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Die alten Kühltürme in Boxberg machen Platz für ein neues Kraftwerk

Ein Turm wird jetzt maschinell abgetragen, die anderen drei Türme bis Jahresende gesprengt. Hier möchte die Leag bis 2029 ein Wasserstoffkraftwerk bauen.

Von Constanze Knappe
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Am Standort Boxberg soll 2029 ein Wasserstoffkraftwerk der Leag in Kombination mit einem Superspeicher ans Netz gehen. Für das ehrgeizige Projekt H2UB müssen jetzt vier alte Kühltürme von 1966 weichen.
Am Standort Boxberg soll 2029 ein Wasserstoffkraftwerk der Leag in Kombination mit einem Superspeicher ans Netz gehen. Für das ehrgeizige Projekt H2UB müssen jetzt vier alte Kühltürme von 1966 weichen. © Constanze Knappe

Strahlender Sonnenschein machte den gestrigen Septembertag zum Altweibersommer. Perfektes Wetter, um auf Baustellen ranzuklotzen. Auch auf dem Gelände des alten Kraftwerks Boxberg hatte man die Ärmel hochgekrempelt. Nur gab es dort einen Wermutstropfen, den Wind. Was man am Boden bestenfalls als leichte Brise wahrnahm, war in luftiger Höhe sehr viel mehr. Am Abend zuvor hatten die Wetterfrösche Windstärken von fünf Metern pro Sekunde vorausgesagt, gestern Vormittag waren es zwölf Meter pro Sekunde. Damit war der Kran zur Zwangspause verdammt.

Der Energiekonzern Leag lässt an seinem Standort Boxberg die vier Kühltürme aus dem Jahr 1966 abreißen. Sie machen Platz für Technologien der Zukunft: für den Bau eines Wasserstoffkraftwerks. Die Planungen zur Freimachung des Baufelds begannen im Frühjahr vorigen Jahres. Seit Januar 2024 laufen die vorbereitenden Arbeiten, im März begann der Abriss. Denn nicht nur die alten Türme sollen weg, auch unterirdisch Etliches wie beispielsweise das alte Kühlwasserpumpenhaus.

Jeder Turm wiegt mehr als 12.000 Tonnen

Einer der Türme wird maschinell abgetragen – wegen der Elektroschaltstation gleich daneben und der 380 kV-Hochspannungsleitung in der Nähe. Beides sei wichtig für den aktiven Kraftwerksbetrieb, da wollte man kein Risiko eingehen, erklärte Ronald Hübner, der Projektleiter der Leag für den Abriss. Ungewöhnlich sei das keineswegs, als 2006 mehrere Kühltürme gesprengt wurden, habe man auch einen maschinell abgetragen. Die vier verbliebenen alten Türme sind jeweils 113 Meter hoch, haben unten einen Durchmesser von 80 Metern, der sich bis oben auf 48,20 Meter nahezu halbiert. Jeder Turm steht auf 80 Betonstützen und wiegt 12.100 Tonnen.

Hübner lernte 1981 in Schwarze Pumpe den Beruf eines Baufacharbeiters, studierte später in Cottbus, arbeitete auch im Tagebau Nochten. Als Mitarbeiter des Leag-Bereichs für Kraftwerksentwicklung hat der Ingenieur für Hochbau die Fäden für die Baufeldvorbereitung in der Hand. Das sei auch für ihn eine Herausforderung, wie er gegenüber TAGEBLATT bekennt. Zwar habe er „schon viele Kraftwerksteile unter der Erde mit abgerissen, aber Kühltürme, das ist eine neue Erfahrung“, sagte er.

Bereits in den 1990er Jahren waren die alten Kühltürme in ihrem Inneren gereinigt worden. Mit Drohnen habe man sie jetzt untersucht und in den Fugen Asbest vermutet. Gefunden worden sei das aber nur in verschwindend geringer Menge.

