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Bequemer als das Korsett: Als eine Dresdnerin den BH erfand

Die Reihe der Erfindungen aus Dresden ist lang. Zu ihnen gehört auch der Büstenhalter, der vor 125 Jahren in der Stadt kreiert wurde.

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In Dresden ist der Büstenhalter erfunden worden.
In Dresden ist der Büstenhalter erfunden worden. © dpa/Jens Kalaene

Dresden. Der Kaffeefilter, der Teebeutel, das Mundwasser: Viele Dinge des Alltags sind von Dresdner Tüftlern und auch Tüftlerinnen erfunden worden. Zu ihnen gehört auch Christine Hardt. Sie gilt als die Erfinderin des modernen Büstenhalters. Am 5. September 1899 meldete sie beim Kaiserlichen Patentamt ein "Frauenleibchen als Brustträger" an. Das war vor 125 Jahren.

Die Patentschrift mit der Nummer 110.888 gilt als Geburtsurkunde des Büstenhalters. Sie beschrieb den Zweck des neuen Wäschestücks. Es sollte "die Brüste aufrecht halten, ohne die Funktion einer gesunden Brust irgendwie zu beeinträchtigen", heißt es dort.

Jahrhundertelang war es vor allem das Korsett, das die Frauen eingeschnürt hatte und Brust, Hüfte und Po in Form bringen sollte. Die Dame trug den Angaben in der Literatur zufolge gegen Ende des 19. Jahrhunderts Tag für Tag bis zu 2,5 Kilogramm Unterwäsche am Leib: Hose, Hemd, Anstandsrock, Korsett, Halbunterrock und Untertaille, das eng anliegende Hemdchen über dem Korsett.

In der kalten Jahreszeit kamen weitere Kleidungsstücke hinzu. Darüber türmte sich die Oberbekleidung. Neben dem Korsett war bis etwa 1870 noch die Krinoline in Mode, ein Reifenrock. Ihm folgte die Tornüre, ein Halbgestell aus Stahl, Fischbein oder Rosshaar, das dem Rock über der Gesäßpartie eine aufgebauschte Form verlieh.

Mit der industriellen Fertigung der Korsetts wurden sie ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts für immer mehr Frauen erschwinglich. Selbst Fabrikarbeiterinnen nahmen sich den Kleidungsstil der feinen Gesellschaftsdamen zum Vorbild. Sachsen zählte neben Württemberg zu den wichtigsten Korsett-Produzenten im Reich. 1860 wurde in Oelsnitz im Vogtland die erste Korsett-Fabrik gegründet, weitere folgten.

Das Korsett war groß in Mode. Angesagt war ein Taillenumfang von 40 Zentimetern, und dafür wurde es kräftig geschnürt. Das rief besorgte Ärzte auf den Plan, die immer lauter, aber meist vergeblich vor den Folgen des zu enges Schnürens zugunsten einer "Sanduhr-Figur" warnten. Da ging es längst nicht nur Ohnmachtsanfälle und Kurzatmigkeit, die Korsett-Trägerinnen regelmäßig ereilten. Die Mediziner fürchteten vielmehr bleibende körperlichen Schäden wie eine Verkrümmung der Wirbelsäule, die Erschlaffung der Rumpfmuskulatur sowie eine Quetschung innerer Organe.

Unterstützung bekamen die Ärzte durch die aufkommende Reformbewegung, die die Rückkehr einer natürlichen, ganzheitlichen Lebensweise anstrebte. Das Korsett wurde plötzlich zum Inbegriff von Körperfeindlichkeit. Der "Allgemeine Verein für die Vereinfachung der Damenkleidung" forderte eine "Befreiung von Druck und Einengung".

Aus dem Leben von Christine Hardt ist nur wenig bekannt. Sie arbeitete als Masseurin im Sanatorium von Heinrich Lahmann auf dem Weißen Hirsch und hatte es wohl auch mit vom Korsett geschädigten Frauen zu tun. Ihr Arbeitgeber galt als ein Verfechter gesunder Lebensweise, was sie weiter motiviert haben mag.

Im Dunkeln liegt auch, wie und wann sie auf die Idee kam, Männerhosenträger mit zwei verknoteten Taschentüchern zu verbinden und daraus eine ebenso leichte wie variable Stütze für die Frauenbrust zu machen. Die Brüste sollten laut der Patentschrift "nur mit Hilfe der Träger hochgehalten, nicht aber durch ein fest um Brust und Rücken anliegendes Korsett" gehalten werden. Der Brustträger hatte verstellbare Träger, die Leibchen waren abnehmbar. Das war Hardt wohl wichtig, denn so konnte das Wäschestück besser gewaschen werden.

Hardt war damals nicht die Einzige und streng genommen auch nicht die Erste, die mit neuartigen Büstenhaltern experimentierte. Zwischen 1887 und 1914 gab es mindestens in fünf Ländern Patentanmeldungen. Besonders bemerkenswert war der 1912 von dem Textilunternehmer Sigmund Lindauer und dessen Bruder Jules aus Bad Cannstatt bei Stuttgart zusammen mit der Trikotagenfabrik Ludwig Maier aus Böblingen entwickelte "Hautana-Brusthalter", ein "hautnaher Büstenhalter" ohne Versteifung aus weichem Baumwoll- und Seidentrikot. Lindauer war der Erste, der das neue Wäschestück in seiner Korsett-Fabrik "Prima Donna" in Serie produzieren ließ. Doch nachdem 1914 der Erste Weltkrieg ausgebrochen war, kam es zu keiner Markteinführung mehr.

Sehr erfolgreich war auch die New Yorkerin Mary Phelps Jacob, eine damals prominente Verlegerin, Autorin und Frauenrechtlerin, die 1914 ihren BH aus zwei Taschentüchern, Kordeln und Gummi zusammennähte. Sie soll ihn unter einem Abendkleid getragen haben. Phelps Jacob verkaufte ihre Idee für 1.500 Dollar an die Warner Brothers Corset Company, die den BH fabrikmäßig herstellte.

Christine Hardts Spur verlor sich indes. Ob es auch ihr gelang, ihr Patent in Geld zu verwandeln, ist nicht bekannt. Vermutlich nicht. Denn der Siegeszug des Büstenhalters setzte erst nach Ende des Ersten Weltkrieges in den 1920er-Jahren richtig ein, als sich ein neues Frauenbild und mehr Freizügigkeit bei der Bekleidung durchsetzte. Christine Hardt war ihrer Zeit voraus.