Er entwickelt die mobile Datenwelt der Zukunft. Tageszeitungen liest er dennoch lieber gedruckt. Auch die SZ. Papier, so sagt Gerhard Fettweis, hat manchmal auch seine Vorteile. Und Emotionen. Er, der Techniker und Ingenieur, Professor für Nachrichtentechnik der TU Dresden, hatte in seiner Schulzeit in Nordrhein-Westfalen selbst mal ein Jahr Journalismus im Deutschunterricht.
Mit 32 Jahren und damals jüngster Professor Deutschlands wurde er 1994 an die TU Dresden geholt. Vom Silicon Valley nach Dresden geholt. Er ist hiergeblieben. Das Geld dafür kam von Vodafone. Dieser Stiftungslehrstuhl existiert noch heute. 17 Firmen hat Gerhard Fettweis bisher gegründet und damit über 500 Jobs geschaffen. Fettweis gilt weltweit als einer der führenden Vordenker für mobile Netze. 1994, als die Handys noch Knochen waren, groß, schwer, schwarz-weiß, da hatte Fettweis bereits eine Vision: „Handys werden Farbdisplays haben, wir werden Videos darauf schauen, wir werden Fernsehen und Hörfunk damit empfangen. Zeitungen und Bücher lesen. Handys werden zum Tor ins Internet.“ Was wir heute Smartphone nennen, klang damals schräg und überflüssig. SZ-Wissenschaftsredakteur Stephan Schön sprach mit Gerhard Fettweis über wahnwitzige Ideen von damals und seine ziemlich verwegenen neuen Visionen.
Wie kommt man nur auf so etwas?
Ich denke mich halt gerne in die Zukunft.
Oder anders gesagt: Sie spinnen gern ein bisschen?
Mag sein. Einer der CEOs von Vodafone hat mich mal als Futurologen bezeichnet. Da habe ich erst einmal nachgeschaut, was das bedeutet.
Und, gibt’s sowas?
Ja, das war sogar mal eine Berufsbezeichnung, zur Zeit, als die ersten Weltausstellungen stattfanden. Futurologen entwarfen mit ihren spektakulären Ideen neue Zukunftsvisionen. Ein bisschen bin ich das wahrscheinlich schon.
Mal ehrlich, wie viele haben denn, als sie 1994 nach Dresden kamen, an Ihre Handy-Visionen geglaubt?
Fast keiner. Auch in Kalifornien nicht.
Außer Vodafone, was ja Ihren Lehrstuhl seitdem an der TU Dresden finanziert?
Auch die nicht. Sie interessierten sich mehr für die Verbesserung existierender Funknetze. Die aber einmal aufgebaut für Jahrzehnte reichen sollten. Ich arbeite daran, dass das nicht so ist. Bis heute.
Wo hatten Sie die Visionen vom Handy der Zukunft hergenommen? Zu viele Science-Fiction gelesen?
Ja gut, als Kind habe ich mich in dieser Richtung in der Bibliothek ausgetobt. Aber am Ende war es der Wunsch, die Ingenieurwissenschaft als eine Kreativwissenschaft zu betreiben. Die Elektrotechnik ist für mich die perfekte Kombination aus Mathematik und Kreativität. Wir erfinden täglich Dinge, die es bis dato noch nicht gibt.
Die Ideen von 1994, waren das Ihre eigenen Wünsche oder die einer Gruppe New-Tech-Nerds im Silicon Valley?
Das waren meine Ideen. Und damit kam ich hier in Dresden an. Ich war 32 Jahre alt und eben Professor geworden. Meine größte Sorge war damals: Was, wenn mir die Ideen ausgehen? Ich wollte nicht auf ein vorhandenes Thema aufspringen und dann versuchen, mit dem Nudelholz es noch breiter auszurollen. Nein, das war nicht meine Vorstellung, wie ich Prof sein wollte. Anstatt dessen habe ich den Erfindergeist aus dem Silicon Valley mitgebracht. Dort habe ich gesehen, wie Leute mit verrückten Ideen Dinge hervorgebracht haben, an die niemand auch nur ansatzweise gedacht hatte. Man kann mit Erfindungen ein bisschen an der etablierten Welt ruckeln.
Aber wäre genau das nicht für Sie im Silicon Valley deutlich besser gewesen als hier im Elbtal?
Ja durchaus, und Angebote gab es auch.
Weshalb wurde es dann doch Dresden?
Im Silicon Valley wäre ich einer unter vielen mit verrückten Ideen. Ich fand es hier in Dresden herausfordernder. Die Umstellung von Berkeley zu Dresden war natürlich krass. In allem: privat, dienstlich, Wetter, und Lebensumstände. Und es sollte ja nur für eine gewisse Zeit sein. Ich hatte mir damals fünf Jahre in Dresden gegeben, und die auch so mit meiner Frau ausgehandelt.
