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Grundsteuer: Finanzämter legen Millionen Einsprüche auf Eis – wer davon profitiert

Immer mehr Finanzämter schieben die Bearbeitung der Einsprüche gegen die neue Grundsteuer auf. Warum das für Steuerzahler Vorteile hat und Verbände ärgert.

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Das Amt für Finanzen in Bielefeld habe ausgerechnet, dass es künftig für Eigenheimbesitzer 33 Prozent teurer, für Gewerbeimmobilien dagegen ein Drittel günstiger werden könnte.
Das Amt für Finanzen in Bielefeld habe ausgerechnet, dass es künftig für Eigenheimbesitzer 33 Prozent teurer, für Gewerbeimmobilien dagegen ein Drittel günstiger werden könnte. © dpa

Von Laura de la Motte

Deutschlands Eigentümer zittern vor einer Erhöhung der Grundsteuer. „Bisher sind rund drei Millionen Einsprüche eingegangen, auch weil Verbände und einige Steuerberater alle zum Einspruch raten“, berichtet Florian Köbler, Chef der Deutschen Steuergewerkschaft.

Ein Bericht des Magazins „Der Spiegel“ gibt den Ängstlichen recht. Das Amt für Finanzen in Bielefeld habe ausgerechnet, dass es künftig für Eigenheimbesitzer 33 Prozent teurer, für Gewerbeimmobilien dagegen ein Drittel günstiger werden könnte.

Die Finanzämter schieben die Einsprüche inzwischen auf die lange Bank. Was für die einzelnen Steuerzahler sogar Vorteile hat, ärgert Verbandsvertreter. Denn sie brauchen eine Einspruchsablehnung, um eine Musterklage einreichen zu können.

Das Handelsblatt erklärt, ob man trotz Einspruch Grundsteuer zahlen muss, ob die Kommunen die Daten trotzdem nutzen dürfen, um die neue Steuerhöhe zu berechnen und unter welchen Umständen ein Einspruch überhaupt sinnvoll ist.

Was ist die neue Grundsteuer?

Die bisherige Berechnung der Grundsteuer wurde für verfassungswidrig erklärt. Für die Neuberechnung müssen alle 36 Millionen Eigentümer Daten zu ihren Grundstücken ans Finanzamt melden. Bis zum 15. Mai sind bundesweit gut 88 Prozent der erforderlichen Grundsteuererklärungen eingegangen.

Die neue Grundsteuer wird in drei Stufen berechnet. Auf Basis der Daten aus der Grundsteuererklärung ermittelt das Finanzamt Grundsteuerwert und Grundsteuermesswert. Dieser wird mit dem Hebesatz der Kommune multipliziert. Zur Berechnung des Grundsteuerwerts nutzen Länder das Bundesmodell oder eigene Modelle.

Warum kann ich Einspruch gegen die Grundsteuer einlegen?

Viele Daten zum Grundstück hat der Eigentümer in seiner Grundsteuererklärung selbst eingegeben. „Wenn der Bescheid des Finanzamts individuelle Fehler enthält, ist es dringend notwendig, Einspruch einzulegen“, rät Kai Warnecke, Präsident des Eigentümerverbands Haus und Grund.

Das Finanzamt berechnet je nach Modell den Grundsteuerwert. Im Bundesmodell beispielsweise werden dafür mehrere Pauschalen wie der Bodenrichtwert oder eine fiktive Nettokaltmiete herangezogen. Wer die Methodik infrage stellt, kann den Einspruch auf mangelnde Verfassungsmäßigkeit stützen. Für einen Einspruch bleiben vier Wochen Zeit.

Wie muss ein Einspruch wegen verfassungsrechtlicher Bedenken erklärt werden?

Normalerweise muss dafür ein anhängiges Verfahren dem Bundesfinanzhof oder dem Bundesverfassungsgericht angeführt werden. In diesen Fällen stellt das Finanzamt das Einspruchsverfahren ruhend bis zum Ausgang des Verfahrens. Bei der neuen Grundsteuer gibt es bisher nur Klagen auf Ebene der Finanzgerichte.

Die Deutsche Steuergewerkschaft hatte laut Köbler mit fünf bis zehn Prozent Einspruchsquote bei der Grundsteuer gerechnet. „Inzwischen sind es bei einigen Finanzämtern schon 20 Prozent.“ Er sieht die Schuld dafür auch bei den Kommunen. „Hier sind auch sie gefragt, die Bürger zu beruhigen und klarzustellen, dass die Grundsteuereinnahmen insgesamt einkommensneutral bleiben werden.“

Unterschiede zwischen Privat- und Gewerbeimmobilien beispielsweise können die Bundesländer auch nachträglich noch ausgleichen. Bisher planen dies aber nur Sachsen und das Saarland.

