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Sachsens Luchs-Programm soll bald trächtigen Erfolg haben

Der Luchs ist das drittgrößte Raubtier Europas. In Sachsen soll er 300 Jahre nach seiner Ausrottung wieder heimisch werden. Anton ist das fünfte ausgwilderte Tier.

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Luchs Anton wird im westlichen Erzgebirge ausgewildert.
Luchs Anton wird im westlichen Erzgebirge ausgewildert. © Archiv Naturschutz LfULG, Alexander Sommer

Eibenstock. Der Weg in die Freiheit ist an diesem Tag sehr kurz und dauert nur wenige Sekunden. Als Luchs-Männchen Anton in einem Wald bei Eibenstock endlich die Transportbox verlassen kann, sprintet er mit großen Sprüngen ein paar Meter die Lichtung entlang und dann ins Dickicht. Catriona Blum-Rérat, die vom Senckenberg Museum für Naturkunde aus das sächsische Luchs-Programm betreut, wirkt erlöst. In solchen Momenten spielten immer die Emotionen mit, räumt die Forscherin ein. Sie ist froh, dass eine Auswilderung wie aus dem Lehrbuch gelang - von der Narkose beim Anlegen des GPS-Halsbandes über die Fahrt des nun schon wachen Luchses in einer Transportbox bis hin zum Finale: Anton blieb ruhig, nur die Freiheit konnte er am Ende gar nicht mehr erwarten.

Der Luchs ist schon lange von der Landkarte Mitteleuropas verschwunden. In Sachsen wurde das letzte Exemplar 1743 bei Hinterhermsdorf in der Sächsischen Schweiz erlegt. Später hat sich mal immer wieder ein Luchs hierher verirrt. Seit 2008 gibt es in Sachsen ein Monitoring für Luchse. Ab 2013 konnte man sechs Jahre lang einen Kuder, ein männliches Tier, bei Rabenberg im Erzgebirge nachweisen. 2020 wanderten auch drei Luchse aus Polen ein, sie blieben aber nicht. "Wir hatten die Hoffnung, da etabliert sich von allein eine Population", sagt Jana Zschille vom Bereich Forstzoologie der Technischen Universität Dresden. Doch am Ende habe man nachhelfen müssen. Aktuell betreiben neben Sachsen noch Thüringen und Baden-Württemberg Auswilderungen.

Der mit einem Senderhalsband ausgestattete Luchs sprang aus seiner Transportbox und verschwand sofort im Wald.
Der mit einem Senderhalsband ausgestattete Luchs sprang aus seiner Transportbox und verschwand sofort im Wald. © Archiv Naturschutz LfULG, R. Oehme

Ulrich Zöphel hat im Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie die Projektleitung für den Luchs in Sachsen inne. Einen großen Beutegreifer wieder anzusiedeln, sei schon etwas Besonderes, sagt der Experte. Er vergleicht den Luchs mit einem Waldgeist. "Er ist unsichtbar. Er beobachtet uns, ohne dass wir ihn sehen können." Tatsächlich sind Luchse extrem scheu. Anders als Wölfe sind sie Einzelgänger und wandern auch nicht über so große Entfernungen ab. Hauptnahrung der Luchse sind Rehe oder kleinere Beutegreifer wie Fuchs, Waschbär, Marderhund und Dachs. Pro Tag braucht ein Luchs etwa ein Kilogramm Fleisch. Die Gefahr, dass der Luchs Nutztiere angreift, halten die Fachleute für gering.