Es wurden mehr, fast 30 Jahre …
... weil die Menschen hier zu uns passen und die Gegend schön ist. Weil man hier unglaublich viel machen kann, und das Engagement des Stifters mit der Zeit, statt wie geplant auszulaufen, sich kontinuierlich vergrößert hat. Bis heute.
Jetzt, 30 Jahre später im Smartphone-Zeitalter, haben Sie eins wie jeder andere auch oder ist da Extra-Technik drin?
Nein, nichts Besonderes, ganz normal.
Alles ändert sich ja gefühlt mit atemberaubender Geschwindigkeit. Wurden Ihre Visionen vom Smartphone eigentlich schneller als erwartet Realität?
Nein, im Gegenteil. Ich musste lernen, dass es langsamer geht. Und es waren nicht unbedingt die technischen Probleme. Die hätte man schneller lösen können. Es sind mehr die wirtschaftlichen Probleme mit den nötigen Investitionen. Wenn ein Netzbetreiber in das Netz investiert hat, dann muss er dies über Jahre abschreiben, um sein investiertes Geld zu erwirtschaften, bevor er neu investieren kann.
Wie lange dauert es von Generation zu Generation im Mobilfunk?
Wir müssen erst einmal Ideen entwickeln. Bis so eine technische Idee reift, dauert es drei bis sechs Jahre. Zum Ende hin müssen wir dies überall herumzuerzählen. Danach beginnt die Standardisierung. Und dann muss das zum Produkt werden. Von der ersten Idee bis die Leute das Produkt in der Hand halten, dauert es locker zehn Jahre. Das heißt aber auch, wir müssen immer zehn Jahre vorausdenken. Themen, die wir heute in meinem Team diskutieren, sind wahrscheinlich zu futuristisch, um noch in den kommenden Standard 6G reinzukommen. Unsere jetzigen Ideen können daher wohl erst in 7G aufgenommen werden.
Was denn zum Beispiel?
Das bleibt erst einmal noch institutsintern.
Dann halt zurück zur näheren Zukunft: Wann wird 6G als Standard laufen?
Wenn es nach mir ginge, dann 2030 und uns dann 50 Jahre lang beschäftigen. Es gibt in der Industrie seitens der Hardware aber die Tendenz, dies früher in den Markt zu bringen. Das halte ich jedoch nicht für so wahnsinnig sinnvoll. Weil die Anwendungen noch gar nicht da sind. Und wir müssen bei jeder neuen Generation erst einmal im Feldversuch lernen, was eigentlich noch die Unzulänglichkeiten sind. Das wird ein Riesenschritt. Diese erneute technische Revolution ist vergleichbar mit der Erfindung des Internets.
Ich habe 5G auf meinem Handy und brauche das nicht, warum dann also auch noch 6G?
Dazu mal ein Blick zurück. Das erste Mobilfunknetz, das C-Netz, war für Sprachtelefonie. Zu teuer für den Privatkunden. Das zweite war dann das GSM-Netz. Damit war mobile Sprachtelefonie erstmals auch privat erschwinglich. Dass es dann auch noch die SMS gab, war eher ein Versehen, eine zufällige Entwicklung. Dann kam 3G, das mobile Internet. Für uns Konsumenten hat dies nichts gebracht. Das war viel zu teuer für private Nutzer. Die Videotelefonie für 2,50 Euro pro Minute war fürs Business gemacht. Das mobile Internet für den privaten Nutzer gibt es seit 2010 mit 4G, also LTE. Da stimmen die Datenraten und die Preise, so dass Videos Spaß machen.
4G kann also bereits alles, was Ihre Visionen von 1994 waren. Genau deshalb braucht niemand 6G …
… doch. Mit 5G sind wir wieder an einem Punkt wie bei 3G. Das ist für die Fernsteuerung in industriellen Anwendungen gemacht und das Taktile Internet. Das sind die Roboter, die mit uns zusammenarbeiten in der Fertigung, im OP-Saal und im Service. Parallel gewöhnen wir uns im Privaten daran, mit robotischen Helfern unsere Lebensqualität zu erhöhen.
Bisher sind die wirklichen persönlichen als Roboter noch ziemlich dürftig dran?
