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"Schuldgefühle": Warum ein junger Radeberger seine Heimat verlässt

Wie gern leben die Menschen in Sachsen? Wo müsste sich etwas verändern? Einer, der Sachsen liebt, und dennoch seine Heimat Radeberg verlässt, ist der 19-jährige David Finzel. Welche Gründe er hat.

Von Verena Belzer
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David Finzel hat die Radeberger Demonstrationen gegen Rechtsextremismus mitorganisiert. Nun verlässt er die Stadt.
David Finzel hat die Radeberger Demonstrationen gegen Rechtsextremismus mitorganisiert. Nun verlässt er die Stadt. © René Meinig

Radeberg. "Jetzt bin ich auch einer von denjenigen, die den Osten verlassen." Der 19-jährige David Finzel blickt bei diesen Worten wehmütig in die grünen Weiten des Hüttertals. Dieser Ort hier, das ist einer seiner Lieblingsplätze in Radeberg. Streng genommen verlässt der Radeberger nicht den Osten, denn er geht für ein politisches freiwilliges soziales Jahr nach Berlin. Aber ja, er reiht sich damit ein in die Liste derjenigen, die sich aus Ostsachsen in Richtung Großstadt verabschieden.

David Finzel hat vor einigen Monaten erfolgreich sein Abitur am Humboldt-Gymnasium absolviert. Neben dem Pauken für die Prüfungen hat er vor allem eines gemacht: Er hat sich gegen Rechtsextremismus engagiert. Gemeinsam mit Mitstreitern wie Pfarrer Johannes Schreiner, Alt-OB Gerhard Lemm und der ehemaligen HGR-Schulleiterin Elke Richter hat er die Demos auf dem Markt organisiert.

Und dieses Engagement ist auch der Grund für seine Wehmut. "Ich habe schon so etwas wie Schuldgefühle", gibt er unumwunden zu. "Ich habe angefangen, mich hier zu engagieren und jetzt fühlt es sich schwierig an, Radeberg zu verlassen." Dennoch: Von dem Jahr in Berlin erwartet er sich viel. "Das ist eine Herzensangelegenheit."

Eindrückliche Erinnerungen an "Radeberg is(s)t bunt"

Fragt man die Bürger in Radeberg und Umgebung danach, wo sich in Sachsen am dringendsten etwas ändern müsste, dann sagen 50 Prozent der Befragten: "Beim gesellschaftlichen und politischen Miteinander". Im gesamten Landkreis Bautzen sehen das 43 Prozent so. Diese Frage war nur eine von vielen im Sachsen-Kompass, einer großen Umfrage von Sächsische.de.

David Finzel wollte in den gesellschaftlichen Austausch treten, über Parteigrenzen hinweg. Und das hat er auch getan. Auf dem Markt in Radeberg haben sich regelmäßig Vertreter aller demokratischen Parteien versammelt. Besonders eindrücklich ist dem 19-Jährigen der Brunch "Radeberg is(s)t bunt" in Erinnerung geblieben. "Das war toll zu sehen, wie viele Menschen da gekommen sind", sagt er. "Jeder ist mit jedem ins Gespräch gekommen." Diese Formate würde er sich mehr wünschen.

"Fremdenfeindlichkeit akzeptieren wir nicht"

"Die Demos haben gezeigt, dass es ein breites Bündnis gibt", sagt David Finzel. "Aber in meinen Augen sind es immer noch zu viele Menschen, die montags ihre Runden drehen." Laut Sachsen-Kompass sagen 40 Prozent der Befragten, dass sich beim Thema "Migration/Integration" dringend etwas ändern müsse.

David Finzel hat dazu eine klare Meinung. "Die AfD, das sind in meinen Augen Menschenfeinde", sagt er. "Wenn Menschen aus anderen Kulturen zu uns kommen, dann ist es auch okay, offen darüber zu sprechen, wovor Menschen vielleicht Angst haben und was vielleicht schiefläuft, um dann eine gemeinsame Lösung für alle zu finden. Es gibt eine klare Trennung zwischen Rassismus und Angst."

  • Mehr als 23.000 Menschen aus Sachsen haben an der Umfrage von Sächsischer Zeitung und Leipziger Volkszeitung teilgenommen. Entwickelt und ausgewertet wurde der Sachsen-Kompass unter wissenschaftlicher Begleitung und in Kooperation mit der Agentur "Die Mehrwertmacher". Dabei wurde darauf geachtet, dass die Ergebnisse belastbar sind. Wo es aus kleinen Orten/Stadtteilen nicht ausreichend Antworten für belastbare Aussagen auf Gemeinde-/Stadtteilebene gab, wurden Nachbargemeinden teils gemeinsam ausgewertet. Alle Ergebnisse finden Sie auf saechsische.de/sachsenkompass

Seine Grenze: "Bei Fremdenfeindlichkeit muss klar sein: Das akzeptieren wir nicht." Von Politik und Gesellschaft erwartet er sich eigentlich genau diese Grenze. "Sobald junge Menschen Angst vor Nazi-Schlägertrupps haben und sich in ihrer Heimat nicht mehr frei bewegen können, sollte allen klar sein, dass das untragbar und unzumutbar ist." Erst kürzlich musste der Demo-Zug des Christopher-Street-Day (CSD) in Bautzen wegen der Bedrohungslage unter Polizeischutz gestellt werden.

"Wie muss sich jemand fühlen, der anders aussieht?"

Fremdenfeindlichkeit - das ist besonders unter Rechtsextremen verbreitet. Und viele davon verbreiten Angst. "Angst ist nicht mein permanenter Begleiter", sagt David Finzel. "Aber die Angst ist definitiv mehr geworden." Ihm sei auch schon "Zecke" hinterhergerufen worden, "das ist gruselig". Dabei sehe er im Grunde noch nicht mal besonders "links" aus. Die Bedrohung aus dem rechtsextremen Milieu ist auch der Grund, warum David Finzel in diesem Text nicht mit einem Foto gezeigt werden möchte.

Das Thema Sicherheit nennen bei der Umfrage im Sachsen-Kompass ebenfalls viele der Befragten als ein Thema, bei dem sich etwas ändern müsse: über 22 Prozent und damit jeder Fünfte.

David Finzel will klarstellen: "Ich bin weiß, männlich und 1,80 groß. Wie muss sich jemand fühlen, der anders aussieht, wenn es schon für mich unangenehm ist?" Und in Radeberg sei die Situation auch nochmal anders als beispielsweise in Bautzen. "Aber klar, auch hier gibt es jugendliche Nazis." Diese Einschüchterungen, die es auch während der Demos in Radeberg gegeben hat, würden gezielt als politische Waffe eingesetzt werden, sagt er.

Rückkehr nach Radeberg möglich

Und dennoch: David Finzel will eines Tages gern wieder zurück nach Radeberg kommen. Nach dem Jahr in Berlin will er Jura oder Ökonomie studieren, einen genauen Plan gibt es noch nicht. "Mein Idealbild von der Zukunft ist schon, dass ich mit meiner Familie in einem Haus am Radeberger Stadtrand wohne", sagt der 19-Jährige. "Ich spüre eine Liebe für Radeberg, eigentlich will ich das nicht verraten."

Er wolle dann auch wieder mitgestalten, sich lokal engagieren. Vielleicht in der Politik? "Vielleicht", sagt David Finzel und lächelt.