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Sachsen-Kompass: Sieben Ideen gegen den Unterrichtsausfall

Fast eine Million Unterrichtsstunden sind im ersten Halbjahr des vergangenen Schuljahres in Sachsen ausgefallen. Wie kann sich das ändern? Sieben Ansätze.

Von Andrea Schawe
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Sachsenweit fielen im ersten Halbjahr 2023/24 mehr als 997.500 Unterrichtsstunden aus.
Sachsenweit fielen im ersten Halbjahr 2023/24 mehr als 997.500 Unterrichtsstunden aus. ©   dpa

Monatelang kein Unterricht in einzelnen Fächern, kurzfristige Ausfälle und fachfremde Vertretungen: Alltag an Sachsens Schulen. Im ersten Halbjahr des vergangenen Schuljahres sind 8,8 Prozent der Unterrichtsstunden an Sachsens Schulen ausgefallen – ein neuer Höchststand. Sachsenweit fielen mehr als 997.500 Unterrichtsstunden an Grund-, Ober- und Förderschulen sowie Gymnasien und Berufsschulen aus.

64 Prozent der Befragten in der großen Umfrage "Sachsen-Kompass" gaben an, dass sie sich weniger Unterrichtsausfall in Sachsens Schulen wünschen - mehr als 14.800 Menschen. Wie aber kann das gelingen?

Mehr Lehrer einstellen als ausscheiden

Der massive Unterrichtsausfall ist ein hausgemachtes Problem. Der jahrelange Sparkurs der CDU und auch der FDP führte dazu, dass kaum ein Lehrer eingestellt wurde. Das Umsteuern kam zu spät – unter anderem hat Sachsen mehr Lehrerstellen im Haushalt eingeplant und 2019 die Verbeamtung eingeführt. Referendare bekommen nun eine Zulage, wenn sie in ländlichen Regionen unterrichten, und verdienen damit bundesweit am besten.

"Im Ergebnis haben wir seit dem Schuljahr 2015/2016 immer mehr Lehrer einstellen können, als altersbedingt ausgeschieden sind", sagt Kultusministeriumssprecher Dirk Reelfs. Allerdings sind gleichzeitig auch die Schülerzahlen gestiegen. Deswegen herrscht noch immer Personalmangel: Im Schuljahr 2023/24 fehlten nach Angaben des Kultusministeriums 1.086 Vollzeitlehrkräfte, um den Unterricht an allen Schulen zu 100 Prozent abzusichern.

Um kurzfristig Unterrichtsausfall zu vermeiden, werden Lehrer von einer Schule ganz oder teilweise abgeordnet. Die FDP schlägt vor, kurzfristig Lehrkräfte aus der Verwaltung abzuziehen und vor die Klassen zu bringen.

  • Mehr als 23.000 Menschen aus Sachsen haben an der Umfrage von Sächsischer Zeitung und Leipziger Volkszeitung teilgenommen. Entwickelt und ausgewertet wurde der Sachsen-Kompass unter wissenschaftlicher Begleitung und in Kooperation mit der Agentur "Die Mehrwertmacher". Dabei wurde darauf geachtet, dass die Ergebnisse belastbar sind. Wo es aus kleinen Orten/Stadtteilen nicht ausreichend Antworten für belastbare Aussagen auf Gemeinde-/Stadtteilebene gab, wurden Nachbargemeinden teils gemeinsam ausgewertet. Alle Ergebnisse finden Sie auf saechsische.de/sachsenkompass

Ältere Lehrerinnen und Lehrer sollen länger arbeiten

Eine Ressource für mehr Personal in den Schulen sind ältere Lehrkräfte. Neun von zehn Lehrerinnen und Lehrern gehen vorzeitig mit 63 Jahren in Rente. Sie müssten durch attraktive Angebote überzeugt werden, länger im Beruf zu bleiben, sagt Burkhard Naumann, der Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Sachsen. "Ich wundere mich sehr, dass die Landesregierung da noch so wenig tut."

Der Freistaat zahlt ihnen zwar Zulagen, wenn sie bleiben; viele verzichten aber wegen der hohen Arbeitsbelastung auf das Geld. Das wird in Zukunft wegen der Altersstruktur der Lehrkräfte eine noch größere Rolle spielen – mehr als 6.200 Lehrkräfte sind älter als 60 Jahre.

