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Leben und Stil

13 unkonventionelle Fragen an einen sächsischen Spinnenforscher

Schätzungsweise 670 Spinnenarten gibt es in Sachsen. Detlef Tolke aus Meißen erforscht sie - und weiß nicht nur, wie man sie aus der Wohnung bekommt.

Von Susanne Plecher
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Dr. Detlef Tolke aus Meißen ist Biologe und einer von etwa 20 Spinnenforschern Sachsens.
Dr. Detlef Tolke aus Meißen ist Biologe und einer von etwa 20 Spinnenforschern Sachsens. © Detlef Tolke/Veit Hengst
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Hexen und Grusel-Geister stecken sich falsche Spinnen an. Der Ekel, manchmal sogar die Angst vor den Achtbeinern, ist weitverbreitet. Die meisten sehen Spinnen lieber tot als lebendig, zumindest in den eigenen vier Wänden. Doch die zarten Wesen haben auch Freunde – und Freundinnen! Etwa 20 Arachnologen gibt es in Sachsen.

Detlef Tolke ist einer von ihnen. Der promovierte Biologe aus Meißen hat seine Diplomarbeit über Spinnen geschrieben, die die Mittelstreifen der Autobahnen bevölkern. Heute ist er in der Staatlichen Betriebsgesellschaft für Umwelt und Landwirtschaft für das Messnetz Naturschutz zuständig. In seiner Freizeit leitet er Exkursionen ins Spinnenareal und nimmt manche Exemplare mit nach Hause, aktuell auch vermeintlich giftige Arten wie die Ammen-Dornenfingerspinne.

Frage 1: Welche Spinnen sieht man jetzt in den Zimmerecken sitzen?

In den Wohnungen sieht man meistens nur die großen Arten mit einer Körperlänge von knapp einem bis zwei Zentimeter – ohne Beine. Sie leben überwiegend das ganze Jahr im Haus. Es gibt nur wenige, die im Herbst und Winter dazukommen. Das sind zum Beispiel Springspinnen, die über Hauswände laufen, oder die großen Radnetzspinnen, die in Spalten und an Dachrinnen leben, und sich auch mal ins Innere des Hauses verirren. Zitterspinnen, Speispinnen oder Hauswinkelspinnen leben ganzjährig im Haus. Sie kommen aus warmen Ländern und sind es nicht gewöhnt, im Freien zu sein. Man nennt sie synanthropisch: Sie bilden eine Synergie mit dem Menschen, der ihnen eine Behausung liefert.

Frage 2: Was fressen die Spinnen, die hinterm Schrank wohnen?

Fliegen, Essigfliegen, Tausendfüßler. Zitterspinnen fressen sehr effektiv andere Spinnen, zum Beispiel die Winkelspinnen oder auch Artgenossen. Sie haben den großen Vorteil, dass sie gestelzt über der Beute stehen und schwer angreifbar sind. Wer Zitterspinnen hat und Winkelspinnen nicht mag, tut gut daran, die Zitterspinnen leben zu lassen. Spinnen sind Hungerkünstler und können lange ohne Nahrung überdauern.

Frage 3: Warum haben viele Angst oder ekeln sich vor Spinnen?

Spinnen sind lautlos und können praktisch von allen Seiten kommen. Das macht sie eventuell etwas unheimlicher als andere Tiergruppen, die man summen und krabbeln hört. Angst vor etwas zu haben, das man nicht kennt, ist grundsätzlich vernünftig. Aber das hängt mit dem Nichtwissen zusammen. Wenn ich weiß, dass die Spinne zu klein ist, nicht beißfreudig ist und keine Chance hat, meine Haut zu durchdringen, muss ich mich nicht fürchten.

Frage 4: Wie würden Sie eine Spinne entfernen?

Man nimmt ein Glas, stülpt es über das Tier, fährt mit einem Papier dahinter und setzt die Spinne dorthin, wo sie nicht stört. Im Sommer gern aus dem Fenster, im Winter kann das aber ein Todesurteil sein. Wenn man die Möglichkeit hat, sie in den Schuppen rauszubringen, ist das die spinnenfreundlichere Variante.

Frage 5: Was halten Sie davon, sie mit dem Staubsauger wegzusaugen?

Ich kann es nachvollziehen, wenn jemand eine Spinne aus Angst töten will. Man sollte es nur so machen, dass das Tier nicht qualvoll eingeht. Bei der Staubsaugermethode werden die Spinnen verletzt, aber sterben nicht gleich. Sie sind ziemlich zäh, aber werden im Staubbeutel irgendwann ersticken. Verinnerlicht man sich, was in diesem kleinen Organismus alles funktioniert, sollte man mit einer großen Ehrfurcht herangehen und das Tier nicht unnötig töten.

Die Speispinne
schießt aus den Klauen einen giftigen Leimfaden im Zickzack über die Beute und fixiert sie damit am Untergrund. Das reicht, um ihr Opfer zu lähmen.
Die Speispinne schießt aus den Klauen einen giftigen Leimfaden im Zickzack über die Beute und fixiert sie damit am Untergrund. Das reicht, um ihr Opfer zu lähmen. © Veit Hengst
Die Harlekin-Springspinne
kann man oft an Hauswänden beobachten. Sie schaut auch gern mal zum Fenster rein. Im runden Bild im Text zu sehen: die Brückenkreuzspinne.
Die Harlekin-Springspinne kann man oft an Hauswänden beobachten. Sie schaut auch gern mal zum Fenster rein. Im runden Bild im Text zu sehen: die Brückenkreuzspinne. © Detlef Tolke
Die Wasserspinne
ist weltweit die einzige Spinne, die dauerhaft unter Wasser leben kann. Sie baut sich luftgefüllte Unterwasserglocken, um ihre Beute zu fressen und Eier zu legen.
Die Wasserspinne ist weltweit die einzige Spinne, die dauerhaft unter Wasser leben kann. Sie baut sich luftgefüllte Unterwasserglocken, um ihre Beute zu fressen und Eier zu legen. © Detlef Tolke
Die Zitterspinne
ist eine sehr nützliche Mitbewohnerin in unseren Häusern. Wird sie berührt oder im Netz gestört, schwingt sie heftig hin und her – daher der Name.
Die Zitterspinne ist eine sehr nützliche Mitbewohnerin in unseren Häusern. Wird sie berührt oder im Netz gestört, schwingt sie heftig hin und her – daher der Name. © Veit Hengst

