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Maschmeyer hilft Geflüchteten: Hotel zur guten Hoffnung

Der Milliardär Carsten Maschmeyer hat ein Hotel in Hoyerswerda angemietet, in dem nun Geflüchtete aus der Ukraine unterkommen. Ausgelöst hat er dort viel mehr. Ein Besuch.

Von Henry Berndt
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Seit März beherbergt das Hotel in Hoyerswerda vor dem Krieg geflüchtete Ukrainer.
Seit März beherbergt das Hotel in Hoyerswerda vor dem Krieg geflüchtete Ukrainer. © Jürgen Lösel

Eines der besten Verstecke ist unter dem Tresen der Rezeption, aber auch der Frühstücksraum bietet einige Möglichkeiten. Zuletzt hat sich ein Junge dort so gut versteckt, dass er abends nach dem Abschließen der Tür klopfend auf sich aufmerksam machen musste.

Das City-Hotel in Hoyerswerda ist in den vergangenen zweieinhalb Wochen zum Abenteuerspielplatz geworden, besonders an ungemütlichen Tagen wie diesem. Auf dem Fernseher in der Lobby, wo sonst Nachrichten laufen, sind jetzt Trickfilme zu sehen. Kreischend spielen die Kinder zwischen drei und zehn Jahren im Erdgeschoss Fangen. Bunte Roller und Laufräder düsen über den Teppich durch die Gänge und biegen in das Spielzimmer ein, das eben noch ein Tagungsraum war.

Eine einst weiße Raufaserwand hier ist jetzt von oben bis unten vollgemalt. Nahe der Decke fliegt eine Friedenstaube. An einer anderen Stelle hat jemand "Thank you Germany" geschrieben. In einem großen blau-gelben Herz steht der Name "Carsten". Es ist eine besondere Liebeserklärung.

Das hat ihn wirklich bewegt": ein gemaltes Dankeschön für Carsten Maschmeyer an einer Wand im Tagesraum des City-Hotels Hoyerswerda.
Das hat ihn wirklich bewegt": ein gemaltes Dankeschön für Carsten Maschmeyer an einer Wand im Tagesraum des City-Hotels Hoyerswerda. © Jürgen Lösel

Gemeint ist Carsten Maschmeyer, jener schillernde Milliardär, der sich in den 90er-Jahren ein Image als raffgieriger Finanzhai erarbeitete, nachdem er unzählige Privatanleger mit fragwürdigen Finanzprodukten der von ihm gegründeten Firma AWD und überhöhten Provisionen ins Unglück gestürzt hatte. Noch bekannter wurde Maschmeyer in den vergangenen Jahren als wichtiger Protagonist in der erfolgreichen Fernsehshow "Die Höhle der Löwen", in der junge Gründer die Chance bekommen, ihre Ideen vorzustellen und Investoren von einer Beteiligung zu überzeugen.

Seine Rolle dort half dem 62-Jährigen, seinen ramponierten Ruf ein wenig aufzupolieren. Am liebsten nämlich sieht sich Maschmeyer selbst als Wohltäter und Mäzen und liest statt "Neuer Skandal um Maschmeyer" lieber Schlagzeilen wie "Maschmeyer mietet Hotel für Geflüchtete aus der Ukraine".

Anfang März berichteten Medien im ganzen Land von Maschmeyers überraschendem Beitrag zur Unterstützung der Ukrainer, die seit dem Angriff von Putins Soldaten massenhaft aus ihrer Heimat fliehen. "Angesichts der dramatischen Lage in dem Land wollten meine Frau Veronica (Ferres, d.R.) und ich nicht tatenlos zusehen und haben nach Möglichkeiten gesucht, zu helfen", teilte er mit. Nicht in Berlin oder München setzte Maschmeyer dieses Zeichen, sondern in Hoyerswerda, einer Stadt mit rund 30.000 Einwohnern.

Die Gänge im City-Hotel sind zum Abenteuerspielplatz geworden.
Die Gänge im City-Hotel sind zum Abenteuerspielplatz geworden. © Jürgen Lösel

Wie Maschmeyer kämpft auch Hoyerswerda noch immer gegen ein zweifelhaftes Image, mehr als 30 Jahre nachdem Neonazis hier unter anderem ein Flüchtlingswohnheim angegriffen haben. "Hoyerswerda 1991" ist die häufigste Google-Suchanfrage in Verbindung mit der Stadt, auf deren Homepage 2022 zu lesen ist: "Heute ist Hoyerswerda eine lebens- und liebenswerte Stadt im Lausitzer Seenland mit attraktiven Kultur-, Freizeit- und Bildungsangeboten – und mit freundlichen Menschen."

Carsten Maschmeyer sagt jedoch, er habe Hoyerswerda nicht deswegen für seine Hilfsaktion ausgewählt, sondern wegen der Nähe zur polnischen Grenze, die nur rund 50 Kilometer entfernt ist. Außerdem gehört das City-Hotel seit 2019 zur Dormero-Gruppe, über deren Eigentümer Marcus Maximilian Wöhrl sich der Bogen zur "Höhle der Löwen" schließt.

