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Wilsdruff: Virtuell um die Welt reisen

Aus einer Schnapsidee ist ein Geschäftsmodell geworden. Und das läuft beim Reiseveranstalter Eberhardt Travel in Kesselsdorf ganz gut.

Von Maik Brückner
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In einem Studio der Firma Eberhardt Travel in Kesselsdorf simulieren René Wächtler (rechts) und Marcus Richter eine virtuelle Reise.
In einem Studio der Firma Eberhardt Travel in Kesselsdorf simulieren René Wächtler (rechts) und Marcus Richter eine virtuelle Reise. © Norbert Millauer

Was für ein Ausblick. Im Vordergrund die Ruine eines griechischen Theaters, im Hintergrund der Ätna. Zu sehen ist die Aufnahme auf dem Großbildschirm im kleinen Fernsehstudio des Kesselsdorfer Reiseveranstalters Eberhardt Travel. René Wächtler und Marcus Richter könnten stundenlang über diese schöne Gegend im Süden Italiens erzählen. Denn beide arbeiten für den Reiseveranstalter.

Und sie würden es auch tun. Doch jetzt sind sie nur in dieses Studio gekommen, um die Technik zu zeigen, die sich das Unternehmen zugelegt hat, um mit seinen Kunden virtuell verreisen zu können. Die Idee ist in der Corona-Pandemie entstanden, als Reisen praktisch unmöglich war. "Es war eine Schnapsidee", erzählt René Wächtler und lächelt. Denn längst ist daraus ein Geschäftsmodell geworden.

Teilnehmer können Fragen stellen

Das läuft so gut, dass es die Industrie- und Handelskammer Dresden (IHK) beim Wettbewerb „Umdenker, Anpacker, Mutmacher gesucht!“ mit 5.000 Euro prämiert hat. Seit dem Start im Dezember buchten 4.500 Gäste eine der virtuellen Reisen. Das Publikum ist bunt gemischt, die Jüngsten sind 20 und Ältesten 89 Jahre alt. Auch Firmen buchten solche Reisen, um ihren Mitarbeitern etwas Gutes zu tun.

René Wächtler, von Haus aus Betriebswirt für Tourismuswirtschaft, arbeitet seit Ende 1999 bei Eberhardt Travel und ist seit 2006 als Prokurist tätig. Er kann sich noch gut an jenen Tag im November erinnert, als ihm im Gespräch mit seinem Kollegen Philip Seidel der erste Gedanke kam, mit den Kunden virtuell auf Reisen zu gehen. Real war es ja durch die Corona-Auflagen fast über Nacht unmöglich geworden.

Wächtler machte sich Gedanken, wie so eine Reise zum Erlebnis werden könne, auch für jemanden, der nur vor dem Bildschirm sitzt. Die Lösung: Die Reise sollte interaktiv werden, die Zuschauer sollten während der Präsentation Fragen stellen können. Direkt oder per Chat. Und sie sollten das Reiseziel mit anderen Sinnen erleben.

Pilotprojekt: Schottland

Das Pilotprojekt sollte Schottland sein, eines von Wächtlers Lieblingsreisezielen. Wächtler nahm Kontakt zu "Whisky und Genuss", einem Laden unweit der Dresdner Altmarktgalerie, auf, mit dem er ein Genusspaket mit vier verschiedenen Whiskysorten konzipierte. Beigelegt wurde ein Probierglas und Informationen. Um Schottland und seine Destillerien auch optisch gut zu präsentieren, richteten die Kesselsdorfer ein provisorisches Fernsehstudio mit großem Monitor und einer Webkamera ein. Mitte November startete diese erste virtuelle Reise.

Wächtler erklärte via Zoom-Plattform, wie man am besten nach Schottland kommt und welche Sehenswürdigkeiten man dort besuchen sollte. "Wir haben uns auf vier Regionen konzentriert." Roy Arnold von "Whisky und Genuss" erläuterte die Hintergründe zu den Whiskysorten. Die fünf Teilnehmer waren begeistert.

Weitere virtuelle Reiseangebote folgten ab Anfang Dezember. Weil die auf immer mehr Zuspruch stießen, inspirierte das Wächtler und seine Kollegen, weitere Reisen zu konzipieren und ein "größeres" Fernsehstudio zu installieren. Es wurde im Mai bezogen.

