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Feuilleton

Auch wir queeren Menschen gehören zur sächsischen Gesellschaft!

Warum haben so viele in Sachsen etwas gegen Kundgebungen, wo queere Menschen nur ein Zeichen gegen Diskriminierung setzen wollen? Ein Gastbeitrag eines Betroffenen.

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Ob in Pirna, Bautzen, Plauen oder Zwickau: Überall, wo nicht-heterosexuelle Menschen den Christopher Street Day feierten, kam es zu Protesten. Teils marschierten Hunderte Neonazis gegen sie auf.
Ob in Pirna, Bautzen, Plauen oder Zwickau: Überall, wo nicht-heterosexuelle Menschen den Christopher Street Day feierten, kam es zu Protesten. Teils marschierten Hunderte Neonazis gegen sie auf. © dpa/Sebastian Willnow

Von Wolfgang Wetzel

Zum vierten Mal wurde Ende August in Zwickau Christopher-Street-Day gefeiert. Enorme Polizeipräsenz in der Stadt seit dem Morgen, ein Hubschrauber kreiste, Wasserwerfer wurden gesichtet. Mit der Polizei hatte auch der historische Ursprung des CSD zu tun, damals am 28. Juni 1969 in der Bar Stonewall in der New Yorker Christopher Street. Lesben, Schwule und Transsexuelle wehrten sich an diesem Tag erstmals offen gegen Razzien und Polizeiwillkür, die sich besonders gegen afro- und lateinamerikanische Menschen richtete.

55 Jahre später, heute in Zwickau, muss die queere Community nicht gegen Polizeiwillkür kämpfen, ganz im Gegenteil. Die Polizei ermöglicht, dass die Demonstration überhaupt durchgeführt werden kann, denn Rechtsextremisten unterschiedlicher Couleur hatten nach Zwickau mobilisiert, um den CSD zu stören, auch gewaltbereite Gruppierungen waren dabei. Am Abend wurde erleichtert und dankbar resümiert, dass die polizeiliche Einsatzstrategie funktioniert hat, der Tag verlief nahezu gewaltfrei.

Vielen gelten „diese Homos“ immer noch als "anormal"

In Social-Media-Kommentar-Strängen haben sich Zwickauer Bürger über den Lärm des Hubschraubers beschwert und darüber, dass „diese Homos“ für die Kosten des Polizeieinsatzes zur Kasse gebeten werden sollten. Sie freue sich schon auf das Wiederaufleben der Bauernproteste, schrieb eine Nutzerin, denn diese seien im Unterschied zum CSD die einzigen mutigen und sinnvollen Demos. Aber es gab auch Widerspruch zu solchen Meinungen im „Zwickauer Internet“.

Ich habe die großen CSDs besucht, in Berlin und Köln, damals nach meinem späten schwulen Outing mit 37 Jahren. Brillante Straßenfeste, Lebensfreude, sexuelle Reize, mir nun endlich „erlaubt“. Ich hatte dazu länger gebraucht; Erzgebirge, evangelikales Herkunftsmilieu, das war alles nicht so einfach, das war ein langer Weg. Ich genoss die gewonnene innere und äußere Freiheit. In den Genuss mischte sich Skepsis: Meint ihr, dass diese Freiheiten für alle Zeiten unantastbar und sicher sind?

Bitte nicht alle sexuelle Fetische öffentlich zelebrieren

Mir schien der Umgang mit den der Mehrheitsgesellschaft über viele Jahre hart abgerungenen Freiheiten auf diese CSDs zu flach, zu sorglos. Mich irritierte der Überbietungswettbewerb für makelloses Aussehen und immerwährende Jugendlichkeit, diese gewisse Überdosis Hedonismus. Ich vermisste das Politische und das Besonnene. Mich störte die Kommerzialisierung. Ich fand auch, dass nicht sämtliche sexuelle Fetische unbedingt öffentlich zu Markte getragen werden müssen. Man muss nicht alles tun, was erlaubt ist, es ist nicht nötig.

