Partner im RedaktionsNetzwerk Deutschland
SZ + Deutschland & Welt

Flüchtlinge in Tschechien: Kontrollverlust ist in Prag ein Fremdwort

Tschechien beherbergt pro Kopf der eigenen Bevölkerung die meisten Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine. Besonders großzügig ist der Umgang mit den Geflüchteten nicht. Aber die Regeln funktionieren.

Von Hans-Jörg Schmidt
 4 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Flüchtlinge an einem Grenzübergang: Tschechien beherbergt viele Menschen aus der Ukraine.
Flüchtlinge an einem Grenzübergang: Tschechien beherbergt viele Menschen aus der Ukraine. © Christoph Soeder/dpa

Prag. Mit der Flüchtlingswelle von 2015 wollte Tschechien nichts zu tun haben. „Die Menschen sind von Deutschland eingeladen worden, also soll man sich auch dort um sie kümmern“, hieß eine der Parolen im Nachbarland. Im Kern hat sich daran nichts geändert.

Ganz anders verhält sich Tschechien gegenüber den Ukrainern. Mit Beginn des Putin-Krieges flohen fast eine Million Ukrainer Richtung Tschechien. Heute leben dort noch mehr als 400.000. Tschechien bietet damit pro Kopf der Bevölkerung den meisten ukrainischen Flüchtlingen zeitlichen Schutz. Anfangs wurde deren Aufnahme von mehr als 70 Prozent der Einheimischen begrüßt. Diese Zahl ist zwar gesunken, aber es ist noch immer eine Mehrheit mit dem Kurs der Regierung prinzipiell einverstanden.

„Die Freundlichkeit gegenüber den Ukrainern hat viele Gründe“, sagt Anna, die sich in einer NGO um Geflüchtete kümmert. „Zum einen stehen sich beide Nationen kulturell nahe. Ukrainern fällt Tschechisch nicht schwer. Für geflüchtete Frauen mit Kindern öffnen die Leute zudem leichter ihr Herz.“ Prager Politiker begründen die Hilfe für die Ukrainer auch damit, dass die Tschechen, gemeinsam mit den Slowaken, 1968 militärisch auch unter Führung der damaligen Sowjetunion überfallen wurden. So etwas vergesse man nicht.

Flüchtlinge in Tschechien: "Schnell und effektiv ein Registrierungssystem aufgebaut"

Anfangs lief Hilfe für die Flüchtlinge vor allem über private Initiativen. Doch die Ämter lernten schnell. Die Regierungsbeauftragte für Menschenrechte, Klára Šimáčková Laurenčíková, erinnert sich: „Wir haben schnell und effektiv ein Registrierungssystem aufgebaut, den Ankommenden vorübergehenden Schutz gewährt, humanitäre Leistungen ausgezahlt, die Geflüchteten in die Krankenversicherung eingegliedert und sofort den Arbeitsmarkt für sie geöffnet.“ Anders als in Deutschland können schon bei der ersten Registrierung die wesentlichen bürokratischen Notwendigkeiten direkt nach der Ankunft in Tschechien in kürzester Zeit an nur einem Ort erledigt werden. Damit behalten auch die Behörden die Übersicht.

Die Jobs für Ukrainer sind allerdings wesentlich schlechter bezahlt als die für die meisten Einheimischen. Etwa die Hälfte verrichtet trotz überdurchschnittlicher Qualifikation nur Hilfsarbeiten, was mit der Nichtanerkennung von Abschlüssen und Zeugnissen zu tun hat. Nach einer Analyse von Pro Asyl arbeiten drei Viertel der Ukrainer für einen Stundenlohn von weniger als 6,30 Euro. „Über 50 Prozent der ukrainischen Haushalte sind damit von Einkommensarmut betroffen. In der tschechischen Bevölkerung sind es dagegen nur zehn Prozent.“

"Wir leben in Prag sicher"

Halina und ihr Mann aus der Gegend von Charkow sind ein typischer Fall. Sie putzt für eine tschechische Reinigungsfirma, ihr Mann ist täglich bis zu zwölf Stunden auf dem Bau. Immerhin können sie sich eine Mietwohnung davon leisten. „Und wir leben in Prag sicher, was uns ganz wichtig ist“, wie Halina betont.

Besonders Bedürftige unterstützt der Staat finanziell. Eine alleinerziehende Frau mit zwei Kindern über zehn Jahren bekommt beispielsweise monatlich knapp 800 Euro für Lebensunterhalt und Miete. Extra Kindergeld gibt es nicht. Ein eventuelles Einkommen sowie Ersparnisse reduzieren die Hilfe. Da wird genau kontrolliert.

Zum 1. September zieht der Staat die Zügel weiter an: da verkürzt sich der Zeitraum, in dem die Behörden kostenloses Wohnen in Sammelunterkünften garantieren, von 150 auf 90 Tage. Etwa 12.000 Geflüchtete leben in solchen Unterkünften. NGOs fürchten, dass eine Reihe von ihnen demnächst auf der Straße landen könnte. Im Kern drängt Prag aber mit dieser Maßnahme die Ukrainer nur, über Arbeit mehr selbst für ihren Unterhalt zu sorgen.

Was erwähnte Kontrollen angeht: Wurde einem Flüchtling bereits in einem anderen EU-Staat Schutz gewährt, kann er in Tschechien keinen neuen Antrag stellen. Er wird schlichtweg abgewiesen. Dazu reicht ein einfacher Abgleich mit einem europäischen Register.