Frage 6: Wie viele Spinnenarten leben in Sachsen?

Schätzungsweise 670, etwa ein Drittel davon ist bedroht. Allein auf einer großen Wiese, die sowohl feuchte als auch trockene Ecken bietet, sollten etwa 50 Spinnenarten leben. In Deutschland sind es ungefähr 1.000 Arten, weltweit sind 51.484 Arten im World Spider Catalog aufgeführt.

Frage 7: Gibt es giftige Spinnen in Sachen?

Die meisten Spinnen sind per se Gifttiere, weil sie ihre Beute mit Gift lähmen. Für den Menschen ist das aber meist nicht relevant, denn nur ganz wenige Spinnen schaffen es, mit ihren Klauen die Haut zu durchdringen. Die Ammen-Dornfingerspinne kann das. In Sachsen ist sie zuerst in der Dübener Heide nachgewiesen worden, aber inzwischen überall im sächsischen Tiefland verbreitet.

Einzelne Funde aus dem Osterzgebirge und mittleren Erzgebirge deuten darauf hin, dass sie wahrscheinlich flächendeckend vorkommt. Normalerweise kommt man mit ihr aber kaum in Berührung. Am meisten sind die Arachnologen gefährdet, die im Kokon nach der Spinne suchen. Auch die Nosferatu-Spinne ist bissfreudig bei der Verteidigung ihrer selbst und des Eierpaketes, das sie behütet. Sie wurde in Sachsen gefunden.

Frage 8: Was löst ein Biss beim Menschen schlimmstenfalls aus?

Wenn die Spinne dazu kommt, Gift zu injizieren, kann das wehtun und sich anfühlen wie ein Wespen- oder Mückenstich. Es kann leichte Rötungen geben, aber keine größeren klinischen Befunde verursachen, die uns Angst machen müssten. In Deutschland gibt es keine Spinne, die lebensgefährlich ist.

Frage 9: Sind neue Arten durch den Klimawandel bekannt geworden?

Ja, einige. Aber die sind meist klein und nicht so auffällig wie zum Beispiel die Wespenspinne, die gelb-schwarz geringelt ist, und aus dem Mittelmeerraum stammt. Sie gibt es seit den 1970er-Jahren in Deutschland. Entlang der Transportwege gibt es immer wieder neue Arten, aber sie finden nur selten die klimatischen Bedingungen vor, die sie hier brauchen. Die meisten werden nicht überleben. Aber andere passen sich an und lernen zum Beispiel, im Winter Schlupfwinkel aufzusuchen, auch wenn sie das aus ihrer Heimat nicht so kennen.

Frage 10: Überleben die heimischen Arten denn den Winter?

Die meisten Arten leben nur ein Jahr, überwintern aber oft als Jungtiere. Einige Arten werden zwei Jahre, Tapezierspinnen sind noch älter. Sie überwintern unter Laub, Rinde, in Steinhaufen, Bodenritzen und Mauselöchern. Einige können Frost überleben. Sie lagern Zucker in der Körperflüssigkeit ein, die als Frostschutzmittel wirkt.

Frage 11: Wie kommt man dazu, Spinnenforscher zu werden?

Spinnen überraschen immer wieder mit ihrer Vielfalt. Sie besiedeln fast alle Lebensräume, von feucht bis trocken, warm bis kalt, hell bis dunkel. Es gibt selbst eine Spinne, die nahezu ständig im Wasser lebt – die Wasserspinne. Sie haben ein ganz anderes Sinnessystem als wir Menschen, hören, schmecken und riechen mit den Beinen. Sie können ihre Wegstrecken exakt speichern, um dann den gleichen Weg zurückzugehen. Mich faszinieren auch die verschiedenen Gespinstarten, ob Radnetz oder Trichter – oder die vielen anderen Netztypen oder Spinnfäden, die sie spinnen.

Sie haben ein aufregendes Verhalten. Zum Beispiel die Balz der Springspinnen sieht einfach klasse aus. Filme im Internet über die Balz der Pfauenspinnen sind auch für weniger Spinnenbegeisterte ein Schauspiel. Spinnen geben auch Laute von sich. Die Wolfsspinnen trommeln mit ihren Tastern auf trockenes Laub. Das kann man sogar hören. Raubspinnen sind so höflich, ein Brautgeschenk zur Paarung mitzubringen. Man kann nur staunen, was die können.

Frage 12: Stimmt es, dass jeder im Schlaf irgendwann eine Spinne isst?

Dazu kann ich wenig sagen. Ich habe es noch nicht gemerkt, dass ich eine Spinne verschluckt habe und weiß auch nicht, wie man das untersucht. Aber gehört habe ich das auch schon.

Frage 13: Zeigen Spinnen im Haus wirklich ein gutes Raumklima an?

Ja. Wenn es keine Spinnen gibt, ist es wahrscheinlich zu trocken.