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In der Lausitz wächst das höchste Windrad der Welt - doppelt so hoch wie üblich

Bei Klettwitz, nahe der Landesgrenze von Sachsen und Brandenburg, wird jetzt ein 365 Meter hohes Windrad gebaut. Eine neue Dimension - aus gutem Grund.

Von Michael Rothe
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2023 hatten Industriekletterer bei Klettwitz den größten Windmessmast errichtet (im Bild Tina Vekic und Emma Guidat). Unweit davon wird jetzt und auf Basis jener Ergebnisse ein neuer Superlativ bedient: das mit 300 mlt Nabenhöhe höchste Windrad der Welt.
2023 hatten Industriekletterer bei Klettwitz den größten Windmessmast errichtet (im Bild Tina Vekic und Emma Guidat). Unweit davon wird jetzt und auf Basis jener Ergebnisse ein neuer Superlativ bedient: das mit 300 mlt Nabenhöhe höchste Windrad der Welt. © kairospress

Von wegen: „Über allen Gipfeln ist Ruh“ – und dass man in den Wipfeln kaum einen Hauch spürt. Als Geheimrat Johann Wolfgang von Goethe 1780 eins seiner bekanntesten Gedichte schrieb, konnte er nicht wissen, dass dort oben und noch höher mehr als nur ein laues Lüftchen weht. So viel Wind, dass er 245 Jahre später zum Game-Changer, einem radikalen Spielveränderer, in der Energieerzeugung wird.

Ab Donnerstag baut die Dresdner Gicon-Gruppe im Schipkauer Ortsteil Klettwitz einen Höhenwindturm – mit 300 Metern Nabenhöhe das höchste Windrad der Welt. Er sei der erste von 1.000 solcher Türme, die der Ingenieurdienstleister bis 2030 in Deutschland bauen wolle, heißt es von Gicon. Weitere Standorte insbesondere in Bergbaufolgelandschaften seien in der Prüfung. Vergleichbare Windräder gebe es bislang nirgends, der Riese von Klettwitz breche alle Rekorde. Er sei mit insgesamt rund 365 Metern das zweithöchste Bauwerk Deutschlands und nur etwa drei Meter kleiner als der Berliner Fernsehturm.

© SZ-Grafik/Gicon

In dieser Höhe wehen konstante und stärkere Winde, und es werden auch auf dem Festland ähnliche Erträge erreicht wie bei Offshore-Anlagen: gut doppelt so hoch wie bei herkömmlichen Windrädern. Diese Annahme hat der 365-Tage-Betrieb des höchsten Windmessmastes auf der Hochkippe Klettwitz bestätigt. Die Ergebnisse zeigten auch, dass in der Höhe zwar noch Fledermäuse unterwegs seien, aber weit weniger als in tieferen Gefilden – nicht zuletzt, weil sich dort kaum Insekten aufhalten. Auch wegen dieses geringeren Kollisionsrisikos seien solche Räder umweltfreundlicher.

Jener Messmast wurde derweil in Klettwitz abgebaut und entsteht derzeit neu: in Jüchen bei Mönchengladbach. Wie einst im deutschen Osten erledigen Artur Gür und sein kleines Team von Industriekletterern auch den Job in Nordrhein-Westfalen. „Wir haben gerade die 200 Meter geschafft“, sagt der Montageleiter zur SZ. Auch beim Windturm in der Lausitz ist seine Truppe involviert und für die Installation von Kabeln und Messtechnik zuständig.

„Mit dem Höhenwindturm schreiben wir Geschichte“, jubelt Gicon-Chef Jochen Großmann. „Nach über zehn Jahren Forschung und Entwicklung können wir nun den Grundstein für ein neues Zeitalter der Windenergie legen. Das Dresdner Unternehmen mit seiner patentierten Technologie sei derzeit das einzige, das die Aufgabe meistern könne. Dass das Projekt von den Klettwitzern große Unterstützung erfahre, zeige die Neugier und Bereitschaft für die neue Technologie. Er sei „zuversichtlich, dass ihr Turm nicht lange der einzige Höhenwindturm in Deutschland bleibt“.

