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Radikalisierung und Extremisierung: Reden allein reicht nicht mehr

Nach jahrelangen Bürgerdebatten zeigt sich: All die Dialoge mit radikalisierten Menschen haben nichts zum Besseren verändert. Ziehen wir die Konsequenzen.

Von Oliver Reinhard
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Dialoge mit Radikalisierten verändern nichts zum Besseren. Was also tun?
Dialoge mit Radikalisierten verändern nichts zum Besseren. Was also tun? ©  pixabay.com

Fahren wir im Urlaub in die Berge oder ans Meer? Wer springt für die kranke Kinderbetreuung ein, wenn Vater und Mutter arbeiten müssen? Sollen wir den lecken Kühlschrank noch einmal reparieren oder einen neuen kaufen? Ob in der Familie, unter Freunden, in der Gesellschaft: Unser Miteinander funktioniert nicht ohne Dialog. Müssen wichtige Fragen geklärt oder auch nur unterschiedliche Bedürfnisse benannt werden, führt der Weg nur übers Miteinander-Reden. Das ist im Leben genauso wie in der Demokratie.

Nicht minder gilt für beide: Der bloße Austausch von Meinungen genügt keineswegs, um auch gemeinsam Lösungen für Probleme zu finden – das höchste und wichtigste Ziel des Dialogs. Vor allem, wenn es ums Mitreden und Mitbestimmen geht, in der Gesellschaft, in unserem Land, im Austausch mit „der Politik“. Schließlich beruht das Leben wie die Demokratie darauf, voneinander zu wissen, was wir für Vorstellungen vom Miteinander haben, was uns bewegt und belastet.

Doch das nackte „Gut, dass wir darüber geredet haben“ bringt auf Dauer nichts und niemanden wirklich weiter. Erst recht nicht unser Land. Und nach Jahren des permanenten Dialogs auch und gerade in Sachsen darüber, wie sich die gesellschaftlichen Polarisierungen und Brüche, die Radikalisierungen und verbalen Entgrenzungen des Gegeneinanders wieder einhegen und zurückführen lassen in ein Miteinander, muss man leider konstatieren: Diese in den Dialog gesetzten Hoffnungen sind geschwunden.

Welle von Debatten- und Dialogforen

Zehn Jahre sind seit der Geburt von Pegida vergangen und seit dem Beginn einer wahren Welle von Debatten- und Dialogforen. Ihr Ziel war der Austausch und das Zueinanderfinden, organisiert von Vereinen, Gemeinden, Kirchen, zivilgesellschaftlichen Institutionen und der Politik, bis hinauf zum beharrlich „mit allen“ redenden Ministerpräsidenten. Das Fazit all dieser Bemühungen fällt ernüchternd aus: Nichts, wirklich gar nichts ist seither im Miteinander besser geworden. Im Gegenteil. Aus zwei Hauptgründen, die unmittelbar zusammenhängen.

Nicht nur die liberale Demokratie beruht darauf, dass sich neben dem bloßen Meinungsaustausch auch Einvernehmen zwischen Regierenden und Regierten herstellen lässt. Immer offensichtlicher wird jedoch, dass gewisse gesellschaftliche Gruppen gar nicht (mehr) am Zueinander- und Konsensfinden interessiert sind. Zwar ist es verständlich, dass gerade in Zeiten einer Vielzahl tatsächlicher und gefühlter Krisen Unsicherheit, Angst, Frustration und auch Wut wachsen. Zugleich führt das etliche Menschen direkt in die Radikalisierung, in den Extremismus, die totale Verweigerung des Miteinanders, die freiwillige Selbstabspaltung von der Mehrheitsgesellschaft.

Radikalisierung wird immer übergriffiger

Und die Auffangbecken der Extremen schwillen an. Sie werden bereitgestellt durch Organisationen, die die liberale Demokratie per Systemsturz durch eine antiliberale Demokratie nach ungarischem Vorbild ersetzen wollen. Oder gleich eine unterdrückerische Autokratie wie die von Putin. Zu diesen Organisationen zählen die rechtsextreme AfD genauso wie die reichsbürgerlichen, faschistischen und neonazistischen Freien Sachsen; sogar sie haben hier rund 100.000 Anhänger.

Diese Radikalisierung und Extremisierung greift um sich und wird immer übergriffiger. Das mündet inzwischen regelmäßig in eine aggressive Bedrohung der demokratisch denkenden und handelnden Mehrheit. Angriffe auf Wahlhelfer und Politiker sind ebenso an der Tagesordnung wie Einschüchterungen bei Veranstaltungen, von Kundgebungen für Demokratie bis zu Popkonzerten. Für konstruktiven Dialog haben diese Radikalisierten nur noch Spott übrig.

Der zweite Grund ist deren einseitige Aufkündigung der Grundvoraussetzungen für jeden Dialog: Faktentreue, Respekt, Fairness. Stattdessen werden Fakten kurzerhand geleugnet und Tatsachen zu Lügen erklärt, wird attackiert, niedergeredet und auf dialogbereit ausgestreckte Hände gespuckt. Auch Ministerpräsident Michael Kretschmer muss oft genug erleben, dass Leute, denen er sich zum Austausch stellt, ihn lediglich an- und niederschreien und ihm ihren Hass endlich mal persönlich vor die Füße erbrechen wollen.

Was also tun?

Machen wir uns also nichts (mehr) vor: Wer solche Menschen, die sich freiwillig von der demokratischen Zivilgesellschaft ins antidemokratische Aus abgesetzt und dort ihre wahre Heimat gefunden haben, trotz deren Häme, Hass und ausgehärteter Verweigerungshaltung immer noch per Dialog zum konstruktiven Miteinander bewegen will, ist nicht nur unbeirrbar, sondern auch unbelehrbar.

Was also tun? Mit denen nicht mehr reden? Doch – um gegenzuhalten. Aber nicht mehr, um einen Konsens zu erzielen, weil das, wie sich klar zeigt, völlig vergeblich geworden ist. Auch wenn es keine Brandmauer zur rechtsextremen AfD gibt: Was unser Land braucht, ist ein eiserner Vorhang, vor dem sich die Mehrheit der demokratischen Zivilgesellschaft schart, die zum konstruktiven Dialog bereit ist und gemeinsam Lösungen für die großen Herausforderungen unserer Zeit finden will. Wer aber diese Dialog-Bemühungen nur torpedieren und sabotieren will und sich darin auch nicht beirren lässt, darf und soll gerne im selbst gewählten Abseits verharren. Auch das muss eine freiheitliche Demokratie respektieren.