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SZ + Dresden

Gewalt in der JVA: "Nieren ausklopfen"

Im Prozess gegen fünf Dresdner Justizbedienstete, die Gefangene gezielt geschlagen haben sollen, wird ein Teil ihrer rassistischen Chats bekannt.

Von Alexander Schneider
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In einer Dresdner Justizvollzugsanstalt sollen Bedienstete Gefangenen misshandelt haben.
In einer Dresdner Justizvollzugsanstalt sollen Bedienstete Gefangenen misshandelt haben. © Symbolfoto: Robert Michael

Dresden. Von Methoden, wie die angeklagten Justizvollzugsbeamten laut ihrer eigenen Chats aggressive Gefangene behandelt haben wollen, habe die Leiterin der Dresdner Justizvollzugsanstalt (JVA) Rebecca Stange "so noch nicht gehört". Stange wird am Freitag im Prozess gegen die fünf Männer im Alter von 31 bis 53 Jahren vernommen. Seit einer Woche stehen sie unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung im Amt vor dem Amtsgericht Dresden.

So fragt der Richter die JVA-Leiterin etwa, ob das, was die Justizvollzugsbediensteten "Nieren ausklopfen" nennen, geeignet sei, die Körperspannung aggressiver Insassen zu lösen? "Das ist völlig abwegig", antwortet Stange. Sie ist die letzte Zeugin an diesem zweiten Sitzungstag.

Es ist ein betagtes Verfahren. Die Taten sollen sich im Sommer 2018 in Stanges JVA ereignet haben. Ans Licht kamen sie erst im Frühjahr 2019 im Rahmen der Ermittlungen gegen den Mitangeklagten Daniel Zabel (43), gegen den wegen Geheimnisverrat ermittelt wurde, weil er den Untersuchungshaftbefehl eines Irakers veröffentlicht hatte. Im Oktober 2019 wurde Zabel, inzwischen im Landesvorstand der AfD Sachsen, allein dafür zu elf Monaten auf Bewährung verurteilt. Nun sitzt er zwischen seien früheren Kollegen, die alle seit Jahren vom Dienst suspendiert sind.

Zabels Verteidiger erklärte, es gebe übliche Techniken, Zwang auf renitente Gefangene auszuüben, dazu zählten etwa auch Schläge in die Nieren. Mit der in den Chats genutzten Formulierung "er hat den Boden geküsst" sei das "Zubodenbringen" gemeint, ein übliches Synonym.

Die JVA-Leiterin kann mit dieser Erklärung nichts anfangen. Wenn Gefangene auf andere Insassen oder Bedienstete losgingen, seien sie festzuhalten und möglicherweise auch zu fixieren, also zu fesseln. In drastischen Fällen seien sie in den "besonders gesicherten Haftraum" (bgH) zu bringen, von denen es drei in der Dresdner JVA gibt. Natürlich sind solche Maßnahmen zu dokumentieren und die Vorgesetzten zu informieren.

Nicht alles wurde dokumentiert

Was Dokumentation und Information angeht, scheint es bei den angeklagten drei gewalttätigen Übergriffen auf ausländische Gefangene, Luft nach oben zu geben. Auch das macht Stange in ihrer Vernehmung deutlich. Ein Gefangener, der von Bediensteten in seinen Haftraum, den er unter Wasser gesetzt hatte, so zurückgestoßen worden sein soll, dass er ausrutschte und sich am Kopf verletzte, hätte laut Stange wohl gar nicht in diese Nasszelle zurückgebracht werden dürfen. In der JVA würden regelmäßig Deeskalationsschulungen angeboten. Darin gehe es neben um der Anwendung unmittelbaren Zwangs auch um die Kommunikation in solchen Situationen.

Ein Teil der verräterischen Chats wird durch einen Antrag der Nebenklagevertreterin Rita Belter bekannt. Das Schöffengericht hatte die Kommunikation der Angeklagten in ihrer Chatgruppe "G1", in der auch noch weitere Bedienstete vertreten waren, abgelehnt. Belter vertritt einen 28-jährigen Tunesier, der in einem besonders gesicherten Haftraum von drei Angeklagten zusammengeschlagen worden sein soll. Darin rühmen sich die Männer für ihre Tat und verhöhnen ihr Opfer. Es geht auch durchaus rassistisch zu.

So nennt einer der Angeklagten (40) einen dunkelhäutigen Mitangeklagten (31), der damals als Anwärter neu in der JVA war, immer wieder als "unser neuer lieber deutscher Kollege mit der nicht passenden Farbe" oder "Fehlfarbe". Weiter schreibt der 40-Jährige über die Auseinandersetzung im bgH: "Plötzlich fiel doch die Matratze um, und wir haben uns alle drei so erschrocken, dass reflexartig die rechte Gesichtshälfte des Delinquenten massiert wurde. Als federleichte 88 Kilo auf seinem Kopf in Stellung gegangen sind, wurden ihm anschließend sämtliche Gelenke massiert und die Nieren ausgeklopft."

