Partner im RedaktionsNetzwerk Deutschland
SZ + Sport

Kein Hotel, keine Dusche und kaum Schlaf: Ein Sachse beim härtesten Radrennen der Welt

Zwölf Tage auf dem Sattel, schlafen im Straßengraben: Robin Reinsch hat die Strapazen beim Transcontinental Race überstanden. Und schon träumt der Erzgebirger vom nächsten Abenteuer.

Von Daniel Klein
 6 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Von den Strapazen des Transcontinental Race gezeichnet, aber auch glücklich und stolz: Robin Reinsch im Ziel in Istanbul - nach zwölf Tagen und 17 Stunden auf dem Rad.
Von den Strapazen des Transcontinental Race gezeichnet, aber auch glücklich und stolz: Robin Reinsch im Ziel in Istanbul - nach zwölf Tagen und 17 Stunden auf dem Rad. © privat

Marienberg. Es gab diesen einen Moment, natürlich. Alles andere hätte auch verwundert bei den Strapazen und Qualen des Transcontinental Race - dem Radrennen einmal quer durch Europa. Robin Reinsch erwischte es in der Einsamkeit von Bosnien-Herzegowina. In seinem Kopf schwirrte nur die eine Frage herum, warum er sich das eigentlich antut. Zu dem Zeitpunkt musste er sein Fahrrad schieben, weil der Untergrund nichts anderes erlaubte.

„Das Schlimmste war: Ich wusste nicht, wie lange das noch so weitergeht. Am Ende waren es dann 15 Kilometer im Schiebemodus“, erzählt der gelernte Heizungsbaumeister, der seit Mai in der Nähe von Marienberg im Erzgebirge zusammen mit seiner Freundin Johanna eine Bergschänke betreibt

Gemessen an der Gesamtstrecke war das allerdings eine Winzigkeit. Die restlichen 4.177 Kilometer saß Reinsch auf dem Sattel - und benötigte dafür zwölf Tage und 17 Stunden. Los ging es im französischen Roubaix, das Ziel lag in Istanbul. Der 29-Jährige war nicht allein unterwegs, 390 Gleichgesinnte stürzten sich mit ihm Ende Juli in das Abenteuer. Dass es ein solches war, zeigen zwei weitere Zahlen. „Nur 130 erreichten das Ziel im vorgegebenen Zeitlimit. Allein 150 Fahrer mussten aufgeben – wegen Schmerzen, Entzündungen, Stürzen oder Hundebissen“, so Reinsch.

Das Transcontinental Race ist kein normales Radrennen, die zehnte Auflage in diesem Jahr gehörte zu den härtesten. Für den Sachsen war es die Premiere. Vorgegeben sind neben dem Start- und Zielort nur vier Kontrollpunkte, die angefahren werden müssen, genauso wie einige wenige Pflichtabschnitte – einer davon auf dem radfeindlichen Gelände in Bosnien.

Der Rest liegt komplett in der Verantwortung der Teilnehmer: Routenplanung, Verpflegung, Übernachtung. Angehalten wird die Zeit nie, wer schläft, verliert also wertvolle Stunden. 2019 gewann die Dresdnerin Fiona Kolbinger auf einer anderen Strecke das Rennen, war schneller als alle Männer.

Die Route zwischen Frankreich und der Türkei war nicht immer radfreundlich - und vor allem sehr einsam.
Die Route zwischen Frankreich und der Türkei war nicht immer radfreundlich - und vor allem sehr einsam. © privat

„Bei uns war der Start um 20 Uhr, die erste Nacht bin ich komplett durchgefahren, war bis zur ersten Schlafpause 32 Stunden auf dem Sattel“, erzählt Reinsch. Dann habe er täglich meist dreieinhalb bis vier Stunden geschlummert. Nicht mehr. Eine ultraleichte Isomatte und ein dünner Schlafsack waren das Nachtlager.

„In Belgien und Deutschland habe ich mich oft in den überdachten Ladezonen von Supermärkten hingelegt, später dann einfach in Straßengräben, aber auch in Kirchen und Moscheen. Die haben 24 Stunden geöffnet und sind beheizt. In den Bergen ist das schon ein Luxus.“ Und viel mehr Luxus ist auch gar nicht erlaubt. Essen und Trinken kaufte Reinsch in Supermärkten, Tankstellen, Imbissbuden, und er verband die Stopps – wenn möglich – gleich mit dem Gang zur Toilette.

„Die Ost-Türkei ist so dünn besiedelt, da habe ich an einem Tag nur einen Miniladen gefunden, der Süßigkeiten verkaufte. Sechs Büchsen Cola und drei Tüten Gummibärchen – das war meine gesamte Tagesration“, berichtet Reinsch. Am Ende hatte er mehr als fünf Kilo abgenommen.

