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Hat Sachsens Polizei ein Sexismusproblem?

Übergriffiges Verhalten gegen Kolleginnen in der Polizei werde häufig bagatellisiert, kritisiert ein Kriminologe der Hochschule der Polizei. Eine Studie soll dem Problem nun auf den Grund gehen.

Von Karin Schlottmann
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Junge Polizeianwärter in Dresden in der Ballsportarena. Die 600 Auszubildenden und Studenten der Polizei legen ihren Amtseid ab.
Junge Polizeianwärter in Dresden in der Ballsportarena. Die 600 Auszubildenden und Studenten der Polizei legen ihren Amtseid ab. © dpa

Für die Polizei ist es ein ernster Vorgang: Ein Fachlehrer, zugleich kommissarischer Leiter der Polizeischule Schneeberg, soll eine Schülerin sexuell belästigt und sich rassistisch geäußert haben. Derartiges Fehlverhalten werde konsequent verfolgt, teilte der Rektor der Polizei-Hochschule, Dirk Benkendorff, anschließend mit und versetzte den Beamten an eine andere Dienststelle. Die Hochschule prüft, ob es weitere Vorwürfe gegen ihn gibt. Benkendorff hat Mitarbeiter und Auszubildende ausdrücklich ermutigt, entsprechende Hinweise weiterzugeben. Die Hochschule stehe auf „einem festen Wertefundament, in dem extremistische und sexistische Äußerungen keinen Platz haben“.

Die Bekundung sei lobenswert, gehe aber leider an der Realität vorbei, kritisierte Marcel Schöne, Professor für Kriminologie und Direktor des Instituts für Polizei- und Sicherheitsforschung an der Polizei-Hochschule Sachsen. Der Fall zeige, dass Vorgänge wie diese durchaus einen Platz in der Landespolizei hätten, aber teilweise gedeckt, ignoriert oder jahrelang bagatellisiert würden. Es sei wichtig, dass die Polizeiführung schnell und entschlossen reagiere und dadurch weitere Fälle bekannt und neue verhindert würden.

Schöne vertritt die Ansicht, dass einer modernen Polizei eine Vorbildfunktion zukomme bei der Gleichstellung der Geschlechter. Es müsse ihr Interesse sein, bei diesem Thema „vor die Lage“ zu kommen. Er arbeitet derzeit an einer wissenschaftlichen Studie über das „Phänomen Sexismus“ und seine Ausprägungen in der sächsischen Polizei. Es ist bundesweit die einzige empirische Forschungsarbeit zu diesem Thema.

"Vielleicht bin ich zu empfindlich"

In einem ersten Schritt hat sich das Forschungsinstitut der Aufgabe gestellt, Betroffenen zuzuhören. Etwa 2.300 Angehörige der Hochschule der Hochschule der Polizei wurden per Mail angeschrieben und zu anonymen Interviews eingeladen. Schöne hat Wissenschaftler außerhalb der Polizei-Hochschule mit der Forschungsarbeit beauftragt, um mögliche Hemmschwellen bei Polizeiangehörigen abzubauen.

Das Ergebnis sind 23 ausführliche Einzelinterviews mit Männern und Frauen aus der Hochschule und anderen Bereichen der Polizei. Der Leiter des Projekts, Professor Thomas Schmidt-Lux vom Institut für Kulturwissenschaften der Universität Leipzig, versicherte im Gespräch mit der SZ, die Gespräche würden absolut vertraulich behandelt. Für manche Interviewpartner sei es erstmals die Gelegenheit gewesen, in einem geschützten Raum über ihre sehr unterschiedlichen Erlebnisse oder Beobachtungen zu sprechen, sagte Schmidt-Lux. Überwiegend gehe es um verbale Übergriffe bis hin zu regelmäßigen Belästigungen und sogar Stalking. „Das waren auch Dinge dabei, die man hätte anzeigen können“.

In einigen Interviews hätten Polizistinnen berichtet, dass sie angefasst oder unangemessen angesprochen wurden. Zugleich rechneten sie sich dieses Verhalten selbst zu. Mit Sätzen wie „Vielleicht bin ich zu empfindlich“ oder „Er hat es womöglich gar nicht so gemeint“ suchten sie die Schuld bei sich selbst. Manches Verhalten sei nicht strafrechtlich relevant, aber dennoch ehrenrührig, wenn beispielsweise Frauen, die Karriere machen, mit Beleidigungen wie „Dienstmatratze“ unterstellt werde, sie hätten sich hochgeschlafen.

Die Ergebnisse werden voraussichtlich im ersten Quartal 2025 veröffentlicht. In einem zweiten Schritt erhalten alle etwa 12.000 sächsischen Vollzugsbeamtinnen und -beamten aus allen Laufbahngruppen und Dienststellen einen etwa zehnseitigen Fragebogen zur anonymen Teilnahme. 1.000 Teilnehmer seien das Ziel, um repräsentative Resultate zu bekommen.

Hoher Anpassungsdruck

Vorgesetzte in der Polizei hielten Verhaltensweisen wie die des in Schneeberg beschuldigten Beamten häufig für Einzelfälle, kritisierte Schöne. In einer geschlossenen, von Männern dominierten Organisation wie der Polizei, bestünde zudem ein hoher Anpassungs- und Konformitätsdruck auf Frauen. Wer sich über Kollegen oder Vorgesetzte über unangemessenes Verhalten beschwere, gelte schnell als zickig oder schwierig. Es bestehe häufig die Erwartung an Frauen, dass sie bei zotigen Sprüchen und Bemerkungen über ihr Aussehen mitlachen und cool bleiben. Polizistinnen wollten gern als stark und als gleichwertig angesehen werden, sagte Schmidt-Lux. „Aber das passiert in Wahrheit nie.“

Zur Arbeit bei der Polizei gehörten gemeinsames Training, Sport oder nächtliche Einsätze im Einsatzwagen, also Gelegenheiten, die im Arbeitsleben übliche Distanz zwischen Menschen zu unterschreiten. Vor allem die Abhängigkeit von Vorgesetzten könne zu einem Problem werden, wie der Fall in Schneeberg gezeigt habe.

Etwa 25 Prozent der Beschäftigten in der sächsischen Polizei sind Frauen. Systematischen Forschungen über sexuelle Belästigung und Gewalt sind bisher selten in den Polizeien Deutschlands, sagt Schöne. Das liegt auch daran, dass sich Polizeiorganisationen tendenziell gegen solche Forschungen sperren, weil sie Ansehensverluste befürchten. „Sachsen geht hier einen anderen Weg“.

Es müsse auch im Interesse der Polizeiführung sein, zu wissen, was in der Landespolizei vorgehe. Er setzt darauf, dass der Polizeipräsident schon aufgrund der Fürsorgepflicht ein Interesse daran habe „und unsere Forschung nach Kräften unterstützt“.