Partner im RedaktionsNetzwerk Deutschland
Update Wirtschaft

Intel legt Baupläne für Chipfabrik in Magdeburg auf Eis: Was heißt das für Sachsen?

Intel versprach die modernste Chipfertigung der Welt in Magdeburg. Jetzt investiert der klamme Branchenpionier lieber zu Hause in den USA. Was wird nun aus den Milliarden-Subventionen? Und wie blickt man in Sachsen darauf?

Von Nora Miethke & Luisa Zenker
 8 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Bagger stehen am frühen Morgen auf dem Baugelände, auf dem der Chiphersteller Intel eine Chipfabrik errichten will.
Bagger stehen am frühen Morgen auf dem Baugelände, auf dem der Chiphersteller Intel eine Chipfabrik errichten will. © Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Magdeburg/Dresden/Santa Clara. Intel verschiebt den Start für den Bau seines 30 Milliarden Euro teuren Chipwerks in Magdeburg. Konzernchef Pat Gelsinger stellte eine Verzögerung von rund zwei Jahren in Aussicht - machte aber deutlich, dass es nur eine Schätzung auf Basis der erwarteten Nachfrage sei.

In der Bundesregierung ging sofort eine Debatte los, wie nun die eingeplanten Milliarden-Subventionen verwendet werden könnten.

Erster Spatenstich für dieses Jahr erhofft

Intel hatte in Sachsen-Anhalt den Bau von zunächst zwei Chip-Fabriken angekündigt. Dabei sollten rund 3.000 Arbeitsplätze entstehen. Der erste Spatenstich war für dieses Jahr angepeilt worden. Die Bundesregierung hatte im vergangenen Jahr staatliche Hilfen von 9,9 Milliarden Euro für die Ansiedlung in Aussicht gestellt. Die Freigabe der EU-Kommission dafür steht aber noch aus.

Noch vor wenigen Monaten hatte Gelsinger gesagt, dass in Magdeburg die modernsten Produktionsverfahren zum Einsatz kommen sollten, mit denen Intel zur erfolgreicheren Konkurrenz aufschließen will. Doch der Konzern kämpft mit Geldsorgen - und war gezwungen, irgendwo den Rotstift anzusetzen.

Bei dieser Abwägung gewann der Heimatmarkt: Gelsinger bekräftigte die Investitionen in den US-Bundesstaaten Ohio, Arizona, Oregon und New Mexico - und kündigte einen zweijährigen Stopp auch für die Pläne in Polen an.

Wohin mit den Subventions-Milliarden?

Für die Bundesregierung, die eine Finanzierungslücke im Haushalt hat, stellt sich nun die Frage, was man mit den für Intel vorgesehenen Milliarden zunächst einmal machen könnte. "Alle nicht für Intel benötigten Mittel müssen zur Reduzierung offener Finanzfragen im Bundeshaushalt reserviert werden", schrieb Finanzminister Christian Lindner auf der Online-Plattform X. "Alles andere wäre keine verantwortungsbewusste Politik", argumentierte der FDP-Vorsitzende. Parteifreund Torsten Herbst sprang ihm bei. "Sollten die nun freigewordenen Bundesfördermittel nicht benötigt werden, könnte der Bundeszuschuss im Klima- und Transformationsfonds reduziert werden, was den gesamten Bundeshaushalt entlasten würde", teilte der sächsische FDP-Bundestagsabgeordnete mit. Auf dem Podium des Ostdeutschen Energieforums in Leipzig sagte Herbst zur Intel-Entscheidung, dies zeige, dass man sich nicht „zu abhängig von Großunternehmen“ machen solle. Er bevorzuge die Förderung des Mittelstands. Thorsten Kramer, Vorstandsvorsitzender der LEAG AG widersprach ihm: „Auch der Mittelstand profitiert, wenn sich ein großes Unternehmen wie etwa Tesla ansiedelt“, gab aber zu, „es gibt keine Garantie, nur weil man groß ist.“

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hielt dagegen: "Wir werden jetzt gemeinsam beraten, wie wir mit nicht genutzten Mitteln sinnvoll und sorgsam umgehen und sie zum Wohle des Landes einsetzen." Aus dem Ministerium hieß es, die Gelder seien im Klima- und Transformationsfonds, genannt KTF, vorgesehen und stünden nicht dem Kernhaushalt zur Verfügung. In dem Fonds gibt es ebenfalls eine Milliardenlücke.