Solche Robbies als Partner für jede Person sind in der Tat bisher noch nicht im Alltag angekommen. Das schafft erst 6G. Roboter für Sport, Spiel, Garten, Hobby, Küche, Haushalt, für alle Lebensbereiche. Diese mobilen robotischen Assistenzsysteme werden autonom Dinge für uns erledigen. Sie werden uns eine neue Mobilität bis ins hohe Alter geben. Autonom fahrende Rollstühle oder Gehhilfen wie ein Exo-Skelett beispielsweise. Letzteres setzt Sensorik und die Kommunikation mit der Infrastruktur der Umgebung voraus, ganz ähnlich wie beim autonomen Fahren. Sonst wird’s gefährlich. Das Ding muss vorausschauend digital um die Ecke blicken können, damit nichts und niemand zu Schaden kommt.
Wieder mal so eine futurologistische Vision von Ihnen, wie die damals mit dem Handy. Warum lässt sich das nicht mit dem 5G-Netz aufbauen?
Weil es zu teuer und viel zu energiehungrig ist. Wenn wir all diese Services dem Verbraucher zur Verfügung stellen wollen, muss das 6G-Netz um Dimension besser und billiger sein. Beim Energieverbrauch um den Faktor zehn besser als 5G. Und dann steht da noch das ganz große Thema der Vertrauenswürdigkeit. Datensicherheit und Datenschutz sind da längst nicht alles. Wenn ich heute Bits und Bytes verliere, dann ist das ärgerlich und kann auch teuer werden. Wäre das aber bei autonom und kooperativ tätigen Robotern der Fall, dann könnte dies gefährlich bis tödlich sein. Diese Vertrauenswürdigkeit technisch zu erlangen, daran arbeitet mein Barkhausen-Institut, das vor fünf Jahren vom Freistaat gegründet wurde. Zum Jahresende werden dort bereits an die 100 Menschen forschen. Und auch unser medizintechnisches Zukunftscluster Semeco widmet sich der Vertrauenswürdigkeit, fokussiert auf die Medizintechnik.
Ihre 100 Forscher können ja wohl nie diese immense Aufgabe allein erfüllen?
Sollen sie auch nicht. Wir entwickeln technische Ideen, Konzepte und stiften tausende andere Menschen in der Welt damit an. In der Forschung und in Firmen.
Was hat der Standort Dresden und Sachsen davon?
Wir wollen hier Firmen gründen, die die Welt verändern, und hier Arbeitsplätze schaffen. Die ersten Gründungsinteressierten scharren schon mit den Hufen.
Ist das Silicon Valley da technisch nicht schon drei Mal weiter als Dresden?
Ich behaupte nein. Der internationale Beirat des Barkhausen Instituts bescheinigt uns, dass wir in dieser Art einmalig aufgestellt sind. Man muss da unterscheiden zwischen Funktionalität und Vertrauenswürdigkeit. Bei den Anwendungen, also der Funktionalität, ist das Silicon Valley freilich vorn.
Also, Dresden arbeitet an der Theorie…
…ist aber durchaus auch praktisch unterwegs. Wir, das Barkhausen Institut, leiten hier ein großes EU-Verbundprojekt, das eine neue Chip-Plattform für Europa entwickelt. Bei 4G und 5G spielt Europa überhaupt keine Rolle bei den Chips. Bei 6G muss dies anders werden. Wir wollen eine vertrauenswürdige Chip-Plattform hinbekommen, mit der sich auch die Privatheit der Daten nicht mehr umgehen lässt. Infineon, Nokia, Ericsson, NXP, die großen Netzbetreiber, eigentlich haben wir die gesamte Industrie dabei, die wir brauchen.
Und damit verderben Sie dann Google, Facebook und Co das digitale Geschäft mit den Daten?
Ja, was soll´s. Dann werden die heutigen Big Five im Silicon Valley und Seattle halt ihre Geschäftsmodelle etwas ändern müssen. Die Möglichkeiten, die es heute gibt, auf unsere Daten zuzugreifen, sind jedenfalls brutal. Das werden wir für all die robotischen Systeme, die da kommen werden, nicht zulassen. Personifizierte Daten bleiben künftig privat. Wir müssen Vertrauen schaffen. Und genau dafür sorgen unsere neuen Chip-Plattformen. Wir werden technische Systeme bauen, die die Sensorik und die Kommunikation um uns herum so separieren und isolieren, dass nur die Dienste darauf zugreifen können, die diese Daten wirklich benötigen. Beispielsweise wird eine Navigations-App der Zukunft durch neue Chips technisch nicht mehr die Möglichkeit haben, personalisierte Daten weiterzugeben.
Wie realistisch ist das denn nun?
Okay, manche meinen, das ist verrückt. Das war die Vision vom Handy damals aber auch. Ich denke aber, wenn wir das nicht hinbekommen, wird es nicht wirklich weitergehen.