2017 beschloss der Deutsche Bundestag das Eherecht für gleichgeschlechtliche Paare. Mein langjähriger Partner und ich nutzten das, wir heirateten, standesamtlich und kirchlich. „Selbstverständlich“ empfinde ich das bis heute nicht, ich empfinde es als hohes Gut und teures Geschenk. Ein Gut, das bedroht ist, schließlich hat die AfD die Abschaffung der „Ehe für alle“ in ihren Programmen offen formuliert. Ich habe die AfD schriftlich gefragt, was mit mir und meinem Mann geschehen wird, wenn sie regieren sollte. Also, ob wir dann staatlich zwangsgeschieden würden, so wie damals „nichtarische Mischehen“ bei den Nazis. Antwort habe ich nie erhalten.

Angriffe gegen queere Menschen nehmen in Sachsen zu

Der Kulturkampf zwischen einem liberalen Gesellschaftsverständnis der Vielfalt und dem Sog des sächsischen Mainstreams in eine vermeintlich „gute alte Zeit“ war 2017 längst im Gange, und mir war klar: Die Abwehr des als bedrohlich empfundenem „Andersartigen“ wird nicht bei „Ausländern“ Halt machen, sie wird auch sexuelle Minderheiten erneut zur Projektionsfläche ihrer Ängste erklären. So wie es dann auch kam. Angriffe gegen nicht heteronormative Menschen nehmen in Sachsen von Jahr zu Jahr inzwischen wieder kontinuierlich zu.

Viele rechtskonservativ empfindende und Menschen mit einem geschlossenen rechtsextremen Weltbild erleben ihre Ängste vor der „Zerstörung der klassischen Familie“ durch Lesben, Schwule und Transgender real. Nicht selten glauben sie tatsächlich, es gäbe von Eliten gelenkte Pläne, Heterosexualität, klassische Frau-Mann-Beziehung und herkömmliches Familienverständnis zu zerstören. Entsprechend feindselig schauen sie auf schulische Lehrpläne, die vermitteln, dass es neben der heterosexuellen auch andere sexuelle Orientierungen und Identitäten gibt.

Warum fühlen sich Menschen von Schwulen bedroht?

Ich verstehe nicht gut, warum sich diese Menschen bedroht fühlen. Sie sind doch in der absoluten Mehrheit, das wird auch immer so bleiben. Es geht doch lediglich darum, jungen Menschen mit abweichender Sexualität zu vermitteln, dass sie nicht falsch oder krank sind. Und der großen Mehrheit ihrer Altersgenossen zu vermitteln, dass solche Menschen ganz normal dazugehören. Es müssen schwache und irritable Identitäten sein, die sich durch sowas ernsthaft bedroht fühlen. Ich verstehe, dass diese Menschen meinen, gegen eine „Ideologie“ zu kämpfen. In Wirklichkeit, und das verstehen sie leider nicht, kämpfen sie aber gegen reale Mitmenschen.

Es gibt auch das Gegenläufige in Sachsen. Zu den Pride-Veranstaltungen in den Großstädten gesellen sich zunehmend CSDs in mittelgroßen und kleineren Städten, zwischen Mai und September 2024 waren es inzwischen 21. Allesamt ohne Kommerz, allesamt keine Bühnen für Hedonismus und Oberflächlichkeit. Jedes Freibad bietet ein Vielfaches an sexuellen Reizen als die sächsischen CSDs. Es sind politische Demonstrationen einer Minderheit, die ihre Freiheiten in Sachsen bedroht weiß. Einer Minderheit, die aber inzwischen nur noch unter massivem Polizeischutz öffentlich demonstrieren kann.

Kleine Regenbogenfahnen geben Hoffnung

Am 31. August lief der vierte CSD in Zwickau. Mehr „Normalos“ unter den Teilnehmenden hätte ich mir gewünscht, Familien mit Kindern zum Beispiel, so wie es kürzlich in Leipzig war. Aber dann schauten etliche „Normalos“, auch Familien mit Kindern, auf der Demonstrationsstrecke aus ihren Fenstern heraus und winkten mit kleinen Regenbogenfahnen. Das ist in Zwickau nicht selbstverständlich, weil sie ja öffentlich machen, wie sie denken und wo sie wohnen. Ich bin sehr dankbar dafür.

Unser Gastautor Wolfgang Wetzel wurde 1968 in Schlema geboren. Er war als Sozialpädagoge in der Suchtberatung tätig. Von 2020 bis 2021 saß er für die Grünen im Bundestag. Seit 2007 lebt er mit seinem Mann und zwei Kindern in Zwickau und ist dort seit 2019 Mitglied im Stadtrat.