Prag. Rettungskräfte der Feuerwehr hämmern in aller Herrgottsfrühe an die Türen der Häuser in Kostelec, einem Vorort von Krnov (Jägerndorf). „Sie müssen raus hier“, rufen sie den verschlafenen Bewohnern zu. „Alle Gebäude hier müssen evakuiert werden.“ Kostelec liegt in Mährisch-Schlesien am Zusammenfluss zweier Flüsse, der Opava und der Opavice. Schon am Samstag war hier Land unter. Ganz Krnov mit seinen knapp 23.000 Einwohnern ist wie vom Wasser eingeschlossen. Doch die Leute wollten in ihrer Mehrheit ausharren. Jetzt, am Sonntag Morgen gegen 4 Uhr, gibt es keine Ausreden mehr. „Wenn wir im Laufe des Tages mit Schlauchbooten oder gar Hubschraubern kommen müssen, um Sie zu retten, wird es weit weniger lustig“, drängen die auch unter Anspannung stehenden Einsatzkräfte die Zögernden. Das hilft. Wer Familie oder Freunde in der Umgebung hat, muss dort versuchen unterzukommen. Für andere stehen Turnhallen und andere Notquartiere bereit. Dort müssen sie erst einmal bleiben, meist nur mit den nötigsten Dingen, Dokumenten, Bargeld, dem Mobiltelefon mit Ladekabel und eventuell mit Hund oder Katz im Körbchen.
Solche und ähnliche Situationen gibt es an vielen Orten. Der Chef der Feuerwehr, Vladimír Vlček, resümiert: „Wir haben bis Sonntag Mittag 10.500 Menschen aus ihren bedrohten Häusern oder Wohnungen geholt. Für einige Hundert von ihnen war das Rettung aus einer wirklichen Notlage.“ Die Feuerwehr hat 100.000 Mitglieder in diesen Tagen aufgeboten. Auch viele Mitglieder freiwilliger Wehren sind unter ihnen. „Die kämpfen diese Schlacht Tag und Nacht, viele ohne Pause“, lobt Vlček.
80 Prozent des Regens sind gefallen, sagen die Wetterfrösche. Doch es kommen noch schwere Tage. Der Chef der Zentralen Hochwasserkommission, Umweltminister Petr Hladík, sagt: „Wir werden noch die ganze nächste Woche mit dem Unwetter und seinen Folgen zu tun haben.“ Die politische Opposition in Prag hatte anfangs gelästert, dass die Regierung nur Panik unter den Leuten verbreite. Seit sich die schlimmsten Befürchtungen bestätigt haben, hört man aus dieser Richtung keinen Pieps mehr. Die Schlacht gegen das Wasser ist in Tschechien auch eine politische. Am kommenden Wochenende werden die gewählt, die sich gerade in diesen Tagen besonders bewähren müssen: die Abgeordneten in den Kommunen und Kreisen.
Es hätte schlimmer kommen können
Große Vorwürfe kann man ihnen nicht machen, auch wenn die Spuren des Unwettertiefs unübersehbar sind. Doch es hätte noch viel schlimmer kommen können. Tschechien hat aus zwei verheerenden Fluten 1997 und 2002 gelernt. Vor allem 1997 hatte es eine sehr ähnliche Großwetterlage gegeben. Seinerzeit standen ein Drittel des Landes unter Wasser, vor allem in Mähren und Mährisch-Schlesien. 80.000 Menschen mussten damals Haus und Hof verlassen, rund 2.100 Häuser wurden zerstört. 49 Menschen kamen auf tragische Weise ums Leben.
Seither wurden Milliarden Kronen in den Hochwasserschutz investiert. Gereicht haben diese für tschechische Verhältnisse Unsummen dennoch nicht. Manche Investition kam auch für das jetzige Drama zu spät. Zur Umsetzung der Vorhaben etwa für die zweitgrößte Stadt des Landes, Brünn, braucht es noch drei Jahre. Wenn es beim jetzigen Hochwasser richtig schlimm für die Stadt kommen würde, könnten 25 Prozent unter Wasser stehen. Vorsorglich sind denn auch an zwei Tagen fast 200 Patienten aus einem gefährdeten Brünner Krankenhaus in umliegende Hospitäler verlegt worden.
Was sich diesmal sehr positiv ausgezahlt hat, ist die deutliche Verbesserung der Wettervorhersagen. Es gab sechs verschiedene Modelle für die ungünstigen Prognosen, darunter auch von Wetterexperten aus dem Ausland. Damit in der Hand gingen die Behörden schon am Dienstag daran, Maßnahmen einzuleiten. So wurden etwa die Stauseen angehalten, massiv Wasser abzulassen, um Platz für die zu erwartenden Regenmengen zu schaffen. Dem ist es etwa zu verdanken, dass die Hauptstadt Prag die Regentage bislang nahezu unbeschadet überstanden hat. Das Fernsehen suchte lange vergeblich, um in Prag eine wirkliche Kalamität filmen zu können. Das Ganze nahm sich am Ende sogar witzig aus: In einem Hochhaus erreichte das Regenwasser die Wohnungen in der obersten Etage. Der Grund: das Dach wies ein paar Schäden auf.
Von Prag ist es nicht weit bis nach Sachsen. So ruhig die Lage in der Hauptstadt mit lediglich Hochwasserstufe eins blieb, so heftig wurde es in Mělník, wo die Elbe sich mit der Moldau vereint. Die Elbe trug auch noch am Sonntag große Wassermengen aus ihrem Quellgebiet im Riesengebirge ein. In Spindlermühle wurde die durch den Ort mit lautem Geräusch jagende Elbe zu einer Attraktion für viele Touristen. Das Riesengebirge erwies sich neben dem Altvatergebirge im Mährisch-Schlesien als erwartungsgemäß größtes Sorgenkind. Hier gibt es immer mehr Niederschläge als anderswo.
Was die Wassermengen in der mit der Moldau vereinten Elbe für das angrenzende Sachsen bedeuten werden, ist noch unklar. Es gab Sonntag ein Modell, das für Ústí für Dienstag Mittag den höchsten Pegelstand vorhersagte. Er soll dann bei 7,47 Meter liegen. Doch das kann sich noch zum Schlechteren ändern. Das Zentrum des Regengebietes hat sich am Sonntag Vormittag auf den Weg von Ost nach West gemacht. „Das ist eine gute Nachricht für das geplagte Gebiet in Mährisch-Schlesien und für die Zuläufe zur Oder“, sagte Minister Hladík. Aber der Schwerpunkt verlagert sich nun Richtung Böhmerwald, zur Moldau und ihren Nebenflüssen. Das könnte letztlich das zitierte Modell für Ústí zur Makulatur werden lassen und die Lage für die Elbe auf sächsischem Gebiet verschlimmern. Der Chef des Prager Wetterdienstes, Mark Rieder, blieb aber am Sonntag im Fernsehen gelassen: „Für die Elbe sehe ich keine Katastrophe voraus.“