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Wie lässt sich politische Beteiligung in Sachsen verbessern?

Beim Sachsen-Kompass wünschen sich viele mehr Transparenz und mehr direkte Demokratie. Lässt sich so politisches Engagement steigern? Ein Gastbeitrag.

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Wer die Wahl hat...
Wer die Wahl hat... © dpa

Von Eric Linhart

Eine Umfrage des Sachsen-Kompasses hat sich mit der Frage befasst, was nach Meinung der Bürgerinnen und Bürger dazu beiträgt, dass mehr Menschen an Wahlen teilnehmen und sich auch anderweitig stärker politisch engagieren.

Die Frage nach politischer Beteiligung ist in der Tat wichtig – schließlich ist Demokratie ohne die Mitwirkung ihrer Bürgerinnen und Bürger nicht denkbar. Viel Zustimmung erhielten in der Umfrage die Antworten „mehr Transparenz bei politischen Entscheidungen“, „mehr direkte Demokratie“, „offenere Diskussionskultur“ und „mehr politische Bildung“. Doch wären entsprechende Maßnahmen tatsächlich geeignet, um zu mehr Beteiligung beizutragen?

Zunächst muss festgehalten werden, dass situative Faktoren die Wahlbeteiligung häufig spürbar beeinflussen: Je knapper ein Wahlausgang erwartet wird und als je unterschiedlicher die zur Wahl stehenden Alternativen wahrgenommen werden, desto höher ist üblicherweise die Wahlbeteiligung.

Dass sich Bürgerinnen und Bürger zur Wahlteilnahme stärker motivieren lassen, wenn es auf ihre Stimme wirklich ankommt und wenn die Konsequenzen der Wahlergebnisse stärker spürbar sind, ist nachvollziehbar. Liegt hingegen die Einschätzung vor, die Wahl sei schon gelaufen oder es sei egal, welche Partei oder Koalition am Ende regiert, dann bleiben Menschen eher der Wahl fern.

Unzufriedenheit und Wahlbeteiligung

Mit Blick auf die aktuelle Landtagswahl in Sachsen spricht also vieles für eine hohe Wahlbeteiligung, denn eng wird es laut aktuellen Umfragen an vielen Stellen. Noch ist nicht ausgemacht, ob die CDU oder die AfD stärkste Kraft werden wird, und bei zahlreichen Parteien, allen voran der SPD, den Grünen und der Linken, ist der Einzug in den künftigen Landtag ungewiss.

Auch mit Blick auf die künftige Regierung ist nicht ausgemacht, ob es rechnerisch für eine Neuauflage der Kenia-Koalition reichen wird – wenngleich diese auch gar nicht von allen Beteiligten gewünscht wird – oder ob ohne AfD oder BSW keine Mehrheiten zustande kommen. Da die genannten Parteien sehr verschiedene Programmatiken vertreten, ist das Kriterium der Unterscheidbarkeit definitiv auch gegeben.

Diese situativen Faktoren lassen sich allerdings nur bedingt beeinflussen. Dass Parteien unterscheidbare Positionen vertreten, haben sie durchaus in der Hand, wie eng eine Wahl wird schon weniger. Welche weiteren Faktoren sind also relevant, mit denen sich politisches Engagement gezielt fördern lässt?

Häufig wird Unzufriedenheit als ein Faktor genannt, der erklärt, weshalb Bürgerinnen und Bürger nicht an Wahlen teilnehmen und sich auch anderweitig nicht politisch engagieren. In der öffentlichen Debatte scheint dieser Faktor manchmal überschätzt zu werden, da hin und wieder der Eindruck entsteht, von ihm alleine hänge das politische Engagement ab. Diese Einschätzung wäre verkürzt. Mancher engagiert sich im Gegenteil aus Zufriedenheit nicht: Läuft alles wie gewünscht, gibt es auch keinen zwingenden Grund zum Handeln.

Dr. Eric Linhart ist Professor für Politikwissenschaft an der TU Chemnitz.
Dr. Eric Linhart ist Professor für Politikwissenschaft an der TU Chemnitz. © privat

Hinzu kommen weitere Faktoren. Wenn Sie gerade diesen Text lesen, würden Sie sich selbst vermutlich als politisch interessiert beschreiben. Vergessen Sie nicht, dass es Menschen gibt, die an Politik keinerlei Interesse haben, sich weder für Wahlen noch für Parteien oder deren Programme interessieren! Es ehrt Sie, wenn Sie mit Ihren Bekannten oder Verwandten, die so denken, die Bedeutsamkeit von Wahlen diskutieren, aber letztendlich haben diese Personen auch das Recht, sich nicht für Politik interessieren zu dürfen und an Wahlen nicht teilzunehmen, wenngleich gesellschaftlich natürlich etwas anderes wünschenswert wäre.

Von manchen erwarten wir ein Engagement auch gar nicht: Kranke, Demente und bettlägerige Greise stellen nun keine übermäßig große Bevölkerungsgruppe dar, tragen aber ebenfalls zur Gruppe der Nichtwählerinnen und Nichtwähler bei und engagieren sich nur in Ausnahmefällen politisch.

Auch wenn die Unzufriedenheit mit Politik keinesfalls alleine fehlendes politisches Engagement erklärt, so stellt sie aber schon einen bedeutsamen Erklärungsfaktor dar. Es gibt verschiedene Untersuchungen, die alle zu dem Schluss kommen, dass politische Unzufriedenheit zum Beispiel zu geringerer Wahlbeteiligung führt.