Start in Frankreich, Ziel in der Türkei: Robin Reinsch benötigte für die 4.192 Kilometer zwölf Tage und 17 Stunden - inklusive kurzer Schlafstopps.
Start in Frankreich, Ziel in der Türkei: Robin Reinsch benötigte für die 4.192 Kilometer zwölf Tage und 17 Stunden - inklusive kurzer Schlafstopps. © Grafik: SZ/Gernot Grunwald

Der Gewichtsverlust war das geringste Problem. Um wunde Stellen zu vermeiden, fettete er täglich den Po mit einer Creme ein. „Die letzten beide Tage hatte ich einen Krampf im linken Oberschenkel, konnte das Bein kaum bewegen“, so Reinsch. „Die restlichen 100 Kilometer bis zum Ziel konnte ich nur mit dem rechten Bein treten, musste bei Anstiegen immer absteigen.“ Das sei vor allem mental eine Herausforderung gewesen. „Ich hatte Angst, dass auch das rechte Bein verkrampft und ich kurz vorm Ziel noch aufgeben muss.“ Das musste er nicht, erreichte Istanbul auf Platz 35. Dass er so weit vorne lag, hatte er gar nicht mitbekommen.

Im Ziel in Istanbul hat Reinsch zwei Nächte durchgeschlafen

Im Ziel gab es ein Bier, er musste Interviews geben und für Fotos posieren. Dann ging es direkt in einen Secondhand-Laden, Wechselsachen hatte er nicht eingesteckt – zu schwer. „Man stinkt da schon extrem“, weiß er. Im Hotel schlief er nach dem Duschen zwei Tage durch – unterbrochen lediglich durch eine Essenspause.

Einen Tag schaute er sich noch Istanbul an, ging zur Finisher-Party, dann musste er schon wieder zurück ins Erzgebirge. Dort wartete schließlich nicht nur das Lokal, sondern neben Johanna auch zwei Kinder, ein und drei Jahre alt. „Sie wiederzusehen – darauf habe ich mich am meisten gefreut“, sagt Reinsch. „Überhaupt wieder soziale Kontakte zu haben, war sehr schön. Ich habe zwölf Tage fast nur geschwiegen. Irgendwann fing ich an, Selbstgespräche zu führen.“

Auch die Kommunikation mit seiner Partnerin war auf ein Minimum beschränkt. Alle zwei, drei Tage eine Nachricht, mehr Zeit blieb nicht. „Sie konnte aber über GPS sehen, wo ich stecke“, sagt er. Das Handy mit weltweit funktionierender Sim-Karte war zugleich seine Lebensversicherung. Im Notfall hätte er damit die Veranstalter erreicht.

Doch Reinsch blieb selbst von Pannen und kleinen Stürzen verschont. „Das ist schon ungewöhnlich.“ Andere traf es da härter. Der Österreicher Christoph Strasser etwa, dreimaliger Sieger des Transcontinental Race, hatte zehn Pannen - und wurde diesmal nur Zweiter. Allerdings saß der auf einem teuren Rad. Das Gravel-Bike von Reinsch war mit 25 Kilo inklusive Gepäck dagegen eines der schwersten im Feld, andere wogen 16, 17 Kilo.

Gemütlich ist anders. Dreieinhalb bis vier Stunden schlief Robin Reinsch pro Nacht - und das nicht immer an einladenden Orten.
Gemütlich ist anders. Dreieinhalb bis vier Stunden schlief Robin Reinsch pro Nacht - und das nicht immer an einladenden Orten. © privat

Auf seinem treuen Gefährt hatte er vorher bereits Südamerika von Süd nach Nord durchquert. „Ich fahre seit 16 Jahren Rad, bin sehr ehrgeizig, habe 40 bis 50 Länder auf zwei Rädern bereist“, erzählt er. Nach dem Südamerika-Trip reifte der Entschluss, beim Transcontinental Race anzutreten. Bereut hat er es nicht, auch wenn die Momente des Genießens sich stets nach dem persönlichen Befinden richten mussten. Sonnenaufgänge in den Bergen waren an einem Tag berauschend schön, am nächsten hatte er keinen Blick dafür übrig.

Die schönsten Augenblicke waren für ihn aber die, als er einen der vier Kontrollpunkte erreicht hatte - und eine Cola zur Belohnung bekam. „Dort hatte ich immer das Gefühl, dem Ziel ein Stück nähergekommen zu sein“, sagt er. Bleibt die Frage, warum er sich das angetan hat, was war die Motivation? „Ich wollte sehen, was der Körper eigentlich leisten kann, wie weit man gehen kann. Ich strebe immer nach extremen Sachen, daher war die Herausforderung wie für mich gemacht“, sagt er.

Nun ist er wieder zu Hause im Erzgebirge, bei seiner Familie, der Schänke. Nach den Erinnerungen muss er nicht im Kopf suchen, er wird auch anderswo an die Strapazen erinnert. „Viele Teilnehmer klagen über Schmerzen im Unterarm und Handgelenken. Bei mir sind die kleinen Finger noch immer taub. Man hat mir gesagt, es kann bis zu einem halben Jahr dauern, bis es wieder weggeht.“

In dieser Zeit hat er erst mal kein weiteres Radrennen geplant, nur mit seiner im Mai gegründeten Rennradgruppe trifft er sich regelmäßig zu kleinen Ausflügen. Und im nächsten Jahr? „Mal schauen“, sagt Reinsch und grinst. „Eine Durchquerung von Afrika fehlt noch.“