Dagmar Wöhrl, Mutter des Dormero-Chefs, frühere Miss Germany und Ex-Bundestagsabgeordnete, ist wie Maschmeyer in die Gründer-Show involviert, die seit Anfang April in der elften Staffel auf Vox ausgestrahlt wird. Bereits mehrfach hätten sich Dagmar Wöhrl und er auch gemeinsam sozial engagiert, teilt Maschmeyer auf Nachfrage mit. "Der persönliche Kontakt hat es ermöglicht, das Hotel sehr unkompliziert und schnell anzumieten."

Die Hotelmanagerin Sandra Heinze ist nun auch Sozialarbeiterin und Animateurin.
Die Hotelmanagerin Sandra Heinze ist nun auch Sozialarbeiterin und Animateurin. © Jürgen Lösel

Am 18. März kamen die ersten Ukrainer im City-Hotel an. Empfangen wurden sie von Sandra Heinze, der Hotel-Managerin, die selbst erst am 1. März ihren Job angetreten hatte. Die 29-Jährige stammt aus Hoyerswerda und arbeitete Anfang der 2000er schon einmal kurz in diesem Hotel, das damals noch zur Achat-Gruppe gehörte. Für ihre Ausbildung zur Hotelfachfrau ging Sandra Heinze nach Koblenz und zog erst jetzt für die neue Stelle zurück in ihre Heimatstadt.

Derzeit ist ein Doppelzimmer im City-Hotel ab 60 Euro zu haben. Die Woche über mieten sich normalerweise vor allem Geschäftsreisende und Monteure hier ein, sagt die Chefin, an den Wochenenden auch Seenland-Touristen. Im Laufe des Jahres soll das Hotel komplett renoviert und auf den Dormero-Standard getrimmt werden. "Ich war mir bewusst, dass das eine große Herausforderung wird", sagt Sandra Heinze. Wie groß aber wirklich, erfuhr sie in der Einarbeitungswoche am Telefon von ihrem Chef Marcus Maximilian Wöhrl: Da kommen jetzt Geflüchtete, hieß es. Bitte mal alles vorbereiten.

Mit einem Mal war Sandra Heinze nicht mehr nur Hotelmanagerin und Bauherrin, sondern auch Sozialarbeiterin, Animateurin und Krankenschwester. "In den ersten Wochen hatte ich hier nur 15-Stunden-Tage", sagt sie. "Inzwischen haben wir uns recht gut organisiert." Nahe dem Eingang hängen Informationsblätter, darunter eines der Feuerwehr, das darauf hinweist, dass der wöchentliche Probealarm kein Grund zur Besorgnis sei. Auch Listen für den Schulbesuch der Kinder liegen aus.

"Überwältigt von der Hilfsbereitschaft": Julia und Mohammed wohnten bis zum Ausbruch des Krieges mit ihren Kindern Amin und Sofiya in Kiew.
"Überwältigt von der Hilfsbereitschaft": Julia und Mohammed wohnten bis zum Ausbruch des Krieges mit ihren Kindern Amin und Sofiya in Kiew. © Jürgen Lösel

Unterdessen hatte sich die Sache mit dem Hotel für Geflüchtete schnell so weit im ganzen Land herumgesprochen, dass Mitte März immer mehr Busse nach Hoyerswerda gelenkt werden sollten. Schnell wurde dabei klar, dass dieser Andrang die Kapazitäten des Hotels überlasten würde. Deswegen machte sich Oberbürgermeister Torsten Ruban-Zeh rasch auf die Suche nach einer zusätzlichen Unterbringungsmöglichkeit in der Stadt und fand sie in einer alten Tennishalle, zwei Kilometer vom Hotel entfernt. Mit Unterstützung des Landratsamtes, der AWO und vielen ehrenamtlichen Helfern wurde die Halle innerhalb weniger Tage zur Notunterkunft umfunktioniert.

Mit verhangenen Bauzäunen trennte man kleine Wohneinheiten voneinander ab, stellte Liegen auf und besorgte Federbetten. Auf einem der Squash-Felder wurde das Spendenlager eingerichtet, auf einem weiteren das Verwaltungsbüro und auf einem dritten eine Art Klassenzimmer für die Beschulung der Kinder. Seit 1. April ist die AWO offizieller Betreiber der Notunterkunft und koordiniert zudem, welche Geflüchteten im Hotel untergebracht werden. Vor allem Familien mit kleinen Kindern und ältere Frauen, denen die Pritschen in der Halle nicht zugemutet werden sollen, dürfen ins Hotel einziehen, wo ihnen neben dem besseren Bett und mehr Ruhe auch weitere Annehmlichkeiten wie ein eigenes Bad zur Verfügung stehen.

