrochen. Er entwickelt sich noch schlechter als die Produktion. (SZ/mr)