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Welche Rolle spielen die Freien Sachsen im Landtagswahlkampf?

Sie wollen Kretschmer verhaften und dass Sachsen aus Deutschland austritt: die rechtsextremen Freien Sachsen. Warum sie bei der Wahl auf die Anhänger der AfD setzen.

Von Moritz Schloms
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Die Freien Sachsen können ihre Anhänger schnell auf die Straße bringen, in den sozialen Netzwerken sind sie ein Machtfaktor. Für den Landtag reicht es wohl trotzdem nicht.
Die Freien Sachsen können ihre Anhänger schnell auf die Straße bringen, in den sozialen Netzwerken sind sie ein Machtfaktor. Für den Landtag reicht es wohl trotzdem nicht. ©  Robert Michael/dpa

Allein die Anzahl der Plakate täuscht eine Größe vor, die die Partei nach aktuellen Umfragen gar nicht hat. Auf ihnen fordern die Freien Sachsen zum Beispiel den Säxit, also den Austritt Sachsens aus Deutschland. Ihren Parteichef plakatieren sie als "Stellvertretenden Ministerpräsidenten".

Und sie hängen in Sachsen überall. Geht man nur nach der Anzahl der Plakate, wirkt es in einigen kleineren Ortschaften Sachsens so, als wären die Freien Sachsen in einem Spitzenduell mit der AfD und CDU.

Doch die im Februar 2021 gegründete Partei, vom Verfassungsschutz nur wenige Monate später als "erwiesene rechtsextremistische Bestrebung" eingestuft, taucht in aktuellen Umfragen zur Landtagswahl in Sachsen gar nicht auf. Die Freien Sachsen landen dort im Sammelbecken der "Sonstigen".

Die Umfragezahlen sind zu gering, um verlässlich ausgewiesen zu werden. Ein Einzug in den Landtag ist demnach unwahrscheinlich, präsent sind die Rechtsextremen dennoch.

Ein Plakat der Freien Sachsen imitiert die Plakate der CDU und verhöhnt Kretschmer.
Ein Plakat der Freien Sachsen imitiert die Plakate der CDU und verhöhnt Kretschmer. © Maximilian Helm

Der Verfassungsschutz beobachtet die Freien Sachsen

Vor allem deshalb, weil sie es vermögen, ihre Anhängerschaft zu mobilisieren und auf die Straße zu bringen. Das Thema ist dabei nebensächlich, Hauptsache es geht gegen den Staat und seine Vertreter. Michael Nattke, der in diesem Jahr ein Buch über die Freien Sachsen schrieb, analysiert darin, dass es sich bei den Köpfen der Partei "um seit Jahren bekannte Neonazis" handelt. Viele haben eine Vergangenheit in der NPD.

Unter dem Motto des "Widerstands" sei es der Partei gelungen, rechtsextreme Kräfte aus unterschiedlichen Strömungen zu bündeln. Der Titel des Buchs beschreibt die Partei in drei Worten: "Widerstand über alles".

Die Verfassungsschützer schreiben über den Wahlkampf der Partei: "Hauptsächlich fallen die Freien Sachsen im Landtagswahlkampf dadurch auf, dass sie die Auftritte von Landes- und Bundespolitikern stören und diese öffentlich diffamieren." So setzte sich ein Kandidat der Partei bei einem Wahlforum in Riesa einfach mit auf die Bühne, obwohl er nicht eingeladen war. Als Olaf Scholz in Dresden war, versuchte eine Freie Sachsen Demonstration ihn niederzubrüllen.

Immer wieder halten Vertreter der Freien Sachsen Demonstrationen in der Nähe der privaten Häuser und Wohnungen von Politikern ab. Der mittelsächsische Landrat Dirk Neubauer war deshalb umgezogen, bevor er sogar seinen Rücktritt ankündigte. Auch in Rufweite von der Privatwohnung von Ministerpräsident Michael Kretschmer zogen sie auf.

Die Freien Sachsen zielten darauf ab, Politiker "verächtlich zu machen" und das Vertrauen der Bevölkerung in die Demokratie "zu untergraben", heißt es vom Verfassungsschutz. Eines ihrer Plakatmotive imitiert die Aufmachung der CDU-Plakate und zeigt Kretschmer mit dem Ausspruch: "Bla Bla".

Teilnehmer einer Kundgebung der rechtsextremen Kleinstpartei Freie Sachsen stehen anlässlich einer CDU-Wahlkampfveranstaltung auf dem Marktplatz und tragen ein Transparent mit der Aufschrift «Kretschmer verhaften»
Teilnehmer einer Kundgebung der rechtsextremen Kleinstpartei Freie Sachsen stehen anlässlich einer CDU-Wahlkampfveranstaltung auf dem Marktplatz und tragen ein Transparent mit der Aufschrift «Kretschmer verhaften» ©  Archiv/Sebastian Kahnert/dpa

Was wollen die Freien Sachsen überhaupt im Landtag?