Die Haushälter im Bundestag prüfen, wo der Etatentwurf der Bundesregierung verändert werden muss - und wie die Lücke von 12 Milliarden Euro reduziert werden kann.

Intel-Entscheidung hat für TSMC-Ansiedlung in Dresden keine Bedeutung

Solide Staatsfinanzen seien wichtig, aber die Fördermittel zum Abbau offener Finanzfragen im Bundeshaushalt zu verwenden, sei keine zukunftsorientierte und verantwortungsvolle Politik, kritisiert Frank Bösenberg, Geschäftsführer des sächsischen Hightech-Verbandes Silicon Saxony e.V.. "Vielmehr gibt Intel der Politik jetzt Zeit, ihre Hausaufgaben zu machen und eine nationale Halbleiterstrategie mit industriepolitischer Wirkung zu entwickeln“, sagt Bösenberg.

Auf den Bau der ersten Chipfabrik des taiwanesischen Halbleiterkonzerns TSMC in Dresden hat die Intel-Entscheidung keinen Einfluss. "Es bleibt bei den Plänen. Die Projekte in Magdeburg und Dresden sind unabhängig voneinander", sagt Bösenberg. In Dresden erfolgte Mitte August der Spatenstich für die Chipfabrik.

Silicon Saxony: "Ohne Intel fehlt das Leuchtturmprojekt in Europa"

Die Entscheidung von Intel, die Chipfabriken in Magdeburg zu verschieben, hat Bösenbergs Ansicht nach vor allem negative Auswirkungen auf die europäischen Ziele, in der Halbleiterversorgung unabhängiger von Asien und Amerika zu werden. "Ohne Intel in Magdeburg fehlt vorerst das Leuchtturmprojekt in Europa. Die Ziele des EU-Chips Act werden verfehlt", betont Bösenberg. Weder ein europäischer Marktanteil von 20 Prozent noch die angestrebte technologische Souveränität durch eine Halbleiterproduktion unter 10 Nanometern erscheinen aus heutiger Sicht bis 2030 realistisch erreichbar, betont er.

Der Bundesverband Bitkom argumentiert in die gleiche Richtung wie Bösenberg. „Deutschland muss zum Zentrum der europäischen Chip-Industrie werden und sich auch weltweit in der Spitzengruppe positionieren. Dieses Ziel dürfen wir trotz der aktuellen Entscheidung Intels zum Bau einer Chipfabrik in Magdeburg nicht aus den Augen verlieren", fordert Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder. Halbleiter seien die Basistechnologie der deutschen Wirtschaft. Für 83 Prozent der Unternehmen, die Halbleiter-Bauteile und -Komponenten verwenden, seien sie unverzichtbar.

"Die nun frei werdenden zehn Milliarden Euro an staatlicher Förderung dürfen nicht in irgendwelchen Haushaltspositionen verschwinden. Die Fördermittel müssen gezielt in digitale Schlüsseltechnologien investiert werden", so Rohleder.

Sachsens Energieminister Wolfram Günther (Grüne) sieht ebenfalls keine direkten Auswirkungen für Sachsen. "Wir wissen, dass dieses Halbleitergeschäft ein extrem schwankendes Geschäft ist", sagte er am Dienstag bei der Kabinettspressekonferenz. Er machte jedoch klar, dass Sachsen in benachbarten Standorten keine Konkurrenz sehe, viel mehr gelte es, mit beispielsweise Tschechien und Sachsen-Anhalt Synergien zu heben. Er wünschte seinen Kollegen in Magdeburg alles Gute, trotz der für die Region schwierigen Entscheidung.

Auch im sächsischen Wirtschaftsministerium bedauert man die Entscheidung von Intel und hofft weiterhin auf die geplante Investition, da diese eine bedeutende Ergänzung für das Mikroelektronikcluster in Ostdeutschland darstellen würde. "Sachsen wird sich auf den Ausbau der hiesigen Halbleiterkapazitäten und der dazugehörigen Zulieferindustrie konzentrieren. Wir sind zuversichtlich, dass es uns gelingt, weitere Zulieferer und Dienstleister im Freistaat anzusiedeln, um das lokale Cluster weiter zu stärken", betont ein Sprecher. Das Investitionsklima im Freistaat sei nach wie vor rege, "doch wir dürfen uns nicht zurücklehnen. Im Gegenteil", heißt es. Die Rahmenbedingungen für industrielle Wertschöpfung müssten deutlich besser werden.