Zabel: "Fehlfarbe hat gestrahlt"

Die Nachricht wurden unmittelbar nach dem Zwischenfall verfasst. Ein Mitangeklagter (48) antwortete: "Geil" - und Zabel fügte hinzu: "Fehlfarbe hat gestrahlt und man erkannte ihn im Dunkeln." Es geht so weiter. Der 48-Jährige schrieb wenig später etwa über den Novizen: "Er würde richtig passen. Ab da könnte man uns nie was Rassistisches unterstellen. Ich stell mir gerade vor, erst ich bei der Verhandlung und dann kommt er als Zeuge rein. Hammer." Die Verhandlung erlebt er jetzt, wenn auch lange Zeit danach, und der 31-Jährige sitzt neben ihm.

Nebenklagevertreterin Belter will in ihrem Antrag zeigen, dass die Chats entscheidend für die Motivation der Angeklagten sei. Wie angeklagt, hätten die Angeklagten zunächst ihren Mandanten geweckt, indem sie den Ventilator des Haftraums angeschaltet hätten. Schließlich habe Zabel dem 28-Jährigen mit der Taschenlampe geblendet - und einen Grund gehabt, in die Zelle zu gehen, als sich der Gefangene hinter seiner Ledermatratze, dem einzigen Gegenstand in dem besonders gesicherten Haftraum, versteckt habe.

So gab Zabel in seinen Chatnachrichten etwa auch eine Kurzzusammenfassung des Übergriffs auf ihren Mandanten bekannt, in der er unter anderem schrieb: "Also der Wichser der Kollegen im B Haus angegriffen hat, war im Bunker (so wird der besonders gesicherte Haftraum (bgH) genannt, Anm. d. Red). Leider versteckte er sich dann in der Ecke hinter der Matratze. Vermutlich war es ihm zu hell im Gesicht wegen der Taschenlampen. Also Ja, sein Pech."

Sie seien dann also zu dritt in den Raum gegangen: "Tür uff, rein, kurz etwa vier Minuten ausgiebig belehrt von oben, unten, rechts wie links. Handfessel ran, und die Matratze gesichert. Dann erklärt ausgiebig von oben und seitlich, dass das so nicht geht." Der Geschädigte habe es dann auch eingesehen und man habe den bgH verlassen. Zabel: "Klar wir waren wieder Nazis. Und Fehlfarbe war so schnell, dass der Gefangene nur zwei Bedienstete sah."

Als die Chats im Raum stehen, meldet sich auch Zabel als einziger zu Wort. Er lässt über seinen Verteidiger Frank Hannig mitteilen, die geschilderten Sachverhalte seien stark übertrieben. Der Grund sei, man habe besonders cool und männlich habe wirken wollen. Hannig nennt zur Verdeutlichung bewusst, wie sein Mandant ihm vorgegeben habe, den begriff "Schwanzvergleich" - und entschuldigt sich auch gleich für diesen Begriff. Auf die Idee, sich aufgrund dieser unwürdigen Chats unter Justizbeamten auch für andere Dinge zu entschuldigen, kommt keiner der Angeklagten oder ihrer Verteidiger.

Weder Geschädigte, noch Zeugen

Die Hauptermittlerin des Falls, eine Hauptkommissarin vom Landeskriminalamt, hatte sich auch auf die Chatnachrichten bezogen. Sie enthielten klare Hinweise auf Körperverletzungen, sagte sie. Gemeinsam mit Mitarbeitern aus der JVA habe man aus den sichergestellten Chats insgesamt neun Tatkomplexe herausgearbeitet, von denen vier angeklagt wurden. Drei Körperverletzungen und ein Foto, dass einer der Angeklagten von einem Gefangenen gemacht und in einer Chatgruppe namens "CORPS53" veröffentlicht hatte.

Die Polizistin berichtete, dass es aufgrund des Zeitablaufs nicht mehr möglich gewesen sei, alle möglichen Geschädigten und Zeugen ausfindig zu machen. In einem fall etwa hätten ein Geschädigter und ein Mitinsasse unabhängig voneinander und ohne Kenntnis der Chats das Gleiche ausgesagt, was sich in und vor einem Haftraum zugetragen haben soll. Das habe sie als sehr glaubwürdig wahrgenommen.

In der Hauptverhandlung muss das Schöffengericht auf alle Geschädigte verzichten und Mitgefangene, die Zeugen sein könnten. Sie alle sind nicht mehr erreichbar. Am Freitagmorgen etwa scheiterte die geplante Vorführung eines Zeugen, der angeblich in Dresden lebt. Polizeibeamte, die in zu Hause abholen sollten, berichteten, der Mann sei nach Angaben von Mitbewohnern schon Monate nicht mehr gesehen worden und möglicherweise in Italien.

Auch das jetzige Zeugenproblem ist eine Folge des Umstands, dass der Prozess um diese spektakulären Vorwürfe, den Verdacht einer rassistisch motivierten Gruppe von Justizbeamten, die gezielt Gewalt gegen ausländische Gefangene ausgeübt haben sollen, erst knapp zwei Jahre nach Anklageerhebung stattfindet. Das Gericht nannte neben der Corona-Pandemie auch das Problem, einen geeigneten Sitzungssaal zeitnah zu finden. Der Prozess, der nun in einem Saal des Oberlandesgerichts Dresden im Ständehaus stattfindet, wird am kommenden Freitag fortgesetzt.