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Der Erfinder von Elaskon wird 95 - und trauert

Günther Gedecke führte den Dresdner Schmierstoffhersteller über 34 Jahre. Seine Nachfolger gratulieren dankbar. Dennoch wird es keine fröhliche Geburtstagsfeier.

Von Michael Rothe
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Günther Gedecke, Ex-Chef des Schmierstoffherstellers Elaskon in Dresden,  mit dem Überlebenselexier für alle Trabis und Wartburgs.
Günther Gedecke, Ex-Chef des Schmierstoffherstellers Elaskon in Dresden, mit dem Überlebenselexier für alle Trabis und Wartburgs. © Elaskon/sabine Mutschke

Was regelmäßig mit Elaskon K-60 ML gepflegt wurde, hatte eine hohe Lebenserwartung. Das galt zu DDR-Zeiten für Trabis, Wartburgs und anderes Gefährt. Das Kürzel für „elastisch konservieren“ scheint aber auch auf den Vater und Namensgeber des legendären Rostschutzmittels selbst zu gelten. An diesem Freitag wird Günther Gedecke, langjähriger Leiter und Inhaber des Dresdner Herstellers von Spezialschmierstoffen, 95 Jahre alt.

Der Jubilar hat den Betrieb geprägt wie kein anderer. Gut neun Jahrzehnte in zwei Gesellschaftssystemen, über ein Drittel davon bei Elaskon in unternehmerischer Verantwortung haben Spuren hinterlassen: die Kindheit an der Annenkirche, die Bombennächte 1945, die Flucht durch das Inferno. Nach dem Krieg Wirtschaftsoberschule, Lehre im Mineralölwerk Lützkendorf, Hochzeit mit seiner Sandkastenliebe, die Jahre als Laborant im Werk Herrenleite in der Sächsischen Schweiz. 1957 wechselte Gedecke zur Firma Richter & Co, die technische Öle und Fette herstellte und vertrieb. Er übernahm die Geschäftsführung und leitete den Betrieb bis 1992.

Die Dose mit dem patentierten Ausgangsmaterial für Ableger von Seilschmierstoffen und Kfz-Rostschutz wie K-60 ML hütet Günther Gedecke wie einen Schatz. Die Aufnahme, im Vordergrund das verliehene Leipziger Messegold, ist aus dem Jahr 2015.
Die Dose mit dem patentierten Ausgangsmaterial für Ableger von Seilschmierstoffen und Kfz-Rostschutz wie K-60 ML hütet Günther Gedecke wie einen Schatz. Die Aufnahme, im Vordergrund das verliehene Leipziger Messegold, ist aus dem Jahr 2015. © SZ

Eine Zäsur war 1958 das Patent für Elaskon II. Dafür gab’s Leipziger Messegold. 1972 wurde der Betrieb verstaatlicht zum VEB Elaskon, später Kombinat mit 16 Betrieben und 1.500 Beschäftigten. Gedecke wurde Direktor, war viel unterwegs, auch im Westen – und kam immer zurück. Abhauen? Kein Thema! Daheim warteten drei Kinder und seine Frau, eine gelernte Säuglingsschwester.

Nachdem der Sachse 1992 die Rückübertragung des Werks durch die Treuhand durchgesetzt hatte, kam der Westen wenig später zu ihm. Gedecke verkaufte das Unternehmen an die Tankstellenkette Präg aus Kempten. Geschäftsführer wurde Karl Schwald, der das Unternehmen übernahm und es mit Sohn Tobias und Bruder Richard als Familienbetrieb leitete. Der Allgäuer war kein „Besser-Wessi“, sondern Elaskons Überlebensversicherung – einer mit Herz, Verstand und dem richtigen Riecher. Auch für die Fährte nach China, wo das Rostschutzmittel vor allem für Schrauben und Dübel eingesetzt wird, um Eisenbahnschienen auf Betonschwellen zu befestigen.

Als Gedeckes Nachfolger 2013 zu „Sachsens Unternehmer des Jahres“ gekürt wurde, freute sich der Rentner mit ihm – und war dennoch sauer. Schwald habe die eingerostete DDR-Marke wieder aufgepäppelt, hatte Saechsische.de den Sieger einst gewürdigt. „Und was ist mit meinen 40 Jahren im Betrieb?“, fragte Gedecke und pochte auf Anerkennung seiner Lebensleistung. Schließlich sei Elaskon sein Baby. „Wir haben am Ende eine Million Liter-Flaschen mit K-60 ML abgefüllt, dazu 3.000 Tonnen in Fässern“, erzählte er damals stolz.