Wie reagieren die Finanzämter bei der Grundsteuer?

Während in Hessen die Einsprüche schlicht liegen bleiben und verspätet bearbeitet werden, lassen erste Länder, die das Bundesmodell anwenden, die Einspruchsverfahren aus „Zweckmäßigkeitsgründen“ ruhen. „Dafür muss ein relevantes Verfahren vor einem Finanzgericht rechtsanhängig sein“, erklärt ein Sprecher des Finanzministeriums Brandenburg.

Normalerweise muss der Steuerzahler dieser Zweckmäßigkeitsruhe zustimmen. Auch das sparen sich die Steuerbeamten momentan: „Auch ohne ausdrücklichen Antrag gehen die brandenburgischen Finanzämter aus verwaltungsökonomischen Gründen davon aus, dass Einspruchsführer, die sich ausschließlich auf die Verfassungsmäßigkeit des neuen Rechts beziehen, einer Verfahrensruhe aus Zweckmäßigkeitsgründen zustimmen“, erklärt der Ministeriumssprecher. Eine analoge Erklärung hat auch Rheinland-Pfalz veröffentlicht.

Welchen Vorteil hat es, wenn der Einspruch ruht?

Wenn das Finanzamt einen Einspruch ablehnt, bleibt dem Verbraucher nur die Klage vor dem Finanzgericht. „Dass über den Einspruch nicht entschieden wird, hat für den Verbraucher den Vorteil, dass er nicht entscheiden muss, ob er klagt“, sagt Warnecke.

Der Bund der Steuerzahler (BdSt) fordert dieses Vorgehen bundesweit: „Wir sprechen uns ausdrücklich für die Vorläufigkeit der Grundsteuerwertbescheide beziehungsweise das Ruhen der Einspruchsverfahren aus.“ Dies würde unnötige Bürokratiekosten auf beiden Seiten vermeiden.

Aus Sicht von Haus & Grund ist das Einfrieren indes problematisch. „Wir empfinden die Praxis der Finanzämter, die Einsprüche nicht zu entscheiden, als Blockade“, sagt Warnecke. Erst wenn ein Einspruch abgelehnt wird, könnte man Musterklage erheben. Auch eine Klage direkt beim Bundesverfassungsgericht wurde trotz der Bedeutung des Themas bisher nicht zugelassen, kritisiert er.

Muss ich die neue Grundsteuer trotz Einspruch zahlen?

Die Grundsteuer wird laut dem BdSt trotz Einspruchs- und Klageverfahren auf der Grundlage der Neuberechnung festgesetzt. Die neuen Jahresbeträge sind wie bisher quartalsweise zu zahlen.

Können die Kommunen die Daten trotz Einsprüchen verwenden?

Sobald das Finanzamt den Grundsteuermessbetrag an den Eigentümer versendet, wird er auch der jeweiligen Gemeinde bereitgestellt. „Eine Einspruchseinlegung hat darauf keinen Einfluss“, erklärt der Sprecher des Finanzministeriums Brandenburg.

Ist ein Einspruch wegen Verfassungsmäßigkeit sinnvoll?

Steuergewerkschaftler Köbler meint, dass ein Einspruch wegen Verfassungsmäßigkeit nicht sinnvoll ist. „Entsprechende Klagen laufen bereits.“ Diese würden eines Tages vor dem Bundesverfassungsgericht landen. „Von einem jetzigen Einspruch profitiert ein Eigentümer nur, wenn das Bundesverfassungsgericht das Gesetz zur Berechnung der Grundsteuer für nichtig erklärt“, meint Köbler. Das werde jedoch aus politischen Gründen nicht passieren, denn dann müssten die Kommunen die Grundsteuer zurückzahlen. „Wenn das Gericht Änderungen an dem Gesetz verlangt, dann gelten diese in der Zukunft für alle Eigentümer“, ergänzt Köbler.

Der BdSt und Haus & Grund raten ungeachtet dessen trotzdem weiter zum Einspruch. Warnecke erklärt, das Urteil könne auch differenzierter ausfallen. „Das Bundesverfassungsgericht kann auch nur für diejenigen eine rückwirkende Änderung der Berechnung entscheiden, deren Bescheide noch offen sind.“

Dieser Artikel erschien zuerst im Handelsblatt.