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Leben und Stil

Der Reisetipp Odenwald: Mit Mark Twain auf dem Neckar

Vor fast 150 Jahren bummelte der Schriftsteller durch Europa und verliebte sich in Heidelberg und den Odenwald. Wie würde er die Gegend heute erleben? Eine kurzweilige Spurensuche.

Von Steffen Klameth
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Verblüffende Ähnlichkeit, oder? Klaus Mombrei in der Rolle von Mark Twain.
Verblüffende Ähnlichkeit, oder? Klaus Mombrei in der Rolle von Mark Twain. © Steffen Klameth

Heller Sommeranzug und Strohhut, wallendes graues Haar und markanter Schnauzer: Wie dieser ältere Herr so durch die Gassen von Heidelberg spaziert, scheint er irgendwie aus der Zeit gefallen zu sein. Die Leute schauen sich um und rätseln, woher sie diesen Typen wohl kennen. Und wer sich traut, ihn anzusprechen, bekommt in typisch deutsch-amerikanischem Slang zur Antwort: „My name is Sam Clemens.“ Verständnislose Blicke. „Sagen Sie auch Mark Twain.“

Na klar, Mark Twain. Aber ist der nicht schon lange tot? Stimmt. Genau genommen schon 114 Jahre. Also ein Schauspieler? Oder ein Hochstapler? Weder noch. Hinter der Maskerade steckt Klaus Mombrei, 68 Jahre alt und Stadtführer: „Irgendwann sagte mir jemand, dass ich Mark Twain ähnlich sehe – so entstand die Idee, in seine Rolle zu schlüpfen.“ Zumal es in Heidelberg kaum einen Rundgang gibt, bei dem nicht irgendwo oder irgendwie auf den amerikanischen Schriftsteller hingewiesen wird. Denn der hatte sich anno 1878 drei Monate lang hier aufgehalten. Folgen wir seinen Spuren – an der Seite von Twains Alter Ego.

Heidelberg. Wiege der deutschen Romantik und weltoffene Universitätsstadt – die Gegensätze könnten kaum größer sein. Eine Steilvorlage für bissige Humoristen wie Mark Twain. Aber der Schriftsteller verliert kaum ein böses Wort über Heidelberg, im Gegenteil. „Man glaubt, Heidelberg – mit seiner Umgebung – bei Tage sei das Höchstmögliche an Schönheit; aber wenn man Heidelberg bei Nacht sieht, … dann braucht man Zeit, um sich das Urteil noch einmal zu überlegen.“ Klingt eher wie eine Liebeserklärung, oder?

27 Staustufen entlang des Neckars

Mark Twain wohnte mit seiner Frau, den beiden Töchtern und dem Kindermädchen im Schlosshotel hoch über der Stadt. „Das wurde vor ein paar Jahren abgerissen, heute steht dort eine moderne Appartementanlage“, sagt Klaus Mombrei und zeigt zu dem Klotz oberhalb der Schlossruine. Andere Orte, die Mark Twain beschreibt, kann man heute noch besichtigen: die kolossale Schlossruine, den vollgekritzelten Studentenkarzer, das Restaurant „Zum roten Ochsen“.

Ursprünglich wollte der Schriftsteller zu Fuß das Neckartal hinaufwandern. Doch im letzten Moment änderte er seinen Plan, fuhr mit Zug und Fuhrwerk bis Heilbronn und heuerte für die Rückfahrt ein Floß an. So jedenfalls berichtet er es in seinem Buch „Bummel durch Europa“ (im Original „A Tramp Abroad“), das 1880 erschien. „Mark Twain brauchte dringend Geld, das Buch sollte ein Bestseller werden“, sagt Klaus Mombrei.

Wir steigen mit dem Gästeführer aufs Ausflugsschiff. Es kommt nicht weit, noch in Heidelberg muss es in die erste Schleuse. Es ist eine von insgesamt 27 Staustufen entlang des Neckars, die ab den 1920er-Jahren errichtet wurden – zu spät für Mark Twain. Dafür war er Augenzeuge eines anderen revolutionären Ereignisses: Er sah den ersten Kettenschlepper. Die sogenannten Neckaresel lösten ab 1878 die Treidelkähne als Transportmittel ab. „Diese Dampfschiffe zogen sich an einer Kette, die auf dem Grund verlegt war, flussaufwärts und hatten bis zu acht Kähne im Schlepptau“, erläutert Mombrei.

"Wir haben uns schwer geirrt"

Nur wenig später machte die Neckartaleisenbahn auch der Holzflößerei den Garaus. Mark Twain beobachtete die italienischen Gastarbeiter beim Bau der Tunnel und musste danach sein Urteil über die Südeuropäer revidieren: „In unserem Land hegen wir die Vorstellung, daß die Italiener überhaupt niemals schwere Arbeit verrichten, sondern sich auf leichtere Künste beschränken wie Leierkastendrehen, Operngesang und Mord. Wir haben uns schwer geirrt, das steht fest.“

Von der Quelle im Schwarzwald bis zur Mündung in den Rhein in Mannheim legt der Neckar 362 Kilometer zurück. Der vielleicht schönste Abschnitt ist der zwischen Heilbronn und Heidelberg – eben jener, den Mark Twain bereiste. In zahllosen Kurven schlängelt sich der Fluss durch den Odenwald und ist an vielen Stellen „so schmal, daß man einen Hund hinüberwerfen kann, wenn man einen hat.“ (O-Ton Mark Twain). Der Schriftsteller hätte noch ganz andere erstaunliche Sachen über den Neckar berichten können. Dass der Name aus dem Keltischen kommt und so viel wie „giftig“ oder „reißend“ bedeutet. Dass der Fluss sich immer wieder neue Wege sucht und vor langer Zeit sogar streckenweise in die entgegengesetzte Richtung floss. Und dass man in seinem Flussbett wandern kann, ohne nasse Füße zu bekommen. Wirklich!

