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Sachsens Nachahmer des Nanga-Parbat-Idols: Nur einer kann Buhl sein

Die Erstbesteigung des Nanga Parbat vor 70 Jahren fand viele Nachahmer. In sächsischen Steinbrüchen machten es Jugendliche ihrem Vorbild Hermann Buhl nach. Streit gab es nur über eine Frage.

Von Jochen Mayer
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Der 8.125 Meter hohe Nanga Parbat ist einer herausforderndsten Gipfel der Erde, erstmals bezwungen im Juli 1953 von Hermann Buhl.
Der 8.125 Meter hohe Nanga Parbat ist einer herausforderndsten Gipfel der Erde, erstmals bezwungen im Juli 1953 von Hermann Buhl. © dpa/Oliver Matthys

Dresden. Echte Sternstunden leuchten lange nach. Manche sehr lange. Die Erstbesteigung des Nanga Parbat am 3. Juli 1953 ist so ein scheinbar ewig nachwirkendes Ereignis. Was Hermann Buhl bei seiner einsamen Höllentour über 41 Stunden auf den 8.125 Meter hohen Gipfel hinauf und zurück leistete, das war der Stoff für Bücher, Filme, Vorträge, für abendfüllende Unterhaltung. Der Österreicher wurde zum Vorbild und Idol. Er animierte viele, es mit dem Klettern zu versuchen und ähnliche Abenteuer zu wagen. Manche der einstigen kindlichen Nachahmer kamen ein Leben lang vom Bergsteigen nicht mehr los.

Zu ihnen gehört Bernd Arnold. Die sächsische Felskletter-Legende bereitete sich auf seinen Schuleingang vor, als Buhl vor 70 Jahren im West-Himalaya den Gipfel des neunthöchsten Berges der Erde als erster Mensch betrat. In seinem Geburts- und Wohnort Hohnstein sah Arnold einige Zeit später den Buhl-Film, der im November 1953 in die BRD-Kinos kam, vier Monate danach war er in der DDR zu sehen.

„In Hohnstein gab es auch mal ein Kino“, sagt Arnold schmunzelnd, es war im Kasperhaus untergebracht. „Da sah ich als Kind den Buhl-Film und war so begeistert, dass ich ihn nachgespielt habe.“ Im nahegelegenen Kalkbruch kraxelte der Knirps über Schneewehen, die der Wind zusammengeblasen hatte, den Steilhang hinauf. Das Fallen war ja im tiefen Schnee ganz ungefährlich. Zu einer kompletten einsamen Buhl-Nacht kam es indes nicht, dazu reichte die Toleranz der Eltern nicht.

Imponierende bergsteigerische Leistung

Der junge Arnold war fasziniert vom berühmten Gipfelgänger: „Mir imponierte diese unglaubliche, übermenschliche, bergsteigerische Leistung von Buhl. Im Film beeindruckte mich zudem, wie er in der übermächtigen Natur alleine seinen Weg ging. Ich versuchte, dieses Gefühl nachzuempfinden. Aber er tat mir auch ein bissel leid, wie der Mann so einsam in der Höhe und Kälte kämpfte.“ Buhl war restlos erschöpft ins Lager zurückgekehrt, die Erfrierungen kosteten ihm zwei Zehen.

„Mich hat dieses Bergsteigerspielen nach Buhls Vorbild sicher auch geprägt“, meint der 76-jährige Arnold. Er wurde der Kletterpionier, nicht nur am Elbsandstein. Ein wenig vom Buhl-Geist mag dabei sicher seinen Anteil haben. Nicht grundlos schenkte ihm sein Kletterfreund Karl Däweritz zu einem runden Geburtstag Fotos von Buhls Gastspiel im Elbsandsteingebirge. „Zu meiner Freude landeten sie auf dem Geburtstagstisch und fanden viele Bewunderer, doch abends beim Aufräumen blieben sie unauffindbar.“ Blinzelnd knurrt er vielsagend: „Es gab eben auch andere Buhl-Liebhaber.“ Bei seinen ersten Alpen-Aufenthalten war es für Arnold dann selbstverständlich, dass mit der Westwand an der Maukspitze im Wilden Kaiser auch eine Buhl-Route dabei sein musste.

Der österreichische Bergsteiger Hermann Buhl am 18. Juli 1953 in Rawalpindi (Pakistan) mit Skistöcken, die er wegen der Erfrierungen an den Füssen als Krücken benutzt. Er bezwang im Alleingang am 3. Juli 1953 als Erster den Gipfel des Nanga Parbat.
Der österreichische Bergsteiger Hermann Buhl am 18. Juli 1953 in Rawalpindi (Pakistan) mit Skistöcken, die er wegen der Erfrierungen an den Füssen als Krücken benutzt. Er bezwang im Alleingang am 3. Juli 1953 als Erster den Gipfel des Nanga Parbat. © picture-alliance / dpa | Chaudhry

Bergsport-Historiker Joachim Schindler war Buhl ebenfalls nachgeklettert. In die Berge ging es für ihn schon als Vierjähriger mit dem Vater. Der nahm ihn 1951 mit in das Zittauer Gebirge und engagierte sich dann 1955 in Neustadt/Sachsen bei der Bildung der Sektion Wandern und Bergsteigen. Zu Buhl hatte der Vater eine besondere Beziehung. „Er war als Gebirgsjäger im Krieg, kam 1944 in Innsbruck ins Lazarett“, erzählt Schindler. „Buhl war Innsbrucker, Sanitätssoldat bei den Gebirgsjägern, mein Vater kannte Gipfel, an denen Buhl unterwegs war. Er fühlte sich zu Buhl klettermäßig und gedanklich hingezogen. 1956 und 1957 war mein Vater mit seiner Kletter-Sektion in den Alpen unterwegs. Das verstärkte die innere Nähe.“

Ein Trauertag vor 66 Jahren

Dann der Schock 1957: Buhl stürzte an der Chogolisa ab, blieb verschollen im ewigen Eis. „Das war wie ein Trauertag“, sagt Schindler. „Es gab viele Formen des Gedenkens. Ich begann das Buhl-Buch zu lesen, was bei uns zu Hause stand. Es begeisterte mich, ich strich Stellen an, die mir wichtig waren, auch wenn es meinem Vater nicht Recht war, im Buch rumzustreichen.“ Eine der Stellen in der Autobiografie „Achttausend drüber und drunter“ aus dem Leipziger Brockhaus-Verlag lautet: „Wer sich verloren gibt, ist bereits verloren.“ Oder: „Ich habe den Nanga Parbat nicht mit Hilfe moderner technischer Hilfsmittel bestiegen, sondern ganz in seinem Sinne, ,by fair mains‘, mit reinen Mitteln – aus eigener Kraft.“

Für Schindler wirkte das Buch wie eine Initialzündung. Buhls Besteigungen waren außergewöhnlich, seine Aktionen waghalsig und mutig, er wirkte mitunter eigensinnig, widersetzte sich Vorschriften und Dogmen. Ihn zeichnete ein unbedingtes Wollen aus. „Das sind alles Kriterien, denen man sich als Jugendlicher gerne anschließen möchte“, erinnert sich Schindler. Dabei war Buhl kein schöngeschriebener Held, kein lachender Titelseiten-Star. „Das war ein Mann aus dem Volk“, sagt der 75-Jährige und betont: „Der hatte sich von klein auf unter sehr einfachen und schwierigen Bedingungen entwickelt. Das war ein Mensch, dem konnte man nahekommen. Und er war in dem Metier unterwegs, das mich so sehr interessierte: Bergsteigen.“

Inspiriert von Buhls Heldentat: Bergsport-Historiker Joachim Schindler.
Inspiriert von Buhls Heldentat: Bergsport-Historiker Joachim Schindler. © Jochen Mayer

Buhl hatte keine leichte Kindheit. Die Mutter starb, als er vier Jahre alt war. Der Junge kam ins Waisenhaus, der Vater heiratete ein zweites Mal, die Stiefmutter brachte keine Zuneigung für den Jungen auf. So schildert es die Biografie „Hermann Buhl. Kompromisslos nach oben“, herausgegeben von Reinhold Messner und Horst Höfler. Bei Verwandten in Innsbruck bekam Buhl zumindest „eine Ahnung von familiärer Geborgenheit“. Nach der Hauptschule machte er eine Lehre zum Speditionskaufmann. Noch mehr hatte ihn allerdings die Alpen-Geografie interessiert und die Menschen, die die Gipfel und Wände erschlossen haben. Er begann zu klettern, die Touren wurden immer schwerer.

Beeindruckende Beharrlichkeit

Diese Beharrlichkeit, sich immer zu verbessern, um größere Schwierigkeiten an neuen Routen zu meistern, das imponierte schließlich auch Schindler. „Als ich las, dass er die Watzmann-Ostwand im Winter in der Nacht durchstiegen hat, sprengte das mein Vorstellungsvermögen. Es blieb grenzenlose Bewunderung.“ Diese Begehung gehörte zu den Erfahrungen, die Buhl auch ermöglichten, diese schreckliche Nacht am Nanga Parbat zu überleben, in der er auf einem winzigen Standplatz stehend schlafen musste.

Sympathisch wurde der alpine Held dem jugendlichen Schindler aber auch, als er die Geschichten von dessen Klettertouren in der Sächsischen Schweiz las und hörte: „Das brachte ihn mir noch näher.“ Zu Schindlers Lieblingsbüchern in der Jugend gehörte „Felstürme und Eiswände“ von Felix Simon, der das Klettern in der Sächsischen Schweiz beschrieb – sowie in den Alpen und dem Himalaya. Der Leipziger Simon gehörte 1932 zur Nanga-Parbat-Expedition wie auch der in Dresden geborene Fritz Wiessner. Für Schindler war beim Vergleich klar: „Was den beiden bei ihren Versuchen am Nanga Parbat nicht gelungen war, dass hatte Buhl sogar im Alleingang geschafft, das musste ein noch viel größerer Held sein.“

Buhl war keiner fürs System

Wie Arnold spielte Schindler mit einem Freund in einem Steinbruch die Buhl-Grenzgänge nach. „Es gab nur immer wieder den gleichen Streit“, erzählt der Dresdner und fügt nach kleiner Pause hinzu: „Wer durfte Hermann Buhl sein? Und wer musste den Nachsteiger geben? Die Namen waren uns allen geläufig.“ Als die Schindlers am Rauschenstein unterwegs war, wo Buhl 1954 aufstieg, war ihnen bewusst, dass sie auf Buhls Spuren kletterten. „Mein Vater hatte Buhl-Vorträge in Bad Schandau erlebt und war begeistert. Buhl muss ein Held zum Anfassen gewesen sein. Und mein Vater wusste, wie der Kletterklub Hunskirchler den berühmten Gast damals bei den Touren betreute und zum Klub-Ehrenmitglied ernannte.“

Inspiriert von Buhls Heldentat: Kletter-Legende Bernd Arnold.
Inspiriert von Buhls Heldentat: Kletter-Legende Bernd Arnold. © Marko Förster

Schindler durfte irgendwann den Fotoapparat vom Vater nehmen, er kaufte den ersten Farbfilm, was an die Grenzen seines Taschengeldes stieß. Der Schüler improvisierte: „Damals gab es Filmrollen mit 36 bereits entwickelten Bildern, die ließen sich durch Projektoren ziehen. Über Buhl existierten davon drei Teile mit Himalaya-Abenteuern. Die habe ich zu einzelnen Bildern zerschnitten, eingeglast und damit Dia-Vorträge an der Schule gehalten.“

Herbert Schindler riet seinen Kindern, sie mögen sich ihre Vorbilder genau ansehen. „Bei manchen sollte man vorsichtig sein, die leidenschaftlich bei den Nazis mitgemacht hätten, nach Kriegsende weiter so tönten. Buhl wäre ja fast vors Kriegsgericht gekommen wegen wiederholten Disziplin-Verstößen, Entfernen von der Truppe, er rückte vom Bergsteigen kommend zu spät ein. Zur Strafe musste er an die Front. Buhl war keiner zum Vorzeigen für das System. Der setzte sich mit seinem gesunden Menschenverstand durch.“