Die Kunden können derzeit zwischen 56 Reisen wählen. Es werden 45 Länder vorgestellt, Reisen gibt es aber auch zu den Themen Vulkane, Gewürze, Wikinger und Rosen. Im Angebot sind auch Genusstouren zu Wein, Gin und Whisky sowie zu Drehorten von Harry Potter und zum Serienhit "Game of Thrones."

Zu jeder Reise gibt es ein spezielles Genusspaket mit Produkten, die nicht im Supermarkt um die Ecke gekauft werden können, sondern aus den Ländern stammen, verspricht Wächtler. Man arbeite dazu mit mehrere regionalen Lieferanten zusammen. Organisiert werden die Produkte von den jeweiligen Länderspezialisten.

Auch örtliche Reiseleiter machen mit

Weil es Zeit braucht, die Genusspakete an die Kunden zu liefern sind, sind auch bei diesen Reisen Anmeldezeiten einzuhalten. "Gebucht werden sollten diese zwei Wochen im Voraus", so Wächtler. Wo es sich anbietet, werden die örtlichen Reiseleiter dazugeschaltet. "Das macht diese virtuelle Reise noch etwas authentischer."

Neu hinzugekommen sind virtuelle Städtereisen. Reiseleiter, mit denen Eberhardt Travel seit Jahren zusammenarbeitet, laufen mit einer Kamera durch eine Stadt wie Rom, Madrid, Moskau oder London und zeigen den Gästen am Bildschirm die Sehenswürdigkeiten, aber auch mal die Restaurants, die wegen Corona geschlossen haben. Auch diese Veranstaltungen werden von Kesselsdorf aus moderiert.

Alles in allem kosten diese Reisen im Schnitt 45 Euro, manche sind preiswerter, manche etwas teurer. In der Regel beginnen die Präsentationen, in denen rund 200 Folien gezeigt werden, gegen 19 Uhr und dauern zwei Stunden. Im Schnitt nehmen 25 Gäste teil. "Wir hatten schon mal eine Städtereise mit 200 Teilnehmern, das war zu viel."

Eberhardt Travel nutzt die Technik nun auch für normale Reisen. "Zu einer längeren Reise bieten wir Reisevorbereitungen an", sagt Wächtler. Die Kunden haben die Chance, den Reiseleiter und die Mitreisenden vorab kennenzulernen. Vor Corona fanden diese Treffen in einem Restaurant im Dresdner Hauptbahnhof statt. Doch weil immer mehr Kunden nicht in Dresden und Umgebung wohnen, sondern zum Großteil in anderen Bundesländern, kämen zu diesen Treffen nicht mehr alle Reisegäste. Deshalb werden diese Reisevorbereitungen digital stattfinden.

Die virtuellen Reisen waren auch fürs Betriebsklima wichtig, sagt Wächtler. Für viele Mitarbeiter, die in den letzten Monaten nur mit dem Umbuchen beschäftigt waren, war das eine neue Herausforderung. "So eine Präsentation zu erarbeiten, war eine Motivation. Sie reden ja gern über ihre Zielgebiete". Mit ihnen zusammen und den regionalen Partnern möchte Wächtler den zweiten Preis beim IHK-Wettbewerb feiern.

Eberhardt Travel und der Lockdown

  • Eberhardt Travel erwirtschaftet in normalen Geschäftsjahren einen Umsatz von rund 45 Millionen Euro im Jahr. Der Lockdown hat das Unternehmen hart getroffen.
  • Im Frühjahr 2020 musste die Mitarbeiter in Kurzarbeit gehen. Diese lief erst Ende Juni 2021 aus.
  • Auch 2021 lief kompliziert an. Da lange unklar war, wie sich das Reisegeschäft entwickelt, hielten sich die Kunden beim Buchen zurück. "Das sind die Folgen der Herbstdepression", sagt Wächtler.
  • Insgesamt hätten aber viele Kunden dem Unternehmen die Treue gehalten. Um die Kunden auch im Lockdown zu halten, war Eberhardt Travel auch während des gesamten Lockdowns telefonisch zu erreichen.