Nach drei Wochen im Hotel zieht Jekaterina mit ihrem Sohn Timothy und ihrer Nichte Diana nun in eine Wohnung in Hoyerswerda.
Nach drei Wochen im Hotel zieht Jekaterina mit ihrem Sohn Timothy und ihrer Nichte Diana nun in eine Wohnung in Hoyerswerda. © Jürgen Lösel

Ljubov Osetzova sitzt im Spielzimmer des Hotels an einem Tisch. Die 74-Jährige trägt Kopfhörer und lernt über eine App auf dem Handy Deutsch. Dutzende Vokabeln notiert sie in ihren Heften. "Wenn man in einem Land zu Gast ist, sollte man auch die Sprache sprechen können", sagt sie – noch auf Ukrainisch. Auch ihr Englisch reicht nicht aus, um mit Sandra Heinze und anderen Hotelmitarbeitern kommunizieren zu können. Zum Glück gibt es Mariya Koch, die ihre Anliegen gern für sie übersetzt. Die 26-Jährige, die selbst aus der Ukraine stammt und früher Friseurin war, ist seit wenigen Tagen als Dolmetscherin und Beraterin bei der AWO angestellt und wurde dem Hotel-Team zur Seite gestellt.

Mit ihrer Hilfe erzählt Ljubov Osetzova, dass sie aus Charkiw stammt, der mit rund 1,5 Millionen Einwohnern zweitgrößten Stadt der Ukraine. Hier wohnte sie allein in einem inzwischen zerstörten Hochhaus und habe sich mit dem Beginn der Bombenangriffe jeden Tag auf den Weg in die Metro-Station gemacht, um dort nachts Sicherheit zu finden. Als sie eine schwere Bronchitis bekam, habe sie beschlossen, die Stadt zu verlassen und sei trotz der gefährlichen Lage 15 Kilometer zum Bahnhof gelaufen. Mitgenommen habe sie nur einen Rucksack mit drei Paar Schuhen, ihre Papiere und einige Medikamente. Mit dem Zug erreichte sie zunächst Lwiw nahe der polnischen Grenze und sei dann über Berlin und Kamenz als eine der ersten Geflüchteten nach Hoyerswerda gekommen.

"Zuerst sollen die Kinder versorgt werden"

Derzeit ist etwa die Hälfte der 89 Hotelzimmer mit Geflüchteten belegt, darunter 17 Kinder. Das jüngste ist gerade mal fünf Wochen alt und kam nackt, nur in Decken gewickelt, hier an. Bald sollen neue Busse kommen. Auch Haustiere bringen die ukrainischen Gäste mit. Gerade werden fünf Hunde und vier Katzen mit versorgt.

Von den Menschen, die am 17. März als Erste eintrafen, sind die meisten inzwischen schon weitergezogen oder konnten bereits in einer der vielen leerstehenden Wohnungen in Hoyerswerda untergebracht werden. Die örtliche Wohnungsgesellschaft und die Genossenschaft Lebensräume sind noch immer dabei, Dutzende Zimmer einzurichten und schließen die Verträge mit der AWO ab. Ob und wann auch Ljubov Osetzova in eine der Wohnungen umziehen kann, weiß sie nicht. "Zuerst sollen die Kinder versorgt werden", sagt die 74-Jährige, die hofft, dass ihre eigene Tochter und die Enkel gerade in Sicherheit sind. Wo auch immer.

Ende März war Carsten Maschmeyer zu Gast in Hoyerswerda und traf Oberbürgermeister Torsten Ruban-Zeh.
Ende März war Carsten Maschmeyer zu Gast in Hoyerswerda und traf Oberbürgermeister Torsten Ruban-Zeh. © Stadt Hoyerswerda

An diesem Tag verlässt eine Familie aus Mykolajiw im Süden der Ukraine mit vier Frauen und fünf Kindern das City-Hotel. Ihre wenigen Habseligkeiten haben sie in Dutzenden Plastiktüten verstaut. Die 54-jährige Oma Kseniia schreibt zum Abschied einen Zettel auf Ukrainisch: "Im Namen der Ukraine danke ich Deutschland und dem City-Hotel für alles." Als die Zeilen an der Rezeption übersetzt werden, müssen Kseniia und Sandra Heinze weinen. Dann umarmen sie sich.

Es ist eine dieser Szenen, für die letztlich Carsten Maschmeyer gesorgt hat. Für die Anmietung eines Hotels wird der Milliardär sich vermutlich nicht verschuldet haben, doch in Hoyerswerda hat er schon jetzt weitaus mehr bewirkt, als es im ersten Moment der Anschein erweckte. Jeden Tag kommen neuen Spenden von Einwohnern im Hotel und in der Notunterkunft an. Spielzeug, Kleidung und Windeln. Gastronomen laden die Geflüchteten zum Essen ein. "Die Stadt hält zusammen", bringt es Sandra Heinze auf den Punkt.

Ende März machte sich Maschmeyer selbst ein Bild von der Situation im Hotel. Er sprach mit Mitarbeitern und Oberbürgermeister Torsten Ruban-Zeh. "Sie leisten hier eine wirklich beeindruckende Arbeit", resümierte er und wurde auch in das Zimmer mit dem blau-gelben "Carsten"-Herz geführt. "Das hat ihn wirklich bewegt", glaubt Hotelchefin Sandra Heinze, auch wenn dieser Carsten Maschmeyer nie der Typ sein wird, dem man das ansieht.