Um auf die Antworten aus der Umfrage zurückzukommen: Fehlende Transparenz bei politischen Entscheidungen oder eine als zu eng empfundene Diskussionskultur sind grundsätzlich Faktoren, die zu politischer Unzufriedenheit führen. Die Beseitigung entsprechender Missstände führt dann umgekehrt zu weniger Unzufriedenheit und mittelbar zu größerem Engagement.

Licht und Schatten im System

Gleichzeitig ist es wichtig, nicht aus den Antworten undifferenzierte Kritik am politischen System abzuleiten. Dass Transparenz Zufriedenheit und damit Beteiligung erhöhen kann, ist richtig. Damit ist aber nicht gesagt, dass es in unserem System allenthalben an Transparenz mangele. Eine vollständige Bestandsaufnahme kann an dieser Stelle nicht erfolgen. Objektiv betrachtet gibt es insgesamt sowohl Licht als auch Schatten. Auch ohne in eine undifferenzierte Pauschalkritik abzugleiten, kann festgehalten werden, dass es Aufgabe der politischen Entscheidungsträgerinnen und -träger sein muss, in den Bereichen, in denen Transparenz noch ausbaufähig ist, nachzubessern.

Interessant ist, dass auch mehr politische Bildung als geeignete Maßnahme zur Steigerung politischen Engagements gesehen wird. Die Effekte politischer Bildung sind in der Tat vielfältig. Es gibt Studien, die Effekte von Unzufriedenheit nicht nur generell untersuchen, sondern hierbei nach Bildung (zunächst allgemein gesprochen) unterscheiden. Der oben bereits beschriebene Effekt, dass Unzufriedene stärker zu politischer Apathie neigen, wird sowohl für formal weniger als auch für formal höher Gebildete bestätigt. Es zeigt sich aber, dass unter Personen mit niedrigeren Bildungsabschlüssen auch bei Zufriedenen vergleichsweise geringe Beteiligungsraten zu finden sind, insbesondere im Vergleich zu Zufriedenen mit höherer Bildung.

Die Autoren dieser Studie kritisieren damit keinesfalls bestimmte Wählergruppen; sie stellen diese Effekte lediglich fest. Die Konsequenzen sind dennoch weitreichend: Wenn bestimmte Wählergruppen ihre demokratischen Mitwirkungsrechte in geringerem Ausmaß wahrnehmen als andere, dann schwächen sie sich und die Vertretung ihrer Interessen selbst, wodurch faktisch politische Ungleichheit entsteht. Bildung fördert daher nicht nur politisches Engagement, sondern beseitigt im Idealfall auch Ungleichheiten.

Politische Bildung klärt auf

Speziell politische Bildung hat weitere positive Effekte. Im Idealfall schafft die Beschäftigung mit Politik Interesse daran und beseitigt damit einen Grund politischer Apathie. Politische Bildung klärt auch auf. Sie vermittelt, wie das politische System funktioniert, welche Aufgaben welche Institutionen haben, wie politische Prozesse funktionieren und – auf einer ganz grundlegenden Ebene – wo Informationen zu finden sind. Um auf die Frage der Transparenz zurückzukommen: Manche Prozesse mögen nur dann intransparent erscheinen, wenn das Wissen fehlt, wo Informationen zu finden sind, die für Transparenz sorgen.

  • Mehr als 23.000 Menschen aus Sachsen haben an der Umfrage von Sächsischer Zeitung und Leipziger Volkszeitung teilgenommen. Entwickelt und ausgewertet wurde der Sachsen-Kompass unter wissenschaftlicher Begleitung und in Kooperation mit der Agentur "Die Mehrwertmacher". Dabei wurde darauf geachtet, dass die Ergebnisse belastbar sind. Wo es aus kleinen Orten/Stadtteilen nicht ausreichend Antworten für belastbare Aussagen auf Gemeinde-/Stadtteilebene gab, wurden Nachbargemeinden teils gemeinsam ausgewertet. Alle Ergebnisse finden Sie auf saechsische.de/sachsenkompass

Abschließend bleibt die Frage nach mehr direktdemokratischen Elementen zu klären. Ganz offensichtlich ist festzustellen, dass mehr Möglichkeiten der Teilhabe, wenn sie denn genutzt werden, zu mehr Beteiligung führen. Ähnliches gilt aber auch für die Senkung des Wahlalters. Während 51 Prozent derjenigen, die an der (wohlgemerkt nicht repräsentativen) Umfrage teilgenommen haben, mehr direkte Demokratie als zielführend erachten, sind es bei der Senkung des Wahlalters gerade einmal 8 Prozent.

Es ist daher durchaus denkbar, dass der eine oder die andere Befragte die Einschätzung möglicher Effekte mit persönlichen Wünschen nach der politischen Maßnahme verquickt haben könnte. Der Wunsch nach direktdemokratischen Elementen ist in Teilen der Bevölkerung in der Tat stark. Neben dem unzweifelhaft positiven Effekt erhöhter Mitwirkungsmöglichkeiten muss aber bedacht werden, dass Volksentscheide und Co. auch ihre Schattenseiten haben. Diese Diskussion würde hier allerdings zu weit führen und bedürfte eines eigenen Beitrags.