Die Produkte aus Dresden gehen in 67 Länder

Das Wundermittel gibt es noch. Doch der Fokus der Elaskon Sachsen GmbH & Co. KG liegt längst auf Drahtseilschmierstoffen – einer Nische, in der die Sachsen Weltmarktführer sind. Kaum eine Seilbahn läuft ohne ihre Schmiere. 102 Mitarbeitende, darunter drei Lehrlinge, erwirtschafteten 2023 einen Umsatz von 39,3 Millionen Euro – mit Spezialschmierstoffen, Korrosionsschutz sowie Formen- und Trennmitteln. Die Produkte aus Dresden-Reick, in Summe 5.500 Tonnen, gehen in 67 Länder.

Gedecke ist noch immer eng verbunden mit seinen Elaskonern. „Gerade in der Anfangszeit waren seine Erfahrungen und Hinweise ein wichtiges Startkapital für uns“, sagt Karl Schwald. Er pflegt persönlich Kontakt mit dem Veteran – wohl wissend, dass er ohne ihn und den Lauf der Dinge nie Sachsens Unternehmerkrone hätte gewinnen können.

„Günther hatte viele Ideen, war ein absoluter Visionär.“ Das habe ihn fasziniert, sagt Schwald. Mit seinem riesigen Erfahrungsschatz und der Gabe, Menschen für sich zu gewinnen, sei er wertvoll für jede Gesellschaft gewesen. „Die, die sich pflegen, sind andern überlegen – das gilt für Menschen wie für alle Metallteile“, zitiert Schwald einen der legendären Sprüche und muss erneut lachen.

Trauriger Schicksalsschlag zwei Tage vor dem "95."

Gedecke konnte nicht nur reden, er hatte auch was zu sagen – am liebsten bei sich daheim im Dresdner Oberland: mit Blick ins Grüne, umgeben von Büchern wie „Drahtseile“, der Bibel jener Branche, Trophäen und anderen Erinnerungsstücken. Wenn er Plan- und Mangelwirtschaft reflektierte, geschah das nie im Zorn, trotz erlebter Drangsalierung der Privaten. „Ich war immer ein VEB-Mensch – plötzlich Kapitalist und hatte über Nacht ´nen Parteisekretär“, beschrieb er die aufregende Zeit. Mittlerweile fällt ihm das Sprechen schwer, fordert das Alter seinen Tribut.

Nach dem Rückzug von Karl Schwald aus dem operativen Geschäft lenkt sein Sohn Tobias die Geschicke von Elaskon. Auch unter ihm ist der Kontakt zu Günther Gedecke nie abgebrochen. Die Familie weiß, was sie dem Dresdner zu verdanken hat.
Nach dem Rückzug von Karl Schwald aus dem operativen Geschäft lenkt sein Sohn Tobias die Geschicke von Elaskon. Auch unter ihm ist der Kontakt zu Günther Gedecke nie abgebrochen. Die Familie weiß, was sie dem Dresdner zu verdanken hat. © Ronald Bonß

„Auf seine Lebensleistung kann Günther Gedecke sehr stolz sein“, würdigt Tobias Schwald, der seit einiger Zeit das operative Geschäft führt. Er habe Elaskon unter schwierigen Bedingungen zur angesehenen Marke entwickelt – „eine gute Ausgangsbasis für den Neustart in der Marktwirtschaft“. Noch im Ruhestand hatte Gedecke Unterlagen aus der Firmengeschichte geordnet und sie an die neue Leitung übergeben. 2020 ließ er es sich nicht nehmen, dem Dresdner DDR-Museum eine K-60-ML-Dose als Exponat zu übergeben.

Die Ausstellung ist seit gut einem Jahr Geschichte – im Gegensatz zum Traditionsbetrieb und zum Elaskon-Erfinder selbst. Seiner Ehefrau, die mit ihm durch dick und dünn gegangen war, ist es nicht vergönnt, den Geburtstag ihres Mannes mit ihm zu feiern. Margot starb an diesem Mittwoch, zwei Tage vor dessen "95." Zum Ehrentag erneuert Karl Schwald das Versprechen der unternehmerischen Erben. Elaskon werde trotz aller Übernahmeangebote eigenständig und der Sitz in Dresden bleiben, versichert er. Günther Gedeckes Lebenswerk ist gesichert.