Ein Baustellenfahrzeug fährt über eine gesperrte Straße zu einer Zufahrt zum Baugelände der Intel-Chipfabrik auf dem "Eulenberg".
Ein Baustellenfahrzeug fährt über eine gesperrte Straße zu einer Zufahrt zum Baugelände der Intel-Chipfabrik auf dem "Eulenberg". © Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) telefonierte mit Gelsinger. Wirtschaftsminister Sven Schulze (CDU) setzt weiter auf eine Ansiedlung des Konzerns. "Intel hält, wenn auch mit einer zeitlichen Verzögerung, weiter an dem Projekt fest. Das ist für uns alle eine wichtige Nachricht", sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Voraussetzung dafür ist allerdings, dass es Intel in den kommenden zwei Jahren gut genug für weitere Milliardeninvestitionen geht. Der einst dominierende Branchenpionier bleibt heute bei den lukrativsten Halbleiter-Geschäften außen vor.

So werden Smartphone-Chips von Apple, Qualcomm oder Google auf Basis von Technologie des britischen Chipdesigners Arm entwickelt. Der Grafikkarten-Spezialist Nvidia dominiert bei Chips für KI-Software wie ChatGPT. Und produziert werden all diese High-Tech-Halbleiter hauptsächlich in Taiwan beim Auftragsfertiger TSMC.

Magdeburg ist Teil eines teuren Intel-Rettungsplans

Intel bleiben das Geschäft mit einigen Chips für Rechenzentren sowie Windows-PCs - doch auch hier griff zuletzt Qualcomm mit Arm-Prozessoren an. Der einstige Platzhirsch kämpfte derweil mehrfach mit Problemen bei neuen Chip-Generationen.

Gelsinger, der Anfang 2021 als Sanierer zu Intel zurückkam, hat einen ambitionierten - und teuren - Rettungsplan. Er will nicht nur erfolgreiche eigene Chips entwickeln, sondern auch so gut in der Fertigung werden, dass sich andere Firmen für Intel als Auftragsproduzenten entscheiden. Dafür werden die Fabriken in eine eigenständige Einheit innerhalb des Konzerns ausgelagert.

Und es sollen mehrere neue Werke gebaut werden - mit hohen staatlichen Subventionen. Dabei setzte Gelsinger auf die Angst vor Chip-Engpässen durch einen Konflikt um Taiwan. Denn ohne die Lieferungen von TSMC ginge im Westen sehr schnell kaum etwas, warnen Experten. Die Halbleiter-Knappheit in der Corona-Krise würde dagegen harmlos wirken.

Die Alternative: Fabriken in den USA und Europa. Das kostet viele Milliarden und dauert Jahre. Aber wenn es gelingen würde, Ende dieses Jahrzehnts rund die Hälfte der Produktion hochmoderner Chips in den Westen zu bringen, hätte man viel für Versorgungssicherheit erreicht, sagte Gelsinger im Februar. Ein Nebeneffekt: Intel wäre fester in den westlichen Chip-Lieferketten verankert. Magdeburg ist ein Teil dieses Plans.

KI-Chip für Amazon

Doch selbst wenn der Bund 10 Milliarden Euro in Magdeburg zuschießt - die restlichen 20 Milliarden müssen auch noch aufgebracht werden. Und Intel muss sparen. Allein im vergangenen Quartal fuhr der Konzern einen Milliardenverlust ein - und Analysten rechnen noch mit weiteren roten Zahlen. Gelsinger kündigte Anfang August bereits den Abbau von rund 15.000 Arbeitsplätzen an. Das sind etwa 15 Prozent der Belegschaft. Insgesamt will er zum kommenden Jahr mehr als zehn Milliarden Dollar einsparen.

In den USA, wo Intel ebenfalls Milliarden-Subventionen bekommt, konnte Gelsinger zugleich einen Erfolg für seine Auftragsfertiger-Strategie verbuchen. Intel werde einen KI-Chip für die Cloud-Sparte von Amazon mitentwickeln und fertigen, kündigte er an. (mit dpa)