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Riesa: Was aus der Abschlussklasse von 1959 geworden ist

Seit 65 Jahren trifft sich eine Gruppe früherer Schüler der EOS Max Planck regelmäßig in Riesa. Jetzt fand das womöglich letzte Klassentreffen statt.

Von Stefan Lehmann
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Zwölf aus ehemals 30: Die Schüler der früheren 9b1 aus Riesas EOS Max Planck.
Zwölf aus ehemals 30: Die Schüler der früheren 9b1 aus Riesas EOS Max Planck. © privat

Riesa. Als Siegfried Langner zur Schule ging, war Riesa eine völlig andere Stadt. "Die Stadt war damals gefüllt mit Menschen, mit Kindern", erinnert er sich. Dann erzählt er: von Jugendbanden, die es damals noch gab, inklusive Steinschlachten; davon, wie er mit Freunden über die Elbe schwamm, elbaufwärts manchmal auch als blinder Passagier auf den Schubschiffen. "Es gab im Fluss damals viele Krabben, und auf dem Wasser schwammen häufig Schaumflocken. Da hatte man dann oft einen 'Bart'", wenn man aus dem Wasser stieg, sagt Siegfried Langner und schmunzelt.

In solchen und anderen Erinnerungen haben Langner und seine früheren Klassenkameraden am vergangenen Wochenende wohl einige Male geschwelgt. 1959 schlossen er und seine Mitschüler ihr Abitur an der erweiterten Oberschule "Max Planck" ab, dem heutigen Städtischen Gymnasium. "Wir wurden auch 'die Mönche' genannt", erinnert sich Christian Günther. Eigentlich, weil die Klasse komplett aus jungen Männern bestand. Sie nahmen es mit Humor, so Günther mit einem verschmitzten Lächeln: "Wir sagten immer: Im Mittelalter waren Mönche die einzigen Gebildeten."

Nach 25 Jahren traf sich der komplette Jahrgang noch einmal vor dem Schulhaus.
Nach 25 Jahren traf sich der komplette Jahrgang noch einmal vor dem Schulhaus. © privat
Klassenfoto: Die 9b1 bestand aus 30 Schülern, inhaltlich lag der Schwerpunkt auf den Naturwissenschaften.
Klassenfoto: Die 9b1 bestand aus 30 Schülern, inhaltlich lag der Schwerpunkt auf den Naturwissenschaften. © privat

Seit vielen Jahren trifft sich der Klassenverband von damals regelmäßig wieder, mindestens alle fünf Jahre. 65 Jahre Abitur könnten aber das letzte Mal gewesen sein, schätzt Siegfried Langner, der die Treffen seit einiger Zeit regelmäßig organisiert. Nach einem Abend im Wettiner Hof, bei dem ein "harter Kern" aus Schulfreunden über Familie ebenso sprach wie über Schulgeschichten und Politik, stand tags darauf unter anderem der Besuch im Schulhaus auf dem Programm.

Das hat sich logischerweise vor allem im Inneren verändert. Schultafeln erlauben heute digitales und interaktives Arbeiten, die Schulbänke mit festgeschraubtem Sitz sind schon seit Jahrzehnten verschwunden. Neben den digitalen Schultafeln habe ihn vor allem die Aula beeindruckt, so Siegfried Langner. Und der große Speiseraum. Zu seiner Zeit habe kaum einer in der Schule gegessen - viele Mütter waren ohnehin Hausfrauen.

Das Verhältnis zu den Lehrern sei in den 50er-Jahren von Respekt geprägt gewesen. Aber es habe auch damals Lehrer mit mehr oder weniger Humor gegeben, sagt Jürgen Hüller, damals Klassensprecher.

Ingenieure, Ärzte, Professoren

Flausen hatte auch die Jugend damals hin und wieder im Kopf. Am Vorabend des Klassentreffens erinnert Hüller an ein Ferienlager in Sellin. Auf dem abendlichen Heimweg nach einem Kneipenbesuch sei die Truppe von einem Polizisten und einer Frau angesprochen worden, es sei Nachtruhe. Die Antwort der Jugendlichen, sie habe ihnen gar nichts zu sagen, sollte ein Nachspiel haben: Es hatte sich um die Bürgermeisterin gehandelt, die am nächsten Morgen samt Polizei im Ferienlager auf der Matte stand. Den beiden Rädelsführern sei da sogar angedroht worden, von der Schule zu fliegen. Am Ende regelten ein Blumenstrauß und eine höfliche Entschuldigung die Sache - bis zum nächsten pädagogischen Rat in Riesa, als der Vorfall noch einmal aufgewärmt wurde.

Solche Geschichten haben die Schüler von damals bis heute nicht vergessen. Heute gehen sie alle auf die 90 zu. Von ehemals 30 Schülern sind am Wochenende noch zwölf beim Klassentreffen gewesen. Die meisten blicken heute noch gern auf die Schulzeit zurück, sagt Siegfried Langner. Trotz der vielen Brüche und Beschwerlichkeiten im Nachkriegsdeutschland. Historische Daten wie den Volksaufstand am 17. Juni 1953 haben sie selbst in Riesa miterlebt, den Mauerbau, die Wendezeit, auch den ersten deutschen WM-Titel 1954. Im polytechnischen Unterricht ging es in der 11. Klasse einmal pro Woche vormittags ins Stahlwerk, um dort bei der Produktion praktisch mitzuarbeiten. Auch bei der Ernte halfen Riesas Schüler damals regelmäßig aus.

Die Schulzeit hat Langner und viele seiner Klassenkameraden geprägt. Viele kamen aus Arbeiterfamilien, hatten als erste Generation die Chance auf eine höhere Bildung. "Wir hatten ein ziemlich breites Programm von der 9. bis zur 12. Klasse, das war eine gute Grundlage." Höhere Mathematik gehabt zu haben, das habe den Übergang zum Studium erleichtert.

Schon vor einigen Jahren hatte Siegfried Langner aufgeschrieben, was aus den Klassenkameraden wurde: "Die meisten von uns haben studiert, einige promoviert." Zwölf Ingenieure oder Architekten stehen auf seiner Liste, drei Ärzte, vier Lehrer und vier Naturwissenschaftler. Dazu noch zwei Landwirte, ein Journalist und zwei Künstler. Vor 20 Jahren habe er auch einmal die Kinderzahlen erfasst. "Fast alle von uns haben geheiratet und haben Kinder sowie Enkel in die Welt gesetzt. Mit Stand 2004 hatten 21 Mann von uns eine durchschnittliche Geburtenrate von zwei Kindern pro Familie - also besser als die heutigen Generationen." Einige wanderten noch zu DDR-Zeiten in den Westen aus, mancher kam wieder zurück. Heute leben sie verteilt auf die halbe Bundesrepublik, bis München und ins Saarland. Die meisten aber seien in Sachsen geblieben, sagt Siegfried Langner.