Partner im RedaktionsNetzwerk Deutschland
Leben und Stil
Merken

Im Kanu durch Hannover - Der Reisetipp

Eine Fahrt auf Leine und Ihme zeigt die Stadt aus überraschend grüner Perspektive – vorbei an Villen und einem Schandfleck.

Von Steffen Klameth
 6 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Das Ihme-Zentrum war mal Vorbild. Heute ist es Hannovers größter Schandfleck.
Das Ihme-Zentrum war mal Vorbild. Heute ist es Hannovers größter Schandfleck. © Steffen Klameth

Leine oder Ihme? Das ist gerade die Frage. Man weiß natürlich, dass Hannover an der Leine liegt. Und auch von der Ihme hat man schon gehört. Beide Flüsse durchqueren Niedersachsens Landeshauptstadt, manchmal sogar an gleicher Stelle. Und das kann selbst Bardo gelegentlich ins Grübeln bringen. Ausgerechnet Bardo, der es doch wissen müsste. Der junge Mann arbeitet für einen Kanuverleiher und erklärt den Gästen tagtäglich, wie man mit dem Boot nach acht Kilometern wieder am Ausgangspunkt ankommt – bestenfalls ohne umzukippen und möglichst auch ohne Umwege.

Bei uns hat das bisher gut geklappt. Zu dritt sind wir am Leine-Wehr in der Nähe des Sportparks in ein Kanu gestiegen und Richtung Westen gepaddelt. Auf der Karte heißt dieser Abschnitt Schneller Kanal – genau genommen ein Stück umgeleitete Leine (aber nicht wirklich schneller). Dann scharf nach rechts: Der Fluss wird breiter und heißt plötzlich Ihme. Hinter dem Ufergrün verstecken sich eine Jugendherberge und das Stadion von Hannover 96.

Schließlich kommt linker Hand ein Betonklotz in Sicht: das Ihme-Zentrum. Eine Stadt in der Stadt mit Wohnungen, Geschäften, Büros, deren Ausmaße man vom Fluss aus nur erahnen kann. Als der verwinkelte Komplex in den 1970er-Jahren errichtet wurde, galt er als Vorbild moderner Städteplanung. Doch diese Zeiten sind ganz offensichtlich vorbei. Je mehr wir uns dem Monstrum nähern, desto abstoßender und verwahrloster erscheint es. Bis heute scheiterte jeder Rettungsversuch. Nun solle ein Insolvenzverwalter das Zentrum mithilfe von Investoren sanieren, sagt Ela Windels von Hannover Marketing. „Es ist wahrscheinlich die letzte Chance.“

Weltweit einziger Schrägaufzug im Turm

Schnell weiter. Auf der rechten Seite mündet die schmalere Leine in die breite Ihme. Oder umgekehrt? Egal, wir sollen hier abbiegen und stromaufwärts dem Lauf der Leine folgen. Idylle pur. Ein dichtes Blätterdach schützt vor Sonnenhitze. Vornehme Villen und mehr oder weniger schicke Neubauten säumen das Ufer. Und der Straßenlärm ist weit, weit weg. Dass Hannover eine grüne Stadt mit grünem Umland ist, sieht man übrigens am allerbesten vom Rathausturm. Der Besuch lohnt sich auch deshalb, weil man mit dem weltweit einzigen Schrägaufzug hinauf gelangt.

Eine Dreiviertelstunde genießen wir die Stille. Bis es doch wieder lauter und die Gegenströmung immer stärker wird. „Das ist die Leinewelle“, sagt Ela Windels. Ein künstlicher Wasserwirbel, der für Surfer geschaffen wurde. Für uns heißt das: Aussteigen, das Boot an Land hieven und über ein paar Straßen, vorbei am Leineschloss, dem Sitz des Landtags, ziehen.

Dann sitzen wir wieder im Kanu und steuern entspannt dem Ziel entgegen. Nur selten kommt ein Boot entgegen, gelegentlich auch ein Stand-up-Paddler. Am Wochenende sei hier mehr Betrieb, sagt Bardo, als wir nach zweieinhalb Stunden das Ziel erreichen. Boote sollten vorab reserviert werden, rät er und schaut aufs Handy. Danach sind alle klüger, was Leine und Ihme betrifft: „Ihr habt den Zufluss der Ihme einfach übersehen“, meint Bardo. Bei der Gelegenheit lernen wir, dass die Leine in Thüringen entspringt und die Ihme am Fuße des Deisters ihren Anfang nimmt, nur reichlich 20 Kilometer von Hannover entfernt und daher ein beliebtes Ausflugsziel.

