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SZ + Görlitz

Ukrainerin muss ihren Sohn zurücklassen

Oksana und drei ihrer Kinder finden Zuflucht bei einer polnischen Familie. Der Vater arbeitet in Kodersdorf und hat die Unterstützung der Diakonie St. Martin.

Von Steffen Gerhardt
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Oksana Matviiv (links) ist mit ihren Kindern aus der Ukraine geflohen und hat bei Daria Witon (rechts) und ihrer Familie in Piensk Zuflucht gefunden. Sie zeigt Bilder, die ihre Freunde aus der Heimat schicken.
Oksana Matviiv (links) ist mit ihren Kindern aus der Ukraine geflohen und hat bei Daria Witon (rechts) und ihrer Familie in Piensk Zuflucht gefunden. Sie zeigt Bilder, die ihre Freunde aus der Heimat schicken. © André Schulze

Das pinkfarbene Smartphone legt Oksana Matviiv nur zum Essen und Schlafen aus der Hand. Ansonsten ist das Handy ihr ständiger Begleiter. Auch jetzt, wo sich die vierfache und alleinstehende Mutter in Sicherheit befindet. Mit diesem Gerät hält sie Verbindung in ihre ukrainische Heimat Lwiw (Lemberg), rund 750 Kilometer von ihrem jetzigen Wohnort entfernt.

Oksana hat Zuflucht bei der polnischen Familie Szupienko auf ihren Bauernhof in Dłużyna Dolna (Nieder Langenau) in der Gemeinde Piensk (Penzig) gefunden. Familie Szupienko hat über Facebook ihre Hilfe für Flüchtlinge angeboten. Gleich nach dem Tag, an dem der russische Überfall auf die Ukraine begann. Wojtek Szupienko, der den Bauernhof vor vier Jahren erworben und modern ausgebaut hat, erzählt: "Am 25. Februar schrieb ich auf Facebook: ,Ich werde Familien aus der Ukraine helfen, wir haben ein großes Haus, in dem Sie bleiben können. Bitte teilen!' und meine Telefonnummer dazu. Bereits am ersten Tag wurde mein Angebot über 30.000 Mal geteilt und das Telefon stand nicht mehr still. Achtmal habe ich es aufladen müssen."

Als die SZ die Familie besucht, hat sie zehn Gäste aus der Ukraine im Haus: Zwei Mütter mit ihren Kindern, dazu zwei junge Mädchen. Sie wollen weiter nach Deutschland, wo ihre Eltern arbeiten. "Wir sind eine große Familie geworden und verstehen uns hervorragend", sagt Daria Witon, die Lebenspartnerin von Wojtek Szupienko. Dieser hat noch eine zweite Waschmaschine gekauft, denn der Wäscheberg ist jetzt viel größer geworden.

Der Älteste muss in der Ukraine bleiben

Das Hilfsangebot von Wojtek Szupienko liest auch Oksana. Zunächst ist sie sich unschlüssig, ihre Wohnung und ihre Stadt, in der sie geboren wurde, einfach zu verlassen. Aber die Nachrichten und die Ereignisse vor ihrer Haustür bringen von heute auf morgen ein Umdenken. "Wir packten nur das Allernötigste zusammen und fuhren mit meinem Auto Richtung polnische Grenze", erzählt die 41-Jährige. Mit "wir" meint sie ihre jüngste Tochter von sieben Jahren und ihre beiden Söhne (12 und 14 Jahre). Ihr großer Sohn muss dableiben. Mit seinen 24 Jahren ist er wehrtauglich und darf die Ukraine nicht verlassen.

Während Frauen und Kinder die Stadt Lwiw verlassen, bauen einige Männer Hindernisse aus "Tschechenigel" in Vorbereitung eines möglichen russischen Angriffes.
Während Frauen und Kinder die Stadt Lwiw verlassen, bauen einige Männer Hindernisse aus "Tschechenigel" in Vorbereitung eines möglichen russischen Angriffes. © Mykola Tys/dpa

Oksana hält per Handy engen Kontakt zu ihm - und ist stolz auf ihn: "Er hilft anderen Frauen und Kindern und fährt sie an die ukrainisch-polnische Grenze." An dieser stand Oksana mit ihren Kindern drei Tage lang. "Die Schlange wartender Autos zog sich über 20 Kilometer hin. Es gibt weder Toiletten noch Waschgelegenheiten, nicht mal einen Baum oder Gebüsch am Straßenrand", schildert sie die Einöde, in der sie mit weiteren Tausenden Landsleuten wartend stand. An Schlafen war kaum zu denken, zu viert in einem Pkw. Erst auf polnischer Seite wurde ihnen humanitäre Hilfe angeboten.