Märchenwald: Entlang des Pfades der Flussgeschichte präsentiert sich der Odenwald wie verzaubert.
Märchenwald: Entlang des Pfades der Flussgeschichte präsentiert sich der Odenwald wie verzaubert. © Steffen Klameth

Wer’s nicht glaubt, sollte in Eberbach an Land gehen und ein Stück dem Pfad der Flussgeschichte folgen, rät Wanderführer Bernd Strey. Der Pfad ist mit Schautafeln bestückt und Teil des Neckarsteiges, einem Weitwanderweg mit insgesamt neun Etappen. „Hier hat man alles, was der Naturpark Neckartal-Odenwald zu bieten hat.“ Dichte Wälder und Streuobstwiesen, Trockenmauern und moosbewachsene Felsbrocken, steile Berghänge und schöne Ausblicke wie der von der Teufelskanzel. Der Clou ist jedoch ein Abschnitt, der etwa 200 Meter hoch über dem Neckartal verläuft. Eigentlich unspektakulär, aber: „Hier befand sich vor 500.000 Jahren der Flussboden“, sagt Strey, der Geologie studiert hat. Das habe man anhand von Schotterfunden beweisen können.

Eine Burg wie aus dem Bilderbuch

Zurück zu Mark Twain. Ihm hatten es vor allem die beschaulichen Städtchen und mittelalterlichen Burgen angetan; davon gibt es am Neckar noch heute eine Menge. Zum Beispiel Dilsberg oberhalb von Neckarsteinach. „Höchst wunderlich und malerisch gelegen“, wie der Gast aus Amerika festhielt. Wunderlich fand er, dass die Einwohner seit Jahrhunderten am liebsten unter sich blieben und alle miteinander blutsverwandt seien, was Dilsberg den Ruf einer „Idiotenfabrik“ eingebracht habe. Erstaunt verfolgte er aber auch das Experiment einiger Kinder, die ein brennendes Strohbündel in den Burgbrunnen warfen und damit versichern wollten, dass es tief unten einen unterirdischen Ausgang geben musste. Nun, knapp 50 Jahre später wurde tatsächlich ein 30 Meter langer Stollen freigelegt. Man kann ihn heute im Rahmen einer Burgführung besichtigen.

Und dann wäre da noch die Burg Hornberg bei Neckarzimmern. Eine Burg wie aus dem Bilderbuch, mit vier Wehrmauern und sieben Toren, mit Bergfried und Türmen und einem Wohnpalast – manches Ruine, anderes noch erhalten oder restauriert. Die Burg gehörte einst keinem Geringeren als Götz von Berlichingen, dem Ritter mit der eisernen Hand und Vorbild für Goethes berühmtes Drama.

Der vielzitierte Spruch vom „am Arsche lecken“ nebst Götz‘ Konterfei empfängt die Besucher gleich am Eingang, im Museum ist auch die originale Rüstung ausgestellt. „Götz hatte die Burg 1517 für 6.500 Gulden gekauft und lebte hier bis zu seinem Tode 1562“, erzählt Baron Dajo von Gemmingen-Hornberg. Seine Vorfahren erwarben die Burg Anfang des 17. Jahrhunderts, seitdem ist sie im Besitz der Familie.

"Vom Essig unterscheidet man ihn durchs Etikett"

Wenn er Zeit hat, führt der Baron die Besucher höchstpersönlich durch die alten Gemäuer und begleitet gern auch eine Weinprobe. Die Weinterrassen, die von der Burg bis hinab zum Neckar reichen, hatten schon Mark Twain beeindruckt. Nur über den Wein selbst verlor er kein gutes Wort: „Vom Essig unterscheidet man ihn durchs Etikett.“ Das kann man heute nun wirklich nicht behaupten, und dies ist auch nicht der Grund, weshalb in diesem Jahr womöglich die letzten Trauben hier geerntet werden. „Der Pächter gibt auf, und niemand will sich mehr mit den Steillagen abgeben“, sagt Baron Dajo. Zu mühsam, zu teuer.

Unsere Reise endet in Neckersteinach. Wir leihen uns Kanus, paddeln auf dem Neckar und fühlen uns ein bisschen wie Mark Twain. Selbst wenn es stimmen sollte, was uns Klaus Mombrei alias Mark Twain beim Abschied verrät: „Die Floßfahrt hat Mark Twain höchstwahrscheinlich nur erfunden.“

©  SZ-Grafik/Gernot Grunwald

Alles im Fluss

  • Mit dem Auto von Dresden rund 530 Kilometer, mit dem Zug etwa 5,5 Stunden.
  • Heidelberg: Führungen mit Klaus Mombrei können Besucher per Mail anfragen unter [email protected]
  • Burgfeste Dilsberg: von April bis Ende Oktober Di-So 10-17 Uhr geöffnet, sonst nach Voranmeldung; Eintritt 2 Euro, mit Führung 5 Euro.
  • Burg Hornberg: von April bis Oktober täglich 10-18 Uhr geöffnet, im März/November/Dezember 11-16 Uhr; Eintritt 7 Euro, mit Führung 11 Euro; Weinproben 18 Euro. Auf der Burg gibt es auch ein Restaurant und ein Hotel.
  • Paddeln: Ausleihe z. B. bei 100% Kanu+Bike ab 13 Euro p. P. (Canadier/2,5 Std.) beziehungsweise 20 Euro (SUP/2 Std.).
  • Die Reise wurde unterstützt von der Tourismus Marketing GmbH Baden-Württemberg.