Partner im RedaktionsNetzwerk Deutschland
Update Politik
Merken

Keir Starmer ist neuer britischer Premierminister

Großbritannien erlebt einen politischen Umbruch. Erstmals seit einem Jahrzehnt stellt Labour wieder den Premier. Wer ist Keir Starmer und welche Probleme kommen auf ihn zu?

 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Keir Starmer, neuer Premierminister von Großbritannien, und seine Frau Victoria winken vor der Downing Street 10. Labour-Chef Starmer hat die Parlamentswahl gewonnen.
Keir Starmer, neuer Premierminister von Großbritannien, und seine Frau Victoria winken vor der Downing Street 10. Labour-Chef Starmer hat die Parlamentswahl gewonnen. © Kin Cheung/AP/dpa

London. Keir Starmer ist neuer Premierminister des Vereinigten Königreichs. König Charles III. beauftragte den Sozialdemokraten mit der Regierungsbildung. Der 61-Jährige hatte mit seiner Labour-Partei bei der Parlamentswahl einen deutlichen Sieg errungen und die Konservative Partei abgelöst, die 14 Jahre lang in Großbritannien regierte.

Starmer folgt auf den bisherigen Premierminister Rishi Sunak. Er ist Jurist, arbeitete als Menschenrechtsanwalt und war Chef der Anklagebehörde Crown Prosecution Service. Er führt die Labour-Partei seit vier Jahren.

Rückkehr in die EU schließt er aus

Auf den neuen Premier kommen etliche Herausforderungen im Land zu - etwa die Überlastung des staatlichen Gesundheitsdiensts NHS, Probleme in der Wohnungspolitik oder die Frage, wie das Land mit Einwanderung umgehen will. Großes Thema im Vereinigten Königreich sind auch die gestiegenen Lebenshaltungskosten.

Politisch verspricht wirtschaftliche Stabilität, ein besseres Gesundheitssystem und stärkeren Grenzschutz. Er will ein nationales Unternehmen für die Energieversorgung gründen und mehr Lehrer einstellen. Kippen will er den Plan der bisherigen Regierung, irreguläre Migranten ungeachtet ihrer Herkunft nach Ruanda abzuschieben. Eine Rückkehr seines Landes in die EU hat er ausgeschlossen.

Starmer muss Menschen erst noch von sich überzeugen

Begeisterung löst der als langweilig geltende Politiker, der nun in die Downing Street einzieht, bei den Briten nicht aus. Sein überragender Sieg bei der Parlamentswahl wird eher als Wunsch der Briten nach Veränderung gedeutet als eine Zustimmung zu seiner politischen Vision für das Land.

In vielen Politikbereichen blieb er vage. Mit Spannung wird daher erwartet, welche Veränderungen er einleiten wird, und ob er die Menschen in Großbritannien von sich überzeugen kann.

Die Führung der Labour-Partei übernahm Starmer von dem Alt-Linken Jeremy Corbyn, dem vorgeworfen wurde, nicht entschieden genug gegen Antisemitismus in seiner Partei vorzugehen. Starmer führte die Partei zurück in die politische Mitte und ging entschieden gegen antisemitische Tendenzen vor. Der Krieg im Gazastreifen führte allerdings in seiner Partei, die traditionell den Palästinensern nahesteht, immer wieder zu Spannungen.

Freitagabend soll der Familie gehören

Im Wahlkampf hatte Starmer gerne betont, sein Vater sei Werkzeugmacher und seine Mutter Krankenschwester gewesen. Weil seine Mutter schwer krank war, übernahm Starmer schon früh Verantwortung in der Familie, wie sein Biograf Tom Baldwin schreibt.

Starmer ist Fußballfan und Anhänger des Londoner Erstligisten FC Arsenal. Nach seinem Wahlsieg will er auch selbst noch ab und an auf dem Fußballplatz stehen. Die Freitagabende will er sich weiterhin möglichst für Ehefrau Victoria und seine beiden Kinder im Teenageralter freihalten.

Sunaks Zeit als Parteichef vor dem Ende

Die politischen Verhältnisse im Vereinigten Königreich stehen kopf. Die Konservative Partei des bisherigen Premierministers Sunak ist vernichtend geschlagen: Auf 144 Mitglieder schrumpft die Fraktion laut Prognose - kaum mehr als ein Drittel der bisherigen Mandate. Sunak selbst bleibt zwar im Parlament. Dennoch dürfte ihn das Ergebnis der "schwierigen Nacht", wie er es nannte, das Amt des Vorsitzenden kosten. In der Partei werden mehrere Anwärter auf seinen Chefposten gehandelt.

Wie groß letztlich die Labour-Mehrheit sein wird, ob 20 oder 200 Mandate, spielt im parlamentarischen System Großbritanniens keine Rolle. Aber natürlich macht ein komfortabler Puffer das Regieren für Starmer einfacher. Je geringer der Vorsprung, desto größer das Risiko, von Quertreibern in den eigenen Reihen bei strittigen Themen erpresst zu werden. Für Starmer scheint der Weg nun frei, seinen selbsterklärten Anspruch umzusetzen und Großbritannien durch ein "Jahrzehnt der nationalen Erneuerung" zu führen.

Breite Strömungen innerhalb der Labour-Partei

Starmer muss zunächst einmal alle Strömungen innerhalb der Partei bei Laune halten. Labour ist nicht einfach mit der deutschen Schwesterpartei SPD gleichzusetzen. Das Spektrum würde in Deutschland - wenn man einen Vergleich versucht - in etwa von der Linkspartei bis zum eher konservativ orientierten Seeheimer Kreis in der SPD reichen.

Der linke Flügel um Ex-Parteichef Jeremy Corbyn, der 2019 krachend gegen den damaligen konservativen Premier Boris Johnson verlor und anschließend von Starmer aus der Partei gedrängt wurde, dürfte aufbegehren, wenn Labour zu sehr in die politische Mitte rückt. Den Platz dafür haben die Konservativen mit ihrem starken Rechtskurs der vergangenen Jahre freigegeben.

Tatsächlich muss Labour auch einige Dämpfer hinnehmen. Spitzenpolitiker Jonathan Ashworth verliert seinen Wahlkreis überraschend an einen unabhängigen, propalästinensischen Kandidaten. Selbst Parteichef Starmer erhält deutlich weniger Stimmen als beim vorigen Mal. Auch ihm setzte ein Bewerber zu, der das israelische Vorgehen im Gazastreifen kritisiert.

Große Mehrheit trotz recht weniger Stimmen

Im britischen Mehrheitswahlrecht gelingt nur dem Sieger eines Wahlkreises der Sprung ins Unterhaus. Stimmen für die unterlegenen Kandidaten haben keine Auswirkungen. Tatsächlich aber geht es durchaus eng zu: Obwohl Labour im Unterhaus fast eine Zweidrittelmehrheit erreichen dürfte, hat die Partei wahrscheinlich deutlich unter 50 Prozent der Stimmen erhalten. Auch die Wahlbeteiligung war anscheinend sehr niedrig.

Das zeigt sich auch im Ergebnis der kleineren Parteien. Die Liberaldemokraten können laut Prognose die Zahl ihrer Sitze verfünffachen, die Rechtspopulisten von Reform UK kommen aus dem Stand auf 13 Abgeordnete - deutlich mehr als erwartet. "Labour muss in der Regierung hart dafür arbeiten, die Wähler an sich zu binden, die 2024 für Starmer gestimmt haben. Weil sie nicht Labour wählen, sondern die Tories loswerden wollten", kommentiert Sky-News-Reporterin Rigby. (dpa)