Ein ausgehöhlter Baumstamm als Waldtelefon

Das hat aber weniger mit der Ihme als vielmehr mit dem Deister selbst zu tun. „Der Große Deister ist Teil des nördlichsten deutschen Mittelgebirges, immerhin bis zu 405 Meter hoch“, erklärt Winfried Gehrke. Der 76-Jährige, den sie hier nur Deister-Winni nennen, begleitet uns auf einer Wandertour vom Waldkater zu den Wasserrädern. Das ist lehrreich und unterhaltsam zugleich. Lehrreich, weil diese Etappe als Walderlebnispfad gestaltet wurde.

Zahlreiche Stationen sorgen dafür, dass man nicht dümmer aus dem Wald kommt, als man hineingegangen ist – selbst als Erwachsener. Ein ausgehöhlter Baumstamm wurde kurzerhand zum „Waldtelefon“ deklariert. Für Winni die Gelegenheit, auf Carl Friedrich Gauß zu verweisen: Der Wissenschaftler zählt zu den Erfindern der elektromagnetischen Telegrafie und war für das Königreich Hannover als Landvermesser unterwegs – auch hier im Deister.

Winni Gehrke führt Wanderer durch den Deister und dabei zu Spuren des Steinkohleabbaus.
Winni Gehrke führt Wanderer durch den Deister und dabei zu Spuren des Steinkohleabbaus. © Steffen Klameth

Deister-Winni kennt viele Geschichten, und das macht den Spaziergang mit ihm auch so kurzweilig. Ob sie alle wahr sind, darf jeder Wanderer für sich entscheiden. Verbürgt ist, dass der Sandstein aus dem Deister unter anderem in Hannover beim Bau von Opernhaus und Rathaus Verwendung fand. Und dass im Deister seit Mitte des 17. Jahrhunderts Steinkohle abgebaut wurde. Die Spuren sind noch heute sichtbar: Pingen, also Tagebaulöcher, dunkle (Abraum-) Hügel und angestaute Flüsse wie der Blanketeich.

Rundgang zu Lummerland und Sesamstraße

Wasser gab und gibt es in dem Höhenzug erstaunlicherweise zur Genüge. Als Kind, sagt Winni, sei er oft mit Freunden zu den Bächen im Wald gelaufen und habe dort mit selbst gebastelten Wasserrädern gespielt. Vielleicht war das der Anfang einer – für manche sogar der größten – Attraktion im Deister: Unterhalb der Feldbergquelle reiht sich auf etwa hundert Metern ein Wasserrädchen ans andere, und jedes setzt ein liebevoll gestaltetes Modell in Bewegung.

Beim Rundgang entdeckt man Lummerland und Sesamstraße, Sägewerk und Gondelbahn, Riesenrad und Karussell. Ein Verein kümmert sich seit fast 70 Jahren darum, dass die Räder nie ins Stocken geraten. Die Figuren werden neuerdings von einem Schnitzer aus dem Erzgebirge entworfen und dann per 3-D-Drucker zu langlebigen Modellen gemacht. Neuestes Schaustück ist der Airport Wennigsen – den gibt es aber wirklich nur hier.

Der Airport ist das neueste von über 20 Modellen bei den Wennigser Wasserrädern.
Der Airport ist das neueste von über 20 Modellen bei den Wennigser Wasserrädern. © Steffen Klameth

Ach so, und wer sich fragt, wohin das Wasser der Feldbergquelle fließt: Über den Mühlbach gelangt es in die Ihme, und von da … na, Sie wissen schon.

Nach Hannover

  • Hinkommen: Von Dresden mit dem Zug ca. 4,5 Stunden, mit dem Auto rund 370 km.
  • Schlafen: z. B. Me & All Hotel (Ü/F ab 100 Euro, während Messen auch das Zehnfache).
  • Paddeln: vier Anbieter, bei Leine Erlebnis kostet die Drei-Stunden Ausleihe 25 Euro pro Person
  • Radeln: Die Paritätische Suchthilfe verleiht Mieträder für 10 Euro (Pedelec 18 Euro) pro Tag.
  • Einkehren: Im Kaffeehaus Anna Leine (direkt an der Leinewelle) gibt es Currywurst und Desserts – zubereitet und serviert von Menschen mit und ohne Behinderung.
  • Wandern: Infos und Kontakt zu Deister-Winni.
  • Die Recherche wurde unterstützt von der Hannover Marketing & Tourismus GmbH.