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Russischlehrerin nimmt spontan Flüchtlinge auf

Gabriele Jauer aus Jänkendorf wollte ursprünglich nur beim Dolmetschen für einen Hilfskonvoi helfen. Nun bietet sie einem Ehepaar aus Charkiw ein neues Zuhause.

Von Steffen Gerhardt
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Russischlehrerin Gabriele Jauer hat Saniia Widernikov (v.l.) und ihren Mann Wowa in ihrem Haus in Jänkendorf aufgenommen.
Russischlehrerin Gabriele Jauer hat Saniia Widernikov (v.l.) und ihren Mann Wowa in ihrem Haus in Jänkendorf aufgenommen. © SZ/Steffen Gerhardt

Es ist der Artikel in der Sächsischen Zeitung, der Gabriele Jauer am ersten März-Sonnabend den Anstoß gibt, sich spontan für Flüchtlinge aus der Ukraine zu engagieren. Darin wird berichtet, dass das Eibauer Reiseunternehmen "Komm mit Reisen" an jenem Wochenende einen Hilfstransport mit drei seiner Busse an die rumänisch-ukrainische Grenze startet.

"Ich las, dass auf der Rückfahrt Flüchtlinge mitgenommen werden und eine Dolmetscherin mit Englisch-, besser noch mit Russischkenntnissen gesucht wird. Also rief ich in Eibau an und war gleich als Begleiterin gebongt", erzählt Gabriele Jauer. Ihr Ehemann sprach ihr zu, diese Aufgabe zu übernehmen. Schließlich hat sie für ihren Lehrerberuf einst Russisch und Geschichte studiert und ist deshalb bestens geeignet für diesen Hilfstransport.

Gabriele Jauer ergänzte ihr Wissen noch mit einem Studium der englischen Sprache. Sie war stellvertretende Schulleiterin in Rietschen, wechselte nach Rothenburg und Doberschau bei Bautzen. Sie unterrichtete ab 2008 für elf Jahre in Nordrhein-Westfalen und kehrte vor drei Jahren als Rentnerin mit ihrem Mann in ihr elterliches Wohnhaus in Jänkendorf zurück.

Einen ganzen Tag im Bus unterwegs

Für sie ging es am selben Tag von ihrem Heimatort nach Eibau, wo am Abend drei Reisebusse von "Komm mit Reisen" und einer von "Michel Reisen" nach Rumänien starteten - vollbeladen mit Hilfsgütern für die Geflüchteten. Gabriele Jauer ist nicht die einzige pensionierte Lehrerin auf dieser Reise. Mit ihr fuhr in einem anderen Bus Liane Schmidt. Sie hat an der Hochschule Görlitz-Zittau unterrichtet.

Es brauchte einen ganzen Tag, um die rund 1.500 Kilometer bis an die Grenze zur Ukraine zu bewältigen. Das Ziel war die Stadt Suceava, rund 40 Kilometer vor der ukrainischen Grenze. "Was ich dort erlebte, hätte ich nicht für möglich gehalten. Menschen über Menschen. Ein großes Hotel war der Aufnahmeort für die vielen geflüchteten Frauen und Kinder. Einer der Säle war vollgestellt mit Liegen, in anderen Räumen warteten die Menschen auf ihre Registrierung und Weiterfahrt", schildert die Jänkendorferin ihre ersten Eindrücke.

Gabriele Jauer (vorn) und Liane Schmidt sind pensionierte Lehrerinnen. Mit ihren Fremdsprachenkenntnissen sind sie für die ukrainischen Flüchtlinge eine große Hilfe.
Gabriele Jauer (vorn) und Liane Schmidt sind pensionierte Lehrerinnen. Mit ihren Fremdsprachenkenntnissen sind sie für die ukrainischen Flüchtlinge eine große Hilfe. © SZ/Markus van Appeldorn

Alles ist gut durchorganisiert

Chaos erlebte Gabriele Jauer nicht. Unzählige Helfer, vor allem Rumänen, hatten die Organisation fest in der Hand. Auch die Personen, die in die Oberlausitz reisen sollten, waren bereits auf Listen erfasst. Ebenso, wer bei Bekannten und Verwandten unterkommt. Eine Frau ist der 65-Jährigen besonders im Gedächtnis geblieben: Irena. Die Ukrainerin lebt mit ihrem deutschen Mann in Dresden. Sie wollten Urlaub machen in Irenas Heimat. Bis nach Suceava sind sie zunächst gefahren, um zu übernachten. "Am nächsten Tag brach der Krieg aus, an Urlaub war nicht mehr zu denken. Sie blieben in der Stadt. Statt ihren Urlaub zu genießen, helfen sie unermüdlich den Flüchtlingen. Registrieren sie und organisieren ihre Weiterfahrt", erzählt Gabriele Jauer.

