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Tschechien verliert eine seiner besten gedruckten Zeitungen

Die 1893 gegründete Lidové noviny war immer - falls nicht gerade verboten - eine Institution. Wirtschaftliche Nöte und unternehmerisches Unvermögen machen es erforderlich, dass sie nur noch online erscheinen kann.

Von Hans-Jörg Schmidt
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Die "Lidové noviny" erscheint künftig nicht mehr als gedruckte Ausgabe.
Die "Lidové noviny" erscheint künftig nicht mehr als gedruckte Ausgabe. © lidovky.cz

Wenn Prager Korrespondenten morgens ihre Zeitungslektüre beginnen, dann wohl nahezu alle mit dem Griff zur Lidové noviny (LN). Die älteste tschechische Zeitung hatte zwar nie die größte Auflage. Sie legt bis heute keinen Wert auf einen besonders großen Nachrichtenteil. Die LN setzt vielmehr auf Meinungsstärke, glänzt mit Kommentaren und Leitartikeln. Und sie ist bis heute wegen ihrer langen Geschichte und kluger Schreiber in ihren Redaktionen von einer besonderen Aura umgeben.

Ende August wird es die LN als gewohnte gedruckte Zeitung nicht mehr geben. Eine entsprechende Meldung verbreitete am Dienstag der Prager Verlag Mafra, zu dem das Blatt gehört. Die unschöne Meldung wurde ein wenig schön geschrieben.

Mit der Aussicht, dass es noch nicht völlig um die Zeitung geschehen sei. Man werde im Gegenteil „online aufrüsten“, heißt es. Auf der Homepage des Blattes www.lidovky.cz soll es künftig noch mehr Kommentare und andere Meinungsartikel geben. Die in Intellektuellenkreisen regelrecht verschlungene Samstagsbeilage Orientace (Orientierung) werde man der größeren Schwesterzeitung aus dem Verlag, der Mladá fronta Dnes, beilegen, suchte man zu beruhigen. Freilich müsste man dazu aber eben erst einmal besagte Mladá fronta Dnes kaufen, die ein eingeschworener Leser der LN nur mit spitzen Fingern anfassen würde. Damit dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis die Beilage irgendwann völlig verschwindet.

Schwieriges wirtschaftliches Umfeld

Die Einstellung der gedruckten LN ist aber auch so der bislang schwerste Schlag für die Presselandschaft in Tschechien. Die Entscheidung hat mit den schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen für Zeitungen - nicht nur in Tschechien - zu tun. Doch sie trifft ein Blatt mit einer glorreichen Vergangenheit. In der Ersten Republik nach 1918 galt sie als die Zeitung der „Burg“, als eine Art Sprachrohr für den Republikgründer und ersten Präsidenten T.G.Masaryk. Bedeutende Autoren arbeiteten für das Blatt. Herausragend unter anderem der Schriftsteller Karel Čapek. Die deutschen Besatzer nach 1939 verfolgten die führenden tschechischen Journalisten, kerkerten sie ein, brachten sie um und setzten deutschfreundliche Redakteure ein.

Nach Kriegsende erlebte die LN einen neuen Aufschwung - jedoch nur bis zur Machtübernahme der tschechoslowakischen Kommunisten 1948. Mit denen war es mit dem Image einer überparteilichen Zeitung vorbei. 1952 verschwand die LN vom Markt. Ein Neubeginn in der Zeit des Prager Frühlings 1968 endete je mit dem Einmarsch von Truppen aus Ländern des Warschauer Pakts. Das Blatt blieb weiter verboten.

Vor 1989 trug die LN unter der Federführung von Dissidenten wie dem späteren Präsidenten Václav Havel mit Ausgaben, die nur unter komplizierten Bedingungen im Untergrund erscheinen konnten, dann dazu bei, die politische „Wende“ einzuleiten. Und nach der „Wende“ suchte man an die guten alten Zeiten anzuknüpfen und veröffentlichte mehr als alle anderen Zeitungen lange Artikel von intellektuellen Autoren, die eine begeisterte Leserschaft fanden, die allerdings relativ klein war.

Sehr hilfreich für die Entwicklung der LN wie des ganzen Verlags Mafra war das Engagement der Rheinisch-Bergischen Verlagsgesellschaft aus Düsseldorf. Im Zuge der beginnenden Zeitungskrise verkauften die Deutschen den Verlag jedoch 2013 meistbietend ausgerechnet an den Oligarchen Andrej Babiš, der politische Pläne hatte und unter anderem die LN für seinen Weg ganz nach oben zu nutzen verstand. Führende Journalisten verließen nach dem Einstieg von Babiš demonstrativ die Redaktion.

Die Babiš-Treuhandgesellschaft veräußerte wiederum im vergangenen Jahr den Verlag und damit die LN an einen anderen tschechischen Magnaten, der nie etwas mit der komplizierten Zeitungsbranche zu tun hatte. Der hat nun aus wirtschaftlichen Gründen die Reißleine für die LN gezogen. Überraschend kommt das nicht. Doch das macht die Sache nicht weniger traurig, wie am Dienstag in ersten Reaktionen vor allem frühere Redakteure der Institution Lidové noviny beklagten.