Die anderen drei alten Türme werden bis Jahresende gesprengt. Dafür müssen hunderte Sprenglöcher gebohrt werden.
Die anderen drei alten Türme werden bis Jahresende gesprengt. Dafür müssen hunderte Sprenglöcher gebohrt werden. © Constanze Knappe
Nicht nur die alten Kühltürme sollen weg. Auch unter der Erde müssen die Bagger ran. Das alte Kühlwasserpumpenhaus wird ebenfalls weggerissen.
Nicht nur die alten Kühltürme sollen weg. Auch unter der Erde müssen die Bagger ran. Das alte Kühlwasserpumpenhaus wird ebenfalls weggerissen. © Constanze Knappe
Was nach Spielerei aussieht, erfordert höchste Konzentration. Am Boden steuert Willem van Os per Knopfdruck die Bewegung der Abrisszange in luftiger Höhe.
Was nach Spielerei aussieht, erfordert höchste Konzentration. Am Boden steuert Willem van Os per Knopfdruck die Bewegung der Abrisszange in luftiger Höhe. © Constanze Knappe
Haben beim Abriss auf der Baustelle das Sagen: Leag-Projektleiter Ronald Hübner (li.) und der niederländische Bauleiter Richard Mantjes von der Laarakers Democom GmbH aus Düsseldorf.
Haben beim Abriss auf der Baustelle das Sagen: Leag-Projektleiter Ronald Hübner (li.) und der niederländische Bauleiter Richard Mantjes von der Laarakers Democom GmbH aus Düsseldorf. © Constanze Knappe

Vor etwa einem Monat begann das „Abknabbern“ am Turm 9. Dazu bewegt ein 400 Tonnen schwerer Raupenkran mit seinem 170 Meter langen Ausleger eine Abrisszange über den oberen Rand. Gesteuert wird diese allerdings nicht vom Kranführer. In einem Bürocontainer zu ebener Erde sitzt Willem van Os, Mitarbeiter der Firma Laarakers Democom aus Düsseldorf, vor einem großen Bildschirm, auf welchem er die Zange verfolgen kann. Per Knopfdruck steuert er sie. Auch der Kranführer hat einen Bildschirm vor sich. Über Walky-Talky stehen die Männer in ständigem Kontakt.

Hunderte Sprenglöcher

Die Laarakers Democom GmbH ist ein europaweit tätiger mittelständischer Spezialist für den Rückbau alter Industrie- und Kraftwerksanlagen. Bislang hätten sie an dem Turm in Boxberg 24 Meter abgetragen, erzählte der niederländische Bauleiter Richard Mantjes. In einer Schicht wären pro Tag 86 Zentimeter möglich. Zumindest theoretisch, doch sei man sehr abhängig von Windstärke und -richtung, sagte er. Permanent werden beide Parameter gemessen, bei Überschreitung von zehn Metern pro Sekunde steht der Kran still. In zwei Wochen soll er durch einen Kleineren ersetzt werden. Dann, so schätzt Mantjes, könnten die Arbeiten schneller gehen. „Die Kühltürme haben fast 60 Jahre gestanden. Da müssen unsere Vorväter alles richtig gemacht haben“, meint Hübner schmunzelnd. Jetzt hätten die Türme jedoch das Ende ihrer Lebenszeit erreicht. Er spricht von Betonkrebs. Schon vor dem Abriss wären des Öfteren kleine Betonteile heruntergefallen. Aus dem Grund hätte man vor Jahren auch die Pläne, im Inneren von Turm 8 eine Forellenzucht aufzubauen, wieder verworfen. „Es wäre zu gefährlich gewesen, für die Leute, die die Forellen gefüttert hätten“, weiß er zu berichten.

Die Schalung der Kühltürme sei aber sehr massiv und noch in Ordnung. Das mache die Sprengung so kompliziert. Seit Monaten werden die anderen Türme dafür vorbereitet. Hunderte Sprenglöcher in einem Durchmesser von drei bis vier Zentimetern werden dafür gebohrt. Bis Jahresende 2024 soll gesprengt werden – und zwar alle drei Türme gleichzeitig. Turm 8 soll gemäß dem Sprengkonzept nach Westen fallen, Turm 6 und 7 im Abstand von zwei Sekunden übereinander. Von Fallrichtungssprengung spricht da der Fachmann.

Alles in allem 85.000 Tonnen Beton aus dem Baufeld des alten Kraftwerks sollen einer Verwertung zugeführt werden. Bei der Leag hofft man auf Kreislaufwirtschaft, die aufbereiteten Abbruchmaterialien könnten so später im Straßenbau verwendet werden. „Wir wären froh, wenn Ende April die Fläche komplett beräumt ist“, gibt Projektleiter Ronald Hübner den Zeitplan vor.

An der Stelle, wo jetzt der Abriss läuft, möchte die Leag ab 2025 ein Wasserstoffkraftwerk in Kombination mit einem Superspeicher bauen. H2UB (Hydrogen Unit and Battery) nennt sich das. 2029 soll die Anlage am Netz sein. Mit der zweiten Ausbaustufe soll Boxberg größtes ostdeutsches Energiezentrum werden. Die EU fördert das Vorhaben mit 58 Millionen Euro.