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Weltkriegsbombe in Tschechien gesprengt: Chemiekomplex wieder in Betrieb

Eine englische 250-Kilo Bombe auf dem Areal des größten Chemiekonzerns in Tschechien hat zehn Tage lang die Nerven strapaziert. Ende August ist sie kontrolliert gesprengt worden. Nun ist die Produktion wieder angelaufen.

Von Hans-Jörg Schmidt
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Eine Fliegerbombe wird am Chemiestandort von Orlen Unipetrol nahe Litvinov gesprengt.
Eine Fliegerbombe wird am Chemiestandort von Orlen Unipetrol nahe Litvinov gesprengt. © Hájek Ondøej/CTK/dpa

Litvinov. Von der Burg Hněvín (Landeswarte) hat man eine gute Sicht auf die rund sechs Kilometer entfernten weiträumigen Anlagen der Orlen-Unipetrol-Raffinerie von Litvinov (Leutensdorf) unterhalb des Erzgebirges. Nicht nur das tschechische Fernsehen hat hier am 30. August Kameras und Reporter für eine Live-Übertragung postiert. Auch zahlreiche Schaulustige sind gekommen. Um 12.14 Uhr sehen sie eine große Staubwolke in den Sommerhimmel schießen, so hoch wie die höchsten Schornsteine des Chemiebetriebes. Mit zeitlicher Verzögerung dringt der Schall von dort herüber. Knapp zwei Stunden später treten Sprecher der verschiedenen Einsatzkräfte vor die Presse und geben offiziell Entwarnung.

„Uns allen ist ein Stein vom Herzen gefallen“, bringt der Chef des tschechischen Munitionsbergungsdienstes, Karel Čadil, die Erleichterung aller beteiligten Pyrotechniker, Feuerwehrleute und Rettungskräfte über das Gelingen einer heiklen Mission zum Ausdruck. Ausgerechnet auf dem Gelände einer hochsensiblen Raffinerie graben Bauarbeiter vor zehn Tagen versehentlich eine englische Weltkriegsbombe aus. Abgeworfen 1945 auf die für Nazi-Deutschland kriegswichtige Raffinerie.

Die Industriestadt Litvinov liegt in Nordböhmen, rund 50 Kilometer südlich von Dresden.

Diese Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg wurde vergangene Woche in dem großen Chemiewerk gefunden. Tschechische Sprengstoffexperten haben sie am Fundort gesprengt.
Diese Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg wurde vergangene Woche in dem großen Chemiewerk gefunden. Tschechische Sprengstoffexperten haben sie am Fundort gesprengt. © Police of the Czech Republic/AP/dpa

Mit 100 Kilogramm Sprengstoff gefüllt und einem brisanten chemisch-mechanischen Langzeitzünder versehen. Eine Bombe, mit denen tschechische Pyrotechniker noch nie zu tun hatten. Die lassen erstmal die Finger davon und bitten unter anderem deutsche Sprengmeister um Rat. Die sagen: „Dieser Art von Bombe kommt man nur durch kontrollierte Sprengung bei.“

600 sandgefüllte Taschen und ein Loch nach oben

Keine eben schöne Aussicht: Zwischen dem Fundort der Bombe, dicken Rohrleitungen und riesigen, mit Chemikalien gefüllten Behältern, die man nicht einfach abpumpen kann, liegen gerade mal 20 Meter. Nehmen die Schäden bei einer Explosion, kann das eine Kettenreaktion auslösen. Wie im Sommer 1974. Damals wurde bei einer chemischen Explosion, der schlimmsten in der seinerzeitigen ČSSR, ein Teil der Fabrik dem Erdboden gleichgemacht. 17 Tote waren zu beklagen und 124 Verletzte.

Diesmal kann solch menschliche Tragik verhindert werden. Die Arbeit der in polnischen Händen liegenden Raffinerie wird sofort unterbrochen. Und die Bombe an sich wird dick „eingepackt“. Mit Sand gefüllten großen Taschen, mehr als 600 an der Zahl. Damit der Druck der Explosion nicht nur ins Erdreich weicht und womöglich eine seismische Reaktion auslöst, wird oberhalb der Bombe quasi ein Loch gelassen, durch das die große Staubwolke sich ihren Weg bahnen kann. Der Plan ist gut. Er gelingt. Ein paar lächerliche Fensterscheiben nur sind zu Bruch gegangen, ein kleiner Brand wird sofort gelöscht.

Eine Stunde später rollt der Verkehr auf der anliegenden wichtigen Straße von und nach Most (Brüx) wieder. Teile der Belegschaft kehren zurück, begutachten mit den Experten die Lage. Die Sprengmeister, die die Bombe aus gepanzerten Fahrzeugen per Fernzündung in die Luft über Litvinov jagten, liegen sich nach der tagelangen Nerverei in den Armen.

Mehr als eine Woche nach der Sprengung der Weltkriegsbombe ist die Produktion nun wieder angefahren worden. "Wir gehen davon, dass das übliche Niveau aller unserer Produktionseinheiten im Laufe der Woche erreicht wird", teilte das Unternehmen Orlen Unipetrol mit.

Experten des Kampfmittelräumdienstes schließen nicht aus, dass in Litvinov in Zukunft weitere Blindgänger gefunden werden könnten. Während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg befanden sich auf dem heutigen Werksgelände die Sudetenländischen Treibstoffwerke, die synthetisches Benzin aus Braunkohle erzeugten. Die Alliierten flogen vom Mai 1944 bis zum März 1945 mehrmals Luftangriffe gegen die Fabrik, um den Treibstoff-Nachschub zu stören. (mit dpa)