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Warum der Sächsische Literaturpreis an die Leipzigerin Angela Krauß geht

„Das Leben wird unnachahmlicher, je länger es dauert“, weiß Angela Krauß. Folgerichtig bekam sie nun mit 74 Jahren Sachsens höchste Literatur-Auszeichnung.

Von Rainer Kasselt
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„Das Leben wird unnachahmlicher, je länger es dauert“, meint Angela Krauß. Folgerichtig bekam sie nun im Alter von 74 Jahren Sachsens höchste Literatur-Auszeichnung.
„Das Leben wird unnachahmlicher, je länger es dauert“, meint Angela Krauß. Folgerichtig bekam sie nun im Alter von 74 Jahren Sachsens höchste Literatur-Auszeichnung. © imago

Der Preis überrascht nicht. Verdient hat ihn Angela Krauß allemal. 1984 erschien bei Aufbau ihr Debüt „Das Vergnügen“. Schon mit diesem Erstling etablierte sich die 1950 in Chemnitz geborene Dichterin als eine „außergewöhnliche Stimme ihrer Generation“, meint die Jury des Sächsischen Literaturpreises und lobt ihre singuläre „Literatur, die funkelndes Sprachvermögen und philosophische Reflexion miteinander verbindet“.

In diesem Frühjahr legte Angela Krauß bei Suhrkamp, dem Traumverlag deutscher Autoren, ihr 15. Buch vor. Es trägt den hoffnungssatten Titel „Das Weltgebäude muß errichtet werden. Man will ja irgendwo wohnen.“ Es soll humane Heimstatt für alle Menschen sein: gleich welcher Hautfarbe, welchen Geschlechts, welcher Konfession. Ein schöner Traum angesichts der realen Welt mit Krieg, Katastrophen, Klimawunden.

Durch die „Dunkelkammer der Weltentwicklung“

Angela Krauß ist keine Träumerin, sie tastet sich mühsam, hellwach und wissbegierig durch die „Dunkelkammer der Weltentwicklung“. In all ihren Arbeiten ist sie auf der Suche nach der „Wiege des Menschseins“, dem Rätsel unserer Existenz. Sie hat das Ganze im Blick und stößt die Fenster zur Welt weit auf. Schon länger lebt sie in der „Gewissheit, Zeuge einer großen Daseinsverwandlung zu sein“, schreibt sie im jüngsten Buch. Diese habe sich angekündigt, „mit einem weltweiten Innehalten“, Angst und Argwohn „verdünnten die Luft zum Atmen“.

Angela Krauß vermeidet in ihrer poetischen, präzisen Sprache politische und ideologische Begriffe wie Zeitenwende oder zerrissene Gesellschaft. Sie beschreibt vielmehr die oft verheerenden Folgen politischer Entscheidungen für jeden Einzelnen. So in der meisterhaften, bitteren Geschichte „Der Dienst“, für deren frühe Fassung sie 1988 den begehrten Ingeborg-Bachmann-Preis erhielt, das Eintrittsbillett in die großen Feuilletons.

„Im Oktober 1968 erschoss sich mein Vater im Dienst“

Angela Krauß porträtiert ihren Vater, der als Bergbau-Polizist einen streng geregelten Dienst bei der Wismut versah, als im Erzgebirge Uran für die Sowjetunion abgebaut wurde. Es galt das sogenannte Frunse-Prinzip: „Jeder Soldat erhält das Minimum an Information, das zur Ausführung eines Befehls unmittelbar notwendig ist.“

Der Vater sprach häufig im Schlaf, erwähnte den Ernstfall. Er lebte im „Gehäuse der Schweigepflicht“, in vollkommener Einsamkeit. „Im Oktober 1968 erschoss sich mein Vater im Dienst“, notiert Angela Krauß lapidar. Sie erinnert auch in späteren Texten, so in „Eine Wiege“, an den geliebten Vater, der erst 48 war, als er in einem „Augenblick absoluter Freiheit des Menschen“ den Freitod wählte.

Die Gründe von Hass und Liebe, Gewalt und Zärtlichkeit

ie sieht ihn im Sommer im See schwimmen, „seine Augen: groß und dunkel. Als hätte er lange auf den Grund des Stechlin gesehen.“ Ihre Prosaarbeiten und Gedichte sind intensive Zwiegespräche mit den Lesern. Sie schreibt nicht über das, was sie schon weiß und kennt. Sie geht mit den Lesern auf gemeinsame Suche nach Entdeckung und Erkenntnis. Sie fragt nach den Gründen von Hass und Liebe, Gewalt und Zärtlichkeit.

Ihre irdische und poetische Existenz ist ohne den launischen Amor nicht zu denken. „Ohne Liebe wird nichts überleben.“ Im Band „Der Strom“ spannt sie ein Seil zwischen Himmel und Erde und hält die Balance zwischen Traum und Tat.

Leid, Krankheit, Verrat, Verzweiflung, Schreibkrise

Sie weiß mit der Dichterin Nelly Sachs: „Alles beginnt mit der Sehnsucht“. Mit der Sehnsucht der Menschen nach Glück, Anerkennung und Liebe. Obwohl Angela Krauß Leid, Krankheit, Verrat, Verzweiflung, Schreibkrise erfahren hat, weht durch ihre Zeilen ein sanfter Wind der Hoffnung. Wo andere mit dem Alter hadern, meint sie: „Das Leben wird unnachahmlicher, je länger es dauert: exaltiert und erlesen, von stiller Ekstase.“

Ihre Bücher kommen nicht als Ware auf die Welt, dazu werden sie erst auf dem Markt gemacht. Sie kommen als etwas Freies, Offenes auf die Welt, „als ein Traum von jemandem, den viele andere weiterträumen können “, sagte Angela Krauß in einem SZ-Gespräch. Ihr schönster, schräger Traum? „Es sollte drei Tage Dunkelheit geben, um die Menschheit zu erneuern.“

  • Angela Krauß hält am 12. September um 19 Uhr die diesjährige Kamenzer Rede über „Verklärung und Aufklärung“ in der Museumskirche St. Annen.