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Sachsen, deine Vögel

Teil 5 der SZ-Naturserie: Der Vogelzug ist vorbei, die Nester sind besetzt – doch viel zu zeitig. Das kann ihnen das Leben kosten.

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Blaukehlchen sind seit 1990 zurück an Seen zwischen Görlitz und Zittau.
Blaukehlchen sind seit 1990 zurück an Seen zwischen Görlitz und Zittau. © ddp

Geschafft. Der Fangplatz ist aufgebaut. Winfried Nachtigall scheint zufrieden damit. In Neschwitz, zwischen Bautzen und Hoyerswerda, dürfen ganz offiziell Singvögel gefangen werden. Für einen guten Zweck. Deutschlandweit geschieht das fürs Integrierte Monitoring der Singvogelpopulationen. Schwieriges Wort, aber überlebenswichtig für die Vögel bei uns. Es ist die langfristige, immer wiederkehrende Zählung und Bewertung der bei uns lebenden Vogelwelt. Neben den systematischen Beobachtungen ist dies eine zweite wichtige Methode. Wie anders will man sonst wissen, was da am Himmel unterwegs ist? Wie viele und woher? Winfried Nachtigall bringt die Fakten dann mit seinem Team der Vogelschutzwarte in Datenbanken. Er ist der Vorsitzende seines Fachs im Landesverband vom Naturschutzbund Nabu.

In diesem warmen Frühling ist so richtig was los. Gerade jetzt. Alle Vögel sind schon da – und das zeitiger als sonst. Kranichpaare waren schon im April mit ihren ersten Jungen unterwegs, das wäre vor 20 Jahren noch undenkbar gewesen. Die letzten sind erst im Januar in den Süden gezogen. Irgendwann treffen sich Zurückflieger und Heimkehrer wohl unterwegs. Oder bleiben gleich hier. Wie einige andere Arten auch schon. Bei den ersten Staren hört man aus den Höhlen bereits die Jungvögel rufen. Ein milder Winter, ein Frühling wie ein Frühsommer, da sollte es den Vögeln eigentlich richtig gut gehen. Doch diese Formel ist falsch. Es gibt viele Gewinner und ebenso viele Verlierer.

187 Brutvogelarten leben in Sachsen. Noch einmal gut 100 ziehen über das Land hinweg. Einige Arten sind in den letzten Jahren verschwunden, aber noch mehr sind dazugekommen. In der Summe hat die Artenvielfalt in Sachsen zugenommen. Vor 40 Jahren gab es hier 16 Arten weniger. Allein seit 1996 sind es fünf mehr. Es ist eine gute Botschaft in den für die Natur sonst eher schlechten Zeiten. Doch nicht die Artenzahl allein zeigt den Zustand, warnt Winfried Nachtigall. „Deren Anzahl macht’s“, sagt Martin Päckert, Sektionsleiter Ornithologie bei den Seckenberg Naturhistorischen Sammlungen Dresden.

Wie viele Vögel einer Art gibt es überhaupt noch? Ornithologen wissen mehr als die Biologen-Kollegen über Insekten und Amphibien. Sachsen hatte dreimal landesweit die Vogelwelt vermessen. Für Insekten wäre das undenkbar. Über die letzten 30 Jahre sind 20 Prozent des Vogelbestandes im Grasland verloren gegangen, berichtet Päckert. „Der Rückgang betrifft nicht nur Arten, die extrem selten sind, sondern vor allem solche, die bisher auch in Massen vorhanden waren.“

Einst überall und nun fast weg

Das wäre ohne systematische Forschung unbemerkt geblieben. Denn die Vögel sind ja überall noch da, es sind halt nur weniger. „Für den Kiebitz ist das eine Katastrophe“, sagt Winfried Nachtigall. 100 Brutpaare gebe es in ganz Sachsen derzeit noch. Der Verlust seit 1980 beträgt 95 Prozent – fast alles. „Wenn da nichts passiert, wird er aussterben.“ Statt grünen und gemähten Grasflächen oder kilometerweit gelben Raps braucht der Kiebitz halt bunte Wiesen. Ein bisschen feucht sollten sie sein, nicht zu hoch bewachsen und mit vielen Blumen drauf. Nicht nur den Kiebitz würd’s freuen. Kiebitzinseln mit genau diesen Voraussetzungen die zwei Hektar groß wären, die gäben dieser Vogelart eine Chance.

Auch der Trauerschnäpper leidet. Senckenberg-Wissenschaftler Martin Päckert hat zu ihm selbst geforscht. Der Trauerschnäpper hat jedoch ein ganz anderes Problem als der Kiebitz, es ist aber ebenso bedrohlich. Er ist ein Zugvogel der bis nach Afrika fliegt. Er kommt zur falschen Zeit an den richtigen Ort zurück. Dass hier in Sachsen das Frühjahr immer öfter immer früher beginnt, bekommt er in Afrika natürlich nicht mit. Er lässt sich also hier nieder wie seit Jahrhunderten, brütet, hat Junge – aber die spezielle Nahrung für die Aufzucht fehlt. Jene eigentlich zuhauf vorhandenen Raupen für die Jungen haben sich bereits verpuppt. Einige sind schon Schmetterlinge. Die Jungen verhungern, der Rückgang dieser sehr häufigen Art in Sachsen ist dramatisch. Von etwa 30.000 Brutpaaren verschwand bis 2016 bereits ein Drittel. Auch die Feldlerche leidet. Derzeit gibt es noch 50.000 bis 100.000 Paare. 1980 waren es noch dreimal so viele.

Gewinnen können derzeit nur jene Vögel, die sich schnell genug anpassen und die Wärme lieben. Die Mönchsgrasmücke hat sich hier von den 1980 maximal 70.000 Paaren auf derzeit bis zu 240.000 vermehrt. Der Bienenfresser aus dem Süden – schön, groß, bunt – kam erst in den 1990er Jahren nach Sachsen. 120 bis 150 Brutpaare gibt es jetzt. Wenn Wiesen, Insekten und Vögel gemeinsam etwas früher ins Jahr starten, ist dies kein Problem. Driftet das große Frühjahrserwachen in der Natur aber zu weit auseinander, dann wird das für viele Arten vor allem zum Nahrungsproblem.

Was derzeit aber Hoffnung macht: Es gibt in Sachsen auch neue Lebensräume für die Vögel. „Wir haben in letzter Zeit deutlich mehr Neunachweise als in den anderen Zeitperioden davor“, sagt Winfried Nachtigall. Einige Regionen sind dabei besonders attraktiv. Die Seen- und Teichlandschaften der Lausitz zum Beispiel, ihre Wälder, Wiesen und Wasserflächen. Hier gibt es die größte Artenvielfalt an Vögeln im gesamten Freistaat. Selbst in den ehemaligen Tagebaugebieten sind weit mehr als 100 Arten zu finden. Vielfalt in der Landschaft schafft Vielfalt in der Natur, erklärt Nachtigall. In den Mittelgebirgen werden mit zunehmender Höhe die Arten natürlicherweise weniger.

Viele Arten an einem Ort, das bedeutet aber nicht automatisch, dass auch viele Vögel dort sind. Die Daten dazu sind so eindeutig wie überraschend: Das größte Vogelkonzert findet derzeit in den Städten statt.

("Sachsen, deine Natur" - Eine Serie von Stephan Schön.)

In dieser nun abgeschlossenen Serie erschienen außerdem: