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70 Jahre Dresdner Sportschulen: Talente mussten viermal umziehen

Zum Jubiläum: Zehn Bilder von zehn prominenten Ex-Schülern der Dresdner Sportschulen, die zusammen 35 Olympiasiege und 85 Weltmeistertitel holten. Und die fast unbekannte Gesamtgeschichte.

Von Alexander Hiller
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So sieht der Campus des Sportschulzentrums Dresden am Messering aus. 2007 wurde Einzug gefeiert. Der jetzige Standort gilt als optimal.
So sieht der Campus des Sportschulzentrums Dresden am Messering aus. 2007 wurde Einzug gefeiert. Der jetzige Standort gilt als optimal. © freier Fotograf

Dresden. Es gibt reichlich zu feiern. Die Dresdner Sportschulen feiern in den kommenden Tagen mit einer Festwoche ihr 70-jähriges Bestehen. Die Schüler der früheren Kinder- und Jugendsportschule (KJS) und des heutigen Schulsportzentrums - Sportoberschule und Sportgymnasium - haben 35 Olympiasiege und 85 Weltmeistertitel während oder nach ihrer Schulzeit eingeheimst.

Eisschnelllauf-Ikone Karin Enke, die gesamtdeutschen Fußballstars Ulf Kirsten und Matthias Sammer oder aktuell der nun dreifache Kanu-Olympiasieger Tom Liebscher-Lucz sind da nur einige von vielen prominenten Ex-Schülern.

SED beschließt das Projekt sportliche Spezialschulen

Die Festwoche startet am Montag im Campus am Messering mit einer "Celebrate-Sports-Party". Neben Musik, Spielen und Schulhausführungen gibt es zwischen 12 und 16 Uhr viel Zeit für Gespräche. Die stehen am Dienstag sogar im Fokus. Bei den "Picknick-Gesprächen" berichten ehemalige und aktive Sportler über ihre Erfahrungen aus den Bereichen Wirtschaft, Leistungssport und Sportgeschichte.

Nach einem Spendenlauf am Mittwoch, einer Festveranstaltung am Freitag, dem Ehemaligentreffen am Samstag im neu eröffneten Steyer-Stadion schließt sich am 4. September in der Ballsportarena mit einer Podiumsdiskussion zum Thema Leistungssport in Dresden zwischen Tradition und Gegenwart der Kreis. Geladen sind Matthias Sammer, Sportbürgermeister Jan Donhauser, Unternehmer Uwe Saegeling und die frühere Eisschnelllauf-Olympiasiegerin Christa Luding. Karten dafür gibt es auf der Homepage der Schulen.

Die Gründung der Dresdner Sportschulen geht zurück auf einen Beschluss des DDR-Ministerrats vom 8. Februar 1950 auf der Grundlage des Gesetzes "über die Teilnahme der Jugend am Aufbau der Deutschen Demokratischen Republik und die Förderung der Jugend in Schule und Beruf, bei Sport und Erholung". 1951 nickte der Zentralrat der SED die Gründung von sportlichen Spezialschulen schließlich ab.

Der Riesaer Ulf Kirsten zog 1979 ins Internat an der Parkstraße ein. 45 Jahre und 100 Länderspiele später gilt der "Schwatte", dreimal Torschützenkönig der Bundesliga, noch immer als der Inbegriff des modernen Mittelstürmers.
Der Riesaer Ulf Kirsten zog 1979 ins Internat an der Parkstraße ein. 45 Jahre und 100 Länderspiele später gilt der "Schwatte", dreimal Torschützenkönig der Bundesliga, noch immer als der Inbegriff des modernen Mittelstürmers. © Matthias Rietschel
Ruderer Karl Schulze holte zweimal Gold mit dem deutschen Rudervierer. Dabei an seiner Seite: Klubkollege Tim Grohmann. Überlebensgroße Bilder von beiden Ausnahmeathleten hängen noch heute im Treppenhaus des Schulsportzentrums.
Ruderer Karl Schulze holte zweimal Gold mit dem deutschen Rudervierer. Dabei an seiner Seite: Klubkollege Tim Grohmann. Überlebensgroße Bilder von beiden Ausnahmeathleten hängen noch heute im Treppenhaus des Schulsportzentrums. © SAE Sächsische Zeitung
Rica Reinisch kam als 1974 als neunjähriges  Schwimmtalent - mit dem festen Ziel: Olympiasiegerin werden. Das schaffte sie 1980 bei den Boykottspielen i Moskau. Die damals 15-Jährige gewann drei Mal Gold, beendete ein Jahr später aus gesundheitlichen Gründen ihre Karriere. Sie fand heraus: Trainer Uwe Neumann hatte der damals Minderjährigen ohne deren Wissen systematisch Dopingmittel verabreicht.
Rica Reinisch kam als 1974 als neunjähriges Schwimmtalent - mit dem festen Ziel: Olympiasiegerin werden. Das schaffte sie 1980 bei den Boykottspielen i Moskau. Die damals 15-Jährige gewann drei Mal Gold, beendete ein Jahr später aus gesundheitlichen Gründen ihre Karriere. Sie fand heraus: Trainer Uwe Neumann hatte der damals Minderjährigen ohne deren Wissen systematisch Dopingmittel verabreicht. © dpa-Zentralbild
Marc Huster arbeitet heute als Moderator, wie hier bei der Sächsischen Sportlergala. Vor 30 Jahren galt der in Altdöbern geborene Athlet als einer der weltbesten Gewichtheber. Huster musste sich 1996 und 2000 bei Olympia nur seinem Freund und griechischen Volkshelden Pyrros Dimas beugen. Insgesamt fünf WM-Titel gewann der Wahldresdner aber dennoch.
Marc Huster arbeitet heute als Moderator, wie hier bei der Sächsischen Sportlergala. Vor 30 Jahren galt der in Altdöbern geborene Athlet als einer der weltbesten Gewichtheber. Huster musste sich 1996 und 2000 bei Olympia nur seinem Freund und griechischen Volkshelden Pyrros Dimas beugen. Insgesamt fünf WM-Titel gewann der Wahldresdner aber dennoch. © Agentur
Karin Enke galt in ihrer Glanzzeit als die beste Eisschnellläuferin der Welt. Von 1980 bis 1988 sieben olympische Medaillen - drei davon in Gold, und das auf drei verschiedenen Strecken. Heute arbeitet sie als Geschäftsführerin der Dresdner Gesop gGmbH.
Karin Enke galt in ihrer Glanzzeit als die beste Eisschnellläuferin der Welt. Von 1980 bis 1988 sieben olympische Medaillen - drei davon in Gold, und das auf drei verschiedenen Strecken. Heute arbeitet sie als Geschäftsführerin der Dresdner Gesop gGmbH. © Jochen Mayer
Der Dresdner Jan Hempel (l.) war der beste deutsche Wasserspringer, gewann zwei Olympiamedaillen und gilt dennoch als eine der tragischsten Figuren im Sport. 2022 machte er öffentlich, dass er von seinem Trainer Werner Langer über Jahre hinweg sexuell missbraucht wurde. Hempels Klubkollege Heike Meyer (r.)  holte mit Hempel Olympiabronze und gewann zwei EM-Titel.
Der Dresdner Jan Hempel (l.) war der beste deutsche Wasserspringer, gewann zwei Olympiamedaillen und gilt dennoch als eine der tragischsten Figuren im Sport. 2022 machte er öffentlich, dass er von seinem Trainer Werner Langer über Jahre hinweg sexuell missbraucht wurde. Hempels Klubkollege Heike Meyer (r.) holte mit Hempel Olympiabronze und gewann zwei EM-Titel. © dpa
Christiane Fürst (350 Länderspiele) gilt noch sechs Jahre nach ihrem Karriereende auf Klubebene als erfolgreichste deutsche Volleyballerin überhaupt. Die heute 39-Jährige gewann nationale Titel und Pokale in Deutschland, Italien, der Türkei und Japan, die Champions League und die Klubweltmeisterschaft. Heute ist die Geschäftsführerin am Bundesstützpunkt beim VC Olympia Dresden.
Christiane Fürst (350 Länderspiele) gilt noch sechs Jahre nach ihrem Karriereende auf Klubebene als erfolgreichste deutsche Volleyballerin überhaupt. Die heute 39-Jährige gewann nationale Titel und Pokale in Deutschland, Italien, der Türkei und Japan, die Champions League und die Klubweltmeisterschaft. Heute ist die Geschäftsführerin am Bundesstützpunkt beim VC Olympia Dresden. © ZB
Matthias Sammer machte von Dynamo Dresden aus eine Weltkarriere, entwickelte sich zu einem der besten Fußballer Europas. 1996 wurde ihm dieser Titel dank einer überragenden Europameisterschaft auch zuteil. Heute gilt er weiterhin als einer der meinungsstärksten und streitbarsten Experten in der deutschen Fußball-Landschaft. Am 4. September ist Sammer zu einer Podiumsdiskussion zur Zukunft des Dresdner Sports zu Gast.
Matthias Sammer machte von Dynamo Dresden aus eine Weltkarriere, entwickelte sich zu einem der besten Fußballer Europas. 1996 wurde ihm dieser Titel dank einer überragenden Europameisterschaft auch zuteil. Heute gilt er weiterhin als einer der meinungsstärksten und streitbarsten Experten in der deutschen Fußball-Landschaft. Am 4. September ist Sammer zu einer Podiumsdiskussion zur Zukunft des Dresdner Sports zu Gast. © Agentur
Christa Luding gelang unter ihrem Mädchennamen Rothenburger ein bis dato einzigartiger Coup im Weltsport. 1988 gewann die aus Weißwasser stammende Athletin sowohl bei den Winter- als auch bei den  Sommerspielen in Calgary eine Medaille. Auf dem Eis Gold und Silber, auf dem Rennrad Silber im Bahnrad-Sprint.
Christa Luding gelang unter ihrem Mädchennamen Rothenburger ein bis dato einzigartiger Coup im Weltsport. 1988 gewann die aus Weißwasser stammende Athletin sowohl bei den Winter- als auch bei den Sommerspielen in Calgary eine Medaille. Auf dem Eis Gold und Silber, auf dem Rennrad Silber im Bahnrad-Sprint. © Archiv
Erst vor wenigen Tagen wurde Tom Liebscher-Lucz von den aktuellen Sportschülern empfangen und bejubelt. Der 31-Jährige Kanute errang in Paris sein drittes Olympiagold - jeweils mitr dem deutschen Kajak-Vierer.
Erst vor wenigen Tagen wurde Tom Liebscher-Lucz von den aktuellen Sportschülern empfangen und bejubelt. Der 31-Jährige Kanute errang in Paris sein drittes Olympiagold - jeweils mitr dem deutschen Kajak-Vierer. © Lutz Hentschel

1953 wurden die KJS-Projekte in Leipzig und Karl-Marx-Stadt eingeweiht. Dresden folgte erst am 1. September 1954. Und das an einem Standort, den heute kaum jemand mehr damit in Verbindung bringt: Auf dem Gelände in Dresden-Reick steht jetzt das Hülße-Gymnasium. Das heutige Sportschulzentrum am Messering ist bereits der fünfte Standort. Auf Reick folgte Cotta, Klotzsche und danach die Parkstraße. Dort war von 1969 bis 2007 zunächst die KJS "Artur Becker" und nach der Wende dann die Sportschulen beheimatet - die bisher längste Epoche.

"Der Standort hier am Messering ist optimal, wie haben die Sportstätten gleich hier. Besser geht es nicht", sagt Britt Göldner, Leiterin des Sportgymnasiums. Für die 58-Jährige und ihre Kollegin Annette Bitterlich, die die Sportoberschule führt, ist das ein erhebliches Plus.

In Dresden wurde die Schule um den Sport herum gebaut, nicht umgekehrt. So ist für die Nachwuchsathleten drei- bis viermal die Woche Training auch schon am Vormittag möglich. Diese Stunden übernehmen Profilsportlehrer, also disziplinspezifisch geschulte und lizenzierte Trainer. In den Eliteschulen des Sports in den alten Bundesländern wird nicht so viel Rücksicht genommen. "Wenn die Sportler in der Nacht vom Wettkampf zurückkommen und dann am nächsten Morgen in der Schule durchhängen, haben sie Pech gehabt", sagte Annette Bitterlich.

In Dresden sind Schule, Vereine und das Internat enger verzahnt. Werden schulische Probleme bei Einzelnen erkannt, reagieren auch die Vereinstrainer. "Alle sind voll involviert, die Schule ist für alle Seiten genauso wichtig wie der Sport", betont Annette Bitterlich.

Druck erfahren die potenziellen Medaillengewinner von morgen also von zwei Seiten. Viele halten dieser Herausforderung stand, Aussteiger gibt es wenige. "Die Quote ist gering. Kaum einer wechselt mit wehenden Fahnen in eine andere Schule", erklärt Göldner. Wobei klar ist: Nicht aus jedem Sportschüler wird auch ein Spitzensportler.

Hier fing 1954 alles an: in Dresden-Reick, dort steht heute das moderne Hülße-Gymnasium.
Hier fing 1954 alles an: in Dresden-Reick, dort steht heute das moderne Hülße-Gymnasium. © Günther Tomas
Von 1956 bis 1959 war die Kinder- und Jugendsportschule Artur Becker in Cotta beheimatet.
Von 1956 bis 1959 war die Kinder- und Jugendsportschule Artur Becker in Cotta beheimatet. © Günther Tomas
Kaum zu glauben: In diese Barackenlandschaft in Klotzsche zogen die Dresdner Sportschüler von 1963 bis 1969 ein.
Kaum zu glauben: In diese Barackenlandschaft in Klotzsche zogen die Dresdner Sportschüler von 1963 bis 1969 ein. © Günther Tomas
Die bislang längste Epoche - von 1969 bis 2007 erlebten die Sportschulen an der Parkstraße 4.
Die bislang längste Epoche - von 1969 bis 2007 erlebten die Sportschulen an der Parkstraße 4. © SAE Sächsische Zeitung

In Dresden scheinen die Voraussetzungen gut zu sein. Die 100 Internatsplätze sowie 40 Betten im Fußball-Nachwuchszentrum von Dynamo Dresden sind ein wichtiges Argument vor allem für Eltern und Schüler aus der Region. Das lockt selbst Talente aus anderen Bundesländern an - diese Quote liegt bei insgesamt 685 Schülern bei knapp zehn Prozent.

Auf die Sportschulen kommen die Kinder und Jugendlichen nur mit der Empfehlung des jeweiligen Landesfachverbands - in Dresden in derzeit 16 Sportarten. "Das ist immer im Fluss, manche Sportarten gegen weg, andere kommen dazu", sagt Leiterin Göldner. Derzeit bemühen sich die Sportarten Basketball und Handball um Aufnahmemöglichkeiten.

Gesteuert wird dies vom Landessportbund Sachsen (LSB). Wer im Frauenfußball oder Männerhandball übermäßig talentiert ist, müsste aktuell nach Leipzig, Gewichtheber nach Chemnitz, Shorttracker oder Volleyballerinnen beispielsweise nach Dresden.

Göldner und Bitterlich sind überzeugt, dass auch in 30 Jahren zum 100. Jubiläum wieder gefeiert wird. Die bislang letzte Schul-Evaluierung durch den DOSB erfolgte 2019 - die Ergebnisse liegen nach fünf Jahren aber noch immer nicht vor. "Wir sind uns sicher: Dieser Standort hat seine Berechtigung", betont Göldner. Und Zukunft.