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Auf schnellem Weg zur Autobahn

Für diese Kernforderung im Nordkreis Görlitz ist bislang keine Lösung in Sicht. Und auch sonst birgt der Streit über Verkehrsprojekte viel Zündstoff.

Von Constanze Knappe
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Stau auf der A4 in Ostsachsen. Sie ist überlastet, und hier soll vordringlich Geld hinfließen.
Stau auf der A4 in Ostsachsen. Sie ist überlastet, und hier soll vordringlich Geld hinfließen. © Archivbild: SZ/Uwe Soeder

Ob der ländliche Raum von Großinvestitionen wie dem Deutschen Zentrum für Astrophysik (DZA) in Görlitz oder gar TMSC in Dresden profitieren kann? Bautzen beispielsweise sieht sich als Wohnstandort für Mitarbeiter der Chipfabrik TMSC, das hatte Oberbürgermeister Karsten Vogt (CDU) in seiner Grundsatzrede zur Konstituierung des neuen Stadtrats erklärt. Er sprach von einem Innovationskorridor Dresden – Bautzen – Görlitz. Noch in diesem Jahr will Bautzen eine Regionalkonferenz ausrichten, um die Idee des Innovationskorridors mit konkreten Forderungen an den Freistaat zu untersetzen.

Aber könnten auch die Kommunen im Norden des Kreises Görlitz etwas von den Neuansiedlungen haben? Darüber wollte der Rietschener Bürgermeister Ralf Brehmer (SPD) mit Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) sprechen und hatte dazu auch seine Amtskollegen eingeladen. Dulig engagierte sich sehr für die Ansiedlung von TMSC. Mit der Investition werde Sachsen zu einem „Mitspieler in der Chipherstellung“, meinte er eingangs. Und, dass die großen Investitionen auch im Kleinen ankommen müssten – etwa durch Aufträge an Baufirmen von hier. „Die Wirtschaftsförderung schaut, wo die Partner in der Fläche sind“, sagte der Staatsminister. Nicht nur für den Rietschener Bürgermeister mache es deshalb „einen Unterschied, ob die Wirtschaftsförderung in Weißwasser oder Dresden sitzt“. Allerdings musste Dulig einräumen: „Die Unternehmen treffen die Entscheidungen selbst.“ Ob das auch mit der Verkehrsinfrastruktur zu tun hat, darüber hätte man in der Bürgermeisterrunde nur spekulieren können. Einig sind sich die Stadt- und Gemeindechefs aber darin, dass die Erreichbarkeit ihrer Kommunen sehr wohl ein wichtiges Kriterium dafür sei, ob sich Investoren für eine Ansiedlung hier oder anderswo entscheiden.

Mehr Geld für die Staatsstraßen

„Niemand in der Region versteht, warum die vierspurige B178n bei Weißenberg verengt wird“, das musste selbst Dulig als Verkehrsminister eingestehen. Und ebenso, dass man dies den Bürgern nicht vermittelt bekomme. Schon gar nicht, dass es eine Fortsetzung in den Nordkreis als direkte Verbindung zwischen A4 und A15 nicht geben wird. Zudem scheint die Idee von der Milau begraben, und von anderen Verkehrsprojekten, wie sie ursprünglich im Investitionsgesetz für die Kohleregionen standen, hat man sich ganz offensichtlich verabschiedet. Sehr zum Leidwesen der hiesigen Bürgermeister.

Ralf Brehmer (li.) hatte Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) zu einem Gespräch über die Verkehrsinfrastruktur eingeladen.
Ralf Brehmer (li.) hatte Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) zu einem Gespräch über die Verkehrsinfrastruktur eingeladen. © Constanze Knappe

Die Devise von Verkehrsminister Dulig ist es nach eigener Aussage, dass Neubau nur noch in Ausnahmefällen ein Thema sei, man sich stattdessen dem Ausbau des Vorhandenen widmen müsse. „Sachsen leidet ja nicht an zuwenig Straßen, das waren andere Zeiten in den Neunzigerjahren. Jetzt sind Ausbau und Erhalt sicherzustellen“, betonte er. Dafür habe es in den vergangenen Jahren zu wenig Geld gegeben, worunter die Staatsstraßen gelitten haben. Zusätzliche 60 Millionen Euro seien im Doppelhaushalt des Freistaats nun für die Staatsstraßen bereitgestellt. Zwischendurch habe der Schwerpunkt auf den kommunalen Straßen gelegen – mit einer Förderquote bis zu 90 Prozent. „Eine Bugwelle von Anträgen für jede kleinste Dorfstraße“ gab es da, so der Staatsminister. Rietschen habe davon profitiert, bekannte Brehmer und verwies auf ein Vorhaben in Daubitz.