Warum tritt eine Partei, die so offen gegen Parlamente und die Demokratie hetzt, überhaupt bei Wahlen an? Es ist eine Frage, die auch die Freien Sachsen beschäftigte. Parteichef Kohlmann nennt das in einer Rede zu Jahresbeginn "umstritten" und führte drei Gründe an, warum die Partei bei Wahlen antrete: Erstens erlange man in Parlamenten Zugang zu Informationen, die die Partei sonst nicht erhalte.

Zweitens seien die Vertreter anderer Parteien in den Parlamenten gezwungen, den eigenen Reden zuzuhören. Doch für seinen "wichtigsten Punkt" rückt er das Ende der DDR in den Kontext seiner eigenen Umsturzfantasien und erklärt: Man müsse verhindern, dass das Gleiche wie 1989 passiere. "Da haben wir mehr oder weniger gewonnen und hatten dann keine Leute, die es konnten." Deshalb müsse es jetzt in jedem Dorf Menschen geben, die sich mit kommunaler Verwaltung auskennen und "später" bereit seien, diese Aufgaben zu übernehmen. Denn: "Das werden nicht die sein, die es jetzt sind."

Die Mitarbeit in den Gremien oder das Lösen von konkreten Problemen der Bürger nannte Kohlmann nicht als Grund. Stattdessen offenbarte er auch in dieser Rede sein Weltbild: "Wir glauben nicht daran, dass durch die Stimmabgabe bei Wahlen große Veränderungen möglich sind."

Mit einer Kampagne wollen die Freien Sachsen AfD-Anhänger für sich gewinnen

Bei den Kommunalwahlen im Juni gelang es der Partei, fast 500 Kandidaten aufzustellen. Dem sächsischen Verfassungsschutz, so steht es in einem Bericht, waren davon bereits 208 Personen "aus anderen rechtsextremistischen Bestrebungen bekannt". Ein Drittel von ihnen habe Bezüge zur rechtsextremistischen Partei Die Heimat (ehemals NPD) gehabt.

Dennoch gelangen der Partei Erfolge: Insgesamt über 100 Mandate konnte die Partei bei den Kommunalwahlen erringen. Gut schnitt die Partei in Chemnitz (4,9 Prozent) und im Erzgebirge (4,6) ab, schlechter lief es in Leipzig (1) und Dresden (1,5) für sie. Überall blieb die Partei bei unter fünf Prozent.

Zur Landtagswahl, bei der es die Fünf-Prozent-Hürde gibt, versuchen die Freien Sachsen diese mit einer Zweitstimmenkampagne zu knacken. Ihre Erzählung geht dabei so: Die Direktkandidaten der AfD seien so stark, dass die AfD die Zweitstimmen gar nicht brauche. Wähler sollen daher der AfD die Erst- und den Freien Sachsen die Zweitstimme geben. So könnten sich die "patriotischen Kräfte" im Landtag bündeln. Die Freien Sachsen vermarkten das offensiv, laden gar "Erklärvideos" zum Wahlsystem hoch.

Auf Demonstrationen zeigen sich die Anhänger Seite an Seite

Offiziell hält die AfD, in Sachsen ebenfalls als "gesichert rechtsextrem" eingestuft, die Freien Sachsen auf Distanz. Die Partei hat einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit den Freien Sachsen. Spitzenkandidat Jörg Urban spricht die Freien Sachsen in einem Video auf seinem Telegram-Kanal zwar nicht namentlich an, sagt aber "zur Zweistimmenkampagne von Kleinparteien": "Jede Stimme für eine Kleinpartei, die keine fünf Prozent erreicht, ist verloren." Daher werbe er dafür, beide Stimmen der AfD zu geben.

Ein Traktor fährt über die Carolabrücke und hat dabei eine Fahne des einstigen Königreiches Sachsen, Erkennungszeichen der rechtsextremen Kleinstpartei "Freie Sachsen", am Fahrerhaus montiert. Die Rechtsextremen versuchten die Bauernproteste zu kapern.
Ein Traktor fährt über die Carolabrücke und hat dabei eine Fahne des einstigen Königreiches Sachsen, Erkennungszeichen der rechtsextremen Kleinstpartei "Freie Sachsen", am Fahrerhaus montiert. Die Rechtsextremen versuchten die Bauernproteste zu kapern. ©   dpa/Robert Michael

Auf Demonstrationen passen zwischen Fahnenträger der beiden rechtsextremen Parteien mitunter kein Blatt. In den Stadträten von Eilenburg und Zittau haben sich gemeinsame Fraktionen gebildet, in Delitzsch trat eine AfD-Kandidatin gemeinsam mit dem Parteichef der Freien Sachsen auf einer "überparteilichen Kundgebung" auf.

Beide Parteien eint auch, in den sozialen Netzwerken sehr erfolgreich zu sein. Auf Telegram folgen den Freien Sachsen fast 140.000 Menschen, auf TikTok sind es 42.500. Unter den sächsischen Parteien sind das Spitzenwerte.

Doch viele Plakate und Follower sichern noch keinen Einzug in den sächsischen Landtag.