Montag, nach 17 Uhr, rollte der Buskonvoi mit rund 180 Menschen an Bord zurück nach Deutschland. In Gabriele Jauers Bus saßen 42 Flüchtlinge, darunter 19 Kinder. Das Jüngste zählte zehn Monate. Die Mütter und Großmütter wollten wissen, was sie nun erwartet, wohin sie gebracht werden. "Es gab viel zu besprechen und zu erklären", sagt die Russischlehrerin. Am Dienstagnachmittag in Görlitz angekommen, ging die Fahrt gleich weiter nach Kollm. Im Freizeit- und Schulungsheim des CVJM bezogen die Frauen und Kinder wieder richtige Betten mit Bettwäsche.

Zu allem Unglück war dort die Waschmaschine kaputt. "Also sammelte ich die Wäsche der Erwachsenen ein, wusch sie zu Hause und nahm sie gebügelt wieder mit nach Kollm", erzählt Frau Jauer. Mit ihrem Arzt in Bautzen organisierte sie kurzerhand eine neue Waschmaschine für das Heim. Seitdem läuft sie in Kollm im Dauerbetrieb.

Mit Tasche und Rucksack geflüchtet

In Kollm endete das Engagement von Gabriele Jauer nicht. Bereits im Bus lernte sie Saniia und Wowa Widernikow kennen. Ein Rentnerehepaar, das aus der umkämpften Stadt Charkiw geflohen ist. "27 Stunden sind wir unterwegs gewesen, bevor wir in Rumänien in Sicherheit waren", berichtet die 72-jährige Ukrainerin.

Bis Kriegsausbruch hat sie sich in einem Geschäft für ihre Rente noch etwas dazu verdient. "Mein Mann hatte immer noch Hoffnung, dass es so schlimm nicht wird, aber als die Bomben fielen, sind wir nur mit Rucksack und Tasche schnell geflüchtet", übersetzt Gabriele Jauer die Schilderungen von Saniia Widernikow. Ihr Mann ist 66 Jahre und arbeitete noch bei einem Wachschutz.

Seit über einer Woche leben Widernikows in Frau Jauers Haus. Mag es das Alter sein oder die Sprache, die beide Ehepaare in kurzer Zeit eng verbindet. "Mir ist, als kennen wir uns schon lange, wir haben ein herzliches Verhältnis zueinander", freut sich die Gastgeberin.

Ihre Mutter musste Saniia Widernikow in der Stadt zurücklassen. Mit ihren 96 Jahren und ihrem Gesundheitszustand ist die Dame nur schwer zu transportieren. "Wir sind in großer Sorge um sie, aber auch um unsere Wohnung. Auch wenn sie ganz bleibt, sind wir vor Plünderungen nicht sicher", erzählt die Tochter von ihren Ängsten. Ihre Mutter hat als 15-jähriges Mädchen den Krieg der Deutschen in der Ukraine erlebt. In ihrem hohen Alter sind es nun die Russen, die Zerstörung und Elend über ihr Land bringen. "Sie sagt sich, was passiert, passiert" - und für einen Moment zieht ein Lächeln über Saniias Gesicht.

Das ändert sich schlagartig, wenn sie an ihren Sohn denkt: "Vor 16 Jahren ist er wegen der Arbeit nach Moskau gezogen. Mit seiner Frau und den zwei Kindern lebt er seitdem dort", berichtet Saniia Widernikow. Dass beide Länder jetzt Krieg gegeneinander führen und dadurch das Leben auch in Russland schwieriger geworden ist, hat sich niemand aus ihrer Familie träumen lassen. Aber: "In seinem Körper schlägt ein ukrainisches Herz!", betont seine Mutter. Sie hofft darauf, ihn und seine Familie bald wieder in die Arme schließen zu können - in ihrer Heimatstadt Charkiv.