Sein Amtskollege Tristan Mühl (Freie Wähler) in Krauschwitz sieht ein, dass es keinen Neubau von Straßen mehr geben soll. „Sollte man nicht wenigstens über Lastenstraßen zwischen den Autobahnabfahrten nachdenken“, fragt er sich. Für die Ansiedlung von Firmen sei es doch entscheidend, wie sie die Lkw bis zum nächsten Verladebahnhof auf die Straße bringen. In seiner Gemeinde gebe es noch produzierende Firmen. Von denen bekäme er immer wieder zu hören, dass die Lkw rollen müssten. Auch für Unternehmen, die schon da sind, seien die Transportkosten ein großes Problem. Mühl benannte Beispiele aus anderen Gegenden Deutschlands, wo man Lösungen gefunden habe. Seiner Ansicht nach müsse man „die B115 so ausbauen, dass jeder Lkw rollen kann“. Gleiches fordert sein Amtskollege Hendryk Balko (WV Boxberg) für die B156 bis zur Auffahrt auf die A4 bei Bautzen.

Vordringlich besagt noch gar nichts

Martin Dulig würde nach eigener Aussage „fast alles so unterschreiben“. Allerdings sei es eine Frage der Finanzierung. „Die nächsten zwei Jahre werden unangenehm. Was im Bundeshaushalt passiert, rechnet sich bis in die Kommunen durch“, meinte er. Dennoch sei die Pauschale für kommunale Straßen höher als vorher. Auch kämpfe er wieder um die 60 Millionen Euro für Straßenbau. Das seien „keine Wohltaten, sondern Abbau der Defizite“.

Immerhin gebe es gute Aussichten für die Ortsumfahrung von Krauschwitz, die seit den 1990er-Jahren ein Thema ist. Baubeginn könnte 2030 sein, so wollte es Tristan Mühl bestätigt wissen. „Ich habe keine zufriedenstellende Antwort“, entgegnete der Staatsminister. Zwar habe der Freistaat zugestimmt, doch die Planungen würden jetzt beim Bund liegen. Der Ausbau der B115 sei im Rahmen des Strukturwandels diskutiert worden, doch weil die Gelder nicht reichen, sei sie rausgefallen.

Kodersdorf wartet ebenfalls dringend auf seine Ortsumfahrung. Wenn der Tunnel Königshainer Berge gesperrt werden muss, gebe es zwar offizielle Umleitungen. Doch daran würde sich kaum jemand halten, so Bürgermeister René Schöne (CDU). „Das macht uns die Straßen kaputt“, sagte er. Noch in diesem Jahr soll die Linienführung vorgestellt werden. „Die Bürger wollen ein Mitspracherecht“, betonte er.

Nach Aussage von Dulig seien ganz viele Projekte im vordringlichen Bedarf. „Doch das besagt gar nichts, weil keiner weiß, wie viel Geld dafür zur Verfügung steht“, sagte er. Für Sachsens Verkehrsminister ist der Ausbau der A4 eine Entscheidung in die Zukunft. Täglich würden allein 26.000 Lkw in Richtung Görlitz rollen, damit sei die Autobahn vollkommen überlastet. Beim Bund hält man die Zahl für nicht ausreichend, was die Notwendigkeit des Ausbaus betrifft. Kritiker meinen überdies, dass die Güter auf die Schiene müssten. „Dafür bräuchten wir täglich 200 Züge“, gab Dulig zu bedenken. Zudem sei Sachsen ein Transitland und habe es nicht in der Hand, den Schwerlastverkehr zu minimieren. Und der Wiederaufbau der Ukraine würde den Lkw-Verkehr sogar verdoppeln.

Bei einem vom Bautzener OB Karsten Vogt organisierten Treffen an der A4 hatten im März 2023 die Landräte Stephan Meyer (Görlitz) und Udo Witschas (Bautzen/beide CDU) sowie mehr als 50 Bürgermeister der Oberlausitz eine Forderung zum sechsspurigen Ausbau der A4 an den Bund unterschrieben. Einig war man sich, dass dies eine grundsätzliche Aufgabe des Bundes und nicht aus Kohleausstiegsgeldern zu finanzieren ist. Inzwischen gehen die Meinungen dazu wohl auseinander. Verkehrsminister Dulig hält es jedenfalls für „keine gute Idee“, Strukturwandelgelder für den Ausbau der A4 zu nutzen. „Da brauchen wir über andere Projekte gar nicht mehr zu reden. Aber wenn man sich in der Region einig ist, werde ich dem nicht entgegenstehen“, erklärte er. Der Rietschener Bürgermeister schüttelte den Kopf: „Diese Einigkeit deutet sich nicht an. Was nützt uns die A4, wir sind sowieso weit weg“, sagte er.

Am Ende des Gesprächs konstatierte Schleifes Bürgermeister Jörg Funda (CDU): „Überall steht jemand auf der Bremse. Und die Entwicklung rauscht an uns vorbei.“