Massiver Ausbau von multiprofessionellen Teams

Mehr Lehrer einzustellen, ist schwierig, weil Bewerber fehlen. Der Arbeitsmarkt für Lehrkräfte ist bundesweit umkämpft. Deswegen müssten die Lehrer, die schon in den Schulen arbeiten, mehr Zeit für ihre Kernaufgabe bekommen: den Unterricht.

Sachsen hat in den vergangenen Jahren viel in multiprofessionelle Teams investiert. Mittlerweile arbeiten etwa 800 Schulassistenten in den Schulen, dazu kommen noch Verwaltungsfachkräfte, IT-Fachkräfte, Sprach- und Integrationsmittler, Schulsozialarbeiter und Schulpsychologen.

Geplant ist ein weiterer Ausbau dieser Teams – da sind sich alle einig. "Langfristig kann dies zu mehr Lehrkräften führen, weil damit auch die Attraktivität des derzeit sehr belastenden Berufs deutlich steigt", sagt GEW-Chef Burkhard Naumann.

Mehr Studierende sollen Lehramtsstudium abschließen

Sachsen will auch selbst mehr Lehrer ausbilden. Die Studienplätze im Lehramt wurden auf 2.700 erhöht. Das Problem: Viele brechen das Studium ab, vor allem in den Naturwissenschaften. Seit dem Wintersemester 2023/24 werden zusätzliche Tutorien in den Lehramtsstudiengängen angeboten, insbesondere in den MINT-Fächern. Für das Fach Mathematik im Grundschul- und Oberschullehramt gibt es an allen lehrkräftebildenden Universitäten speziell auf den Lehrerberuf abgestimmte Lehrveranstaltungen. "Ich hoffe sehr, dass es mit zusätzlichen Tutorien gelingt, die Abschlussquoten zu erhöhen", sagt Kultusminister Christian Piwarz (CDU).

Vier Tage Unterricht und ein Projekttag

Ein Pilotprojekt der TU Dresden soll zur Verbesserung der Lehrerversorgung in der Lausitz beitragen. Ab diesem Schuljahr sollen mehr als 60 Lehramtsstudierende an mindestens fünf Schulen im Landkreis Görlitz unterrichten. Jeden Freitag sind sie für ein semesterbegleitendes Praktikum in den Schulen, machen Angebote für kleine Lerngruppen, für die im normalen Unterricht kaum Zeit bleibt. Für die angehenden Lehrkräfte ist das die dringend benötigte Praxis, für die Schülerinnen und Schüler ist es etwas anderes als Unterrichtsausfall. Im vergangenen Schuljahr haben zwei Oberschulen in Zittau und Weißwasser damit positive Erfahrungen gemacht.

Praktikum in Unternehmen statt Unterrichtsausfall

Das Kultusministerium will in Zukunft die Zusammenarbeit von Schulen mit externen Partnern ausbauen – auch, um die Berufsorientierung zu stärken. Im Landkreis Görlitz haben drei Unternehmerverbände gemeinsam mit dem Kreiselternrat ein Modellprojekt vorgeschlagen, bei dem die Schüler in der Produktion arbeiten, statt Unterrichtsausfall zu erleben. Von Klasse 7 bis 9 sollen die Schüler einen Praxistag pro Woche in Unternehmen absolvieren. Für die Unternehmen vor Ort wäre das die Chance, den Fachkräftemangel anzugehen. Eine Bautzner Oberschule hat das schon ausprobiert: Dort arbeiteten die Schüler der Klassenstufen 8 und 9 je ein Halbjahr lang einen Wochentag in einem Unternehmen.

An der Dresdner Universitätsschule, einem gemeinsamen Projekt der Stadt mit der TU Dresden, gibt es für eine frühe und intensive Berufsorientierung einen Praktikumstag seit dem Schuljahr 2022/23. In den Klassenstufen 7 bis 8 haben die Schülerinnen und Schüler jeweils vier Lerntage in der Schule und am Freitag einen Praktikumstag in einem selbst gewählten Betrieb.

Lehrpläne entschlacken und Stundentafel kürzen

Eine weitere Möglichkeit, die helfen würde, den Unterrichtsausfall abzufedern, ist die Überarbeitung der Lehrpläne. Gewerkschaften, SPD, Grüne und Linke fordern schon seit Jahren, den Stoff zu entschlacken und die Stundentafel zu kürzen. "Wir müssen unsere Lehrpläne hinterfragen und entschlacken, flexible Lösungen ermöglichen und Freiräume schaffen", fordert der Landeselternrat. Auch die FDP unterstützt das und will dabei ein besonderes Augenmerk auf die effiziente Vermittlung von Inhalten legen.