Die Grundstimmung gegenüber dem Luchs sei sehr positiv, meint Forstbezirksleiter Johannes Riedel. "Der Luchs empfängt sehr viel mehr Sympathie als der Wolf." Dennoch wird der Luchs in der Jägerschaft auch beargwöhnt. "Die Jäger haben Angst um ihre Rehe. Das Reh, was der Luchs frisst, kann man nicht mehr schießen", erklärt Kevin Langer, Vorsitzender des Jagdverbandes Annaberg die Situation. Zöphel räumt ein, dass es Bedenken gibt, noch ein Raubtier in der Natur auszusetzen. Doch im Erzgebirge und auf dem angrenzenden tschechischen Gebiet gebe es mit einer Fläche von 4.000 Quadratkilometern viel Platz. Auch Behörden im Nachbarland sind in das Ansiedlungsprojekt eingebunden.

Mit Anton, der als Zuchttier aus einem Zoo in Belgien kam, gibt es nun fünf Luchse im Gebiet um Eibenstock. Als Erste wurden im März Kuder Juno und Katze Nova ausgewildert. Ostern folgte Katze Alva, im Juli mit Chapo ein "halbstarker" Kuder. Alva und Nova sind Wildfänge, die beiden männlichen Tiere stammen aus Zoos. Diese Tiere werden über ein europäisches Programm betreut. Es geht darum, frisches Blut in die Wildpopulation zu bringen. "Man kann auf einen großen Gen-Pool in den Zoos zurückgreifen, um die Wildbestände zu stabilisieren", erklärt Blum-Rérat und hofft auf einen fruchtbaren Erfolg schon im kommenden Jahr. Denn dann könnte auch der jetzt eineinhalbjährige Anton schon geschlechtsreif sein. Mit Nova und Alva habe man zudem erfahrene Mütter.

Wolfram Günther (Bündnis 90/Die Grünen, v.l.), Sachsens Umweltminister, Jan Sima, tschechisches Umweltministerium, Alexander Thomae, Hegegemeinschaft Oberes Vogtland, und Kevin Langer, Vorsitzender Jagdverband Annaberg, tragen eine Transportkiste mit Anto
Wolfram Günther (Bündnis 90/Die Grünen, v.l.), Sachsens Umweltminister, Jan Sima, tschechisches Umweltministerium, Alexander Thomae, Hegegemeinschaft Oberes Vogtland, und Kevin Langer, Vorsitzender Jagdverband Annaberg, tragen eine Transportkiste mit Anto © Hendrik Schmidt/dpa

Bis 2027 will man 20 Tiere ansiedeln. Bei den Projekten in Deutschland geht es ausschließlich um den Karpatenluchs (Lynx lynx carpathicus). Bisherige Lebensräume in Deutschland sind der Harz und der Bayerische Wald. Nun will man sogenannte Trittstein-Populationen etablieren. "Stepping Stones" sollen Wege zu den Populationen untereinander ermöglichen. In Sachsen ist neben dem Westerzgebirge auch noch die Sächsische Schweiz als Habitat vorgesehen. Denn Luchse lieben felsige Strukturen. Ziel ist eine sich fortpflanzende Population, die im Verbund mit anderen Vorkommen in Deutschland und Europa dazu beiträgt, die Art langfristig zu erhalten.

Alle bisher ausgewilderten Tiere scheinen sich in Sachsen wohlzufühlen. Die Auswertung der GPS-Daten ergab, dass sie umherstreiften und die Region erkundeten. Die Katzen scheinen dabei etwas unternehmungslustiger. Chapo hat sich anfangs nur von Kleinsäugern wie Mäusen ernährt und nach etwa drei Wochen sein erstes Reh gerissen. Die Wissenschaftler sind sich sicher, dass die sächsischen Luchse inzwischen voneinander wissen. Luchse teilen den vorhandenen Lebensraum auf, indem sie über Duftmarken olfaktorische Grenzen setzen.

"Rund 300 Jahre nach ihrer Ausrottung in Sachsen holen wir seit diesem Frühjahr den Luchs zurück. Das ist ein großer Meilenstein in unserem Bestreben für den Erhalt von Artenvielfalt. Der Luchs gehört in unsere Wälder", sagt Umweltminister Wolfram Günther (Grüne). (dpa)