Sachsen Schlusslicht, aber 139 neue Windrad-Anträge

Gicon mit Sitz am Großen Garten in Dresden hatte Anfang September seinen 30. Geburtstag gefeiert. Unter Führung von Gründer und Honorarprofessor Großmann entwickelte sich das Unternehmen zum global agierenden Konzern mit 64 Millionen Euro Jahresumsatz. An über 20 Standorten arbeiten fast 700 Menschen. Neben ihrem Windrad-Know-how setzen die Sachsen auch im Offshore-Bereich Maßstäbe. Eine von ihnen entwickelte schwimmende Plattform – mit Seilen am Meeresboden verankert – erschließt bislang ungenutzte Flächen zur Windkraftnutzung. Auch in der Mikroalgenforschung und der Biogas-Technologie ist Gicon führend und außerdem ein gefragter Partner bei Batterie- und Chip-Großprojekten.

Auch wenn ein sächsisches Unternehmen bei dem Projekt federführend ist, kann es sich der Freistaat nicht ans Revers heften. Denn der Superlativ wächst gut zehn Kilometer nördlich der Landesgrenze im Brandenburgischen. In Sachsen hatte die Energiewende bislang viel Gegenwind. Mit nur drei in diesem Jahr installierten Windrädern ist das Bundesland sogar Schlusslicht. Zu wenig ausgewiesene Flächen, Bürokratie und reservierte konservative Landräte stehen besseren Zahlen entgegen. Immerhin dreht sich der Wind: Laut Sachsens Energieminister Wolfram Günther (Bündnis 90/Die Grünen) befinden sich 139 Windräder im Genehmigungsverfahren. Sie könnten eine Million private Haushalte mit Strom versorgen.

Zudem hat der Landtag im Juni eine verpflichtende Ertragsbeteiligung der Kommunen beschlossen: ab ein Megawatt Leistung per anno mindestens 0,2 Cent je erzeugter Kilowattstunde – in Summe pro Jahr 30.000 Euro für die Gemeindekasse.

Viel Potenzial für 2. Etage in deutschen Windparks

Schipkau hat nicht nur seinen Frieden mit den oft verteufelten Riesen gemacht – es profitiere sogar von ihnen. „Die Hälfte unserer Gewerbesteuern kommt aus erneuerbarer Energie“, sagt Bürgermeister Klaus Prietzel. Über ein Bürgerstrommodell würden alle zwei Jahre 450.000 Euro an alle 6.996 Einwohner ausgeschüttet. Die Firmen stünden Schlange, um sich im neuen Gewerbepark anzusiedeln. „Die Kommune wächst“, freut sich Prietzel. Nach Angaben von Gicon laufen derzeit Gespräche, die Einwohner auch an den Erlösen aus dem Höhenwindturm zu beteiligen.

Auftraggeber für das rund 20 Millionen Euro teure Bauwerk ist die Beventum GmbH, eine Tochter von SPRIND, der Bundesagentur für Sprunginnovationen. Zur feierlichen Grundsteinlegung am Donnerstag werden zahlreiche Gäste aus Politik und Wirtschaft erwartet, darunter Michael Kellner (Bündnis 90/Die Grünen), Staatssekretär Bundeswirtschaftsministerium. Noch in diesem Jahr würden die ersten Stahlelemente für den Gittermast montiert, heißt es. Fertigstellung und Inbetriebnahme seien in der zweiten Hälfte 2025 geplant.

Solche Giganten sorgen nicht nur für mehr Ertrag, sie können auch als 2. Etage in klassischen Windparks errichtet werden. Gicon sieht ein Nachrüstpotenzial von 4.000 Anlagen allein in Deutschland. Die Flächen würden so viel effektiver genutzt. Mit der Grundsteinlegung werde das Feld bereitet für ökologische Hybridkraftwerke, also die Kombination von Höhenwind- und Solaranlagen. Die Folge: konstant erzeugte grüne Energie und nachhaltige Jobs in der Strukturwandelregion Lausitz.