Drei Tage an der Grenze gestanden

Dass das Überqueren der Grenze drei Tage dauern würde, das hat Oksana nicht erwartet. Aber so groß ist der Andrang - und auch die Korruption unter einigen ukrainischen Grenzsoldaten, wie Wojtek Szupienko inzwischen erfahren hat: 5.000 US-Dollar für eine freie Durchfahrt ohne zu warten und für 30.000 Dollar werden ukrainische Männer im wehrfähigen Alter über die Grenze geschmuggelt.

Wojtek Szupienko hatte mit Freunden bereits einen Hilfstransport bis nach Lwiw organisiert. Ein Krankenhaus war ihr Ziel. "Wichtig ist, dass du eine Adresse hast, an der du die Spenden abgeben kannst und wo sie auch gebraucht werden", betont Wojtek. Den Kontakt hatte Oksana vermittelt. Mittwochnacht ist Wojtek Szupienko mit Bekannten und drei großen Transportern erneut losgefahren. Dieses Mal nur bis an die ukrainische Grenze. "Was die Leute am nötigsten brauchen sind Lebensmittel, Hygieneartikel und Medikamente, vor allem Schmerzmittel und Mittel zur Desinfektion", sagt Wojtek Szupienko.

Andrzej Szupienko (links) und Sohn Wojtek sammeln und sortieren gespendete Hilfsgüter in der Scheune und transportieren sie in die Ukraine.
Andrzej Szupienko (links) und Sohn Wojtek sammeln und sortieren gespendete Hilfsgüter in der Scheune und transportieren sie in die Ukraine. © André Schulze

Große Bereitschaft zu spenden

Sein Aufruf macht in ganz Polen die Runde - und so kommen viele Spenden zusammen. Die große Scheune auf dem Bauernhof gleicht dem Lager eines Supermarktes. Es sind Sachspenden, die gebraucht werden. Kein Geld, denn dafür kann man sich in der Ukraine nichts kaufen, die Läden und Märkte sind leer. Szupienkos bekommen viel Lob für das, was sie uneigennützig für andere tun, bestätigt Vater Andrzej Szupienko. Er arbeitet auf der deutschen Seite bei der Diakonie St. Martin. Genauer als Gruppenleiter in der Werkstatt für behinderte Menschen in Kodersdorf.

"Die Diakonie unterstützt unsere private Initiative sehr", lobt Andrzej Szupienko seinen Arbeitgeber. Für den Transport, der Mittwoch mit seinem Sohn gestartet ist, hat die Diakonie zwei große Transporter zur Verfügung gestellt und übernimmt die Spritkosten. Für ein Fahrzeug sind das rund 400 Euro. "Die Bereitschaft zu spenden ist auch in Deutschland groß", betont Andrzej Szupienko.

Diakonie sorgt für Unterkünfte und Arbeit

Volkhard Schmidt, Geschäftsbereichsleiter Arbeiten, bestätigt die logistische Unterstützung für die Familie Szupienko und lobt ihre Initiative. Für den Transport am Mittwoch spendete die Diakonie zudem haltbare Lebensmittel und ist auf der Suche nach Unterkünften für Flüchtlinge aus der Ukraine, die nach Deutschland wollen. Zudem hat die Diakonie zwei Arbeitsplätze in ihrer eigenen Wäscherei frei. "Das sind einfache Wäschelegearbeiten, wofür man nicht unbedingt die deutsche Sprache kennen muss", sagt Volkhard Schmidt.

Daria Witon, sie arbeitet in einem Geschäft in Görlitz, erzählt, dass die Frauen durch die Flucht auch aus ihrem Berufsalltag herausgerissen sind. "Sie wollen nicht tatenlos im Asyl sitzen, sie möchten sich beschäftigen", betont die junge Frau. Oksana hat sich noch nicht festgelegt. "Mein Wunsch ist es, so schnell wie möglich wieder zurückzukehren", sagt sie in Bezug auf ihre Kinder. Bis dahin will sie in Polen bleiben, die Landessprache beherrscht sie sehr gut. Vor ihrer Flucht hat sie eine Agentur zur Vermittlung von polnischen und tschechischen Arbeitskräften geführt. Das möchte sie gern weitermachen.

Wer die polnische Familie unterstützen möchte, kann sich an Andrzej Szupienko in Kodersdorf wenden. In der Werkstatt ist er telefonisch unter 035825 62261 zu erreichen. Die Familie spricht gut deutsch.