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Lucas aus Radebeul ist trans: "Ich hatte das Gefühl, aus der Haut fahren zu wollen"

Lucas aus Radebeul wurde bei der Geburt als Mädchen eingeordnet, identifiziert sich aber schon lange als Junge. Zur Queer Pride geht er mit anderen auf die Straßen seiner Heimat. Dabei schwingt auch Angst mit.

Von Lucy Krille
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Lucas wurde bei der Geburt das weibliche Geschlecht zugeordnet, er fühlt sich aber schon seit Jahren als Junge. Sein Umfeld in Radebeul hat das relativ gut aufgenommen, das ist aber nicht immer so. Deshalb gehen er und andere am Sonntag auf die Straße.
Lucas wurde bei der Geburt das weibliche Geschlecht zugeordnet, er fühlt sich aber schon seit Jahren als Junge. Sein Umfeld in Radebeul hat das relativ gut aufgenommen, das ist aber nicht immer so. Deshalb gehen er und andere am Sonntag auf die Straße. © Arvid Müller

Radebeul. Als Lucas' Mutter in der Wäsche mehrere Boxershorts fand, schoss ihm das Blut in den Kopf, daran erinnert er sich noch ziemlich genau. Die Boxershorts hatte er beim Shoppen mit Freunden geholt. Zu dem Zeitpunkt war Lucas noch ein Mädchen, ganz offiziell. Kurze Zeit später, im Sommer oder Herbst 2019, folgte das Coming-out. Lucas hieß damals noch anders, und auch heute steht der Name noch in offiziellen Dokumenten. Das soll sich bald ändern und Lucas will den Namen deshalb auch nicht mehr erwähnen.

Er hatte Angst vor den Reaktionen seiner Eltern und Großeltern, als er ihnen eröffnete, dass er nur im Körper eines Mädchens geboren wurde, sich aber als Junge identifiziert. "Es ist dann aber ganz gut gelaufen", sagt Lucas, der heute 19 Jahre alt ist. Zwar haben vor allem die Großeltern eine Weile gebraucht, um zu verstehen und akzeptieren, was ihr Enkel ihnen da erzählt hat. Doch er erfuhr auch Unterstützung, zuallererst von seiner großen Schwester.

Auch bei seiner Geschlechtsanpassung habe er viel Glück gehabt, sagt Lucas. Schon nach einem Monat habe er einen Termin bei einer Therapeutin bekommen, andere warten bis zu einem Jahr darauf. Die Psychotherapie war notwendig, bevor er Hormone bekam. So soll sichergestellt werden, dass der Wunsch nach einer Anpassung konsistent ist. Lucas brauchte außerdem Schreiben von zwei unabhängigen Psychiatern. Das Testosteron holt er sich nun alle drei Monate beim Hausarzt über eine Spritze. Sein neuer Name soll bald im Register eingetragen werden, außerdem will der Radebeuler sich Brustgewebe entfernen lassen.

Positive Reaktionen am Luisenstift in Radebeul

Am schlimmsten war das Outing vor seiner Klasse. Lucas musste das ganz offiziell machen, als Grundlage für einen sogenannten Alltagstest. Dieser war neben einem ausführlichen Lebenslauf und Motivationsschreiben ebenfalls Voraussetzung. "Es war am Ende einer Deutschstunde", erinnert Lucas sich noch ganz genau an den Moment vor fast vier Jahren. "Ich hatte richtig viel Angst", sagt er. "Kurz danach ging es in den Corona-Lockdown."

Am Gymnasium Luisenstift war es nicht das erste Coming-out in der Schülerschaft. Einige in seinem Umfeld ahnten schon, dass Lucas lieber Lucas sein wollte. Das Klima im Jahrgang blieb relativ entspannt. Ein Vertrauenslehrer setzte sich für eine diverse Toilette ein, und ins Klassenbuch schrieben Lehrer und Lehrerinnen schon "Lucas", obwohl auf offiziellen Dokumenten wie seinem Abiturzeugnis noch der alte Name steht.

Lucas weiß aus der queeren Community, dass die Reaktionen nicht überall so positiv sind, wie es bei ihm der Fall war. Viele werden angefeindet, teilweise auch körperlich angegriffen. Auch bei der Queer Pride vor einem Jahr in Radebeul habe es Gewalt gegen Teilnehmende gegeben, eine Person habe auch den Hitlergruß gezeigt. Lucas hatte selbst an der Queer Pride teilgenommen, und wird sie auch dieses Wochenende wieder mit organisieren.

Abwägen zwischen Sichtbarkeit und Sicherheit

"Man merkt ja, wie nötig das ist", sagt er, auch wenn sich in den vergangenen Jahren schon einiges getan habe - politisch und in der Wahrnehmung über queeres Leben. Er selbst hatte mit sechs oder sieben Jahren bemerkt, dass er sich komisch in seinem Körper fühlt. "Ich konnte es aber lange nicht beschreiben. Es war so ein Gefühl, aus der Haut fahren zu wollen", sagt Lucas. Gern hätte er schon früher Begriffe dafür gehabt.

Mit Aktionen wie der Queer Pride will er somit Transgender wie ihn, aber auch Lesben, Schwule, Bisexuelle und andere Geschlechtsidentitäten sichtbarer machen. Dabei muss er immer abwägen zwischen Sichtbarkeit und Sicherheit. Innerhalb der Community gibt es unterschiedliche Auffassungen, wie radikal die Personen für ihre Rechte kämpfen sollten. Lucas vertritt eine eher gemäßigte Haltung.

Doch auch er wünscht sich ein härteres Vorgehen der Politik gegen Anfeindungen und mehr Aufklärungsarbeit. "Ich bin froh, dass das Transsexuellengesetz weg ist." Das Gesetz wird ab November vom Selbstbestimmungsgesetz abgelöst, das eine vereinfachte Änderung des Geschlechtseintrages verspricht.

Viele wollen weg, Lucas bleibt in Radebeul

Ängste vor Pöbeleien schwingen immer mit, gerade in einer Kleinstadt wie Radebeul. Lucas weiß, dass viele Menschen hier und im ländlichen Raum mit Regenbogenflaggen und Begriffen wie LGBTQ nichts anfangen können. Manche seiner queeren Freunde wollen weg aus der Stadt, weg aus Ostdeutschland. Lucas nicht, zumindest vorerst. "Radebeul ist meine Heimat", erklärt der 19-Jährige, der ab September einen Bundesfreiwilligendienst im Krankenhaus beginnen wird.

Für den Sonntag haben er und etwa 20 andere Mitstreiter der Queer Pride Radebeul wieder einen Umzug ab 13.30 Uhr durch die Stadt geplant. Im vergangenen Jahr nahmen etwa 200 Menschen teil, mit mindestens genauso vielen rechnet man in diesem Jahr. Am Start- und Endpunkt am Bahnhof Radebeul-Ost wird es Redebeiträge geben. Lucas freut sich besonders über die Unterstützung der Landesbühnen. Auch Queer Prides aus anderen Städten haben sich angekündigt. Durch das Engagement sind Freundschaften entstanden, die ihm zeigen: "Ich bin hier nicht allein."

Die Queer Pride Radebeul beginnt am Sonntag, 11. August, um 13:30 Uhr am Bahnhof Radebeul-Ost.