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Radebeul: Vom Millionär zum Obdachlosen - wo Menschen in Not Hilfe bekommen

Wer in Radebeul seine Wohnung verliert, muss nicht unter der Brücke schlafen. Eine Beratungsstelle hilft bei Lebenskrisen sowie Fragen zu Schwerbehinderung und Pflege.

Von Silvio Kuhnert
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Diana Fleischer (l.) und Silke Haferkorn arbeiten in der Beratungsstelle für Menschen in besonderen Lebenslagen und ältere Menschen. Sie helfen und beraten jeden Radebeuler, der zu ihnen ins Sozialrathaus in die Hauptstraße 4 kommt.
Diana Fleischer (l.) und Silke Haferkorn arbeiten in der Beratungsstelle für Menschen in besonderen Lebenslagen und ältere Menschen. Sie helfen und beraten jeden Radebeuler, der zu ihnen ins Sozialrathaus in die Hauptstraße 4 kommt. © Arvid Müller

Radebeul. Auch ein Lottogewinn in Millionenhöhe ist irgendwann einmal aufgebraucht, wenn man keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgeht, beim Geldausgeben aus den Vollen greift sowie Verwandte und Bekannte finanziell bedenkt. Diese Erfahrung musste eine Radebeulerin machen. Am Ende ihrer Zeit als Lottomillionärin stand sie ohne Obdach da.

Seit rund 30 Jahren bietet das Radebeuler Sozialrathaus eine Beratungsstelle für Menschen in besonderen Lebenslagen und ältere Menschen an. Nachdem diese unterschiedlichen Organisationsformen, wie zum Beispiel als Verein, durchlebt hat, ist sie seit einiger Zeit fest im Verwaltungsstandort Hauptstraße 4 in Radebeul anzutreffen. Dort stehen Diana Fleischer und Silke Haferkorn mit Rat und Tat bereit, um zu helfen. Erstgenannte kümmert sich Schwerpunktmäßig um Obdachlose, von Räumungsklagen Bedrohte und Menschen in Lebenskrisen; ihre Kollegin berät und unterstützt Senioren und Menschen mit Behinderung, beispielsweise bei Anträgen zu Schwerbehinderung oder einer Pflegestufe.

Obdachlose Ex-Millionäre sind die Ausnahme

Wie ihr Chef, Sozialamtsleiter Elmar Günther, berichtet, sind während seiner Dienstzeit drei ehemalige Millionäre in Radebeul obdachlos geworden. Neben der Lottogewinnerin war ein Ehepaar darunter. Dieses hatte sich mit seinem Haus übernommen. Der Kauf sei schon nicht billig gewesen und Sanierung und Umbau haben mehr Geld verschlungen, als gedacht und geplant. Es kam zur Zwangsversteigerung und der erzielte Erlös reichte nicht aus, um alle Schulden und offene Rechnungen zu begleichen. "Wir schauen wertfrei, was wir für unsere Klienten machen können", sagt Günther und sein Team. An ihre Türen kann jeder aus Radebeul klopfen, egal, ob er mal viel Geld besaß oder dessen Kleidung verschlissen ist und etwas müffelt. Auch wer Mietschulden hat, muss keine Scheu haben.

Obdachlose Ex-Millionäre sind die Ausnahme. Räumungsklagen wegen Mietrückständen begegnen Diana Fleischer dagegen regelmäßig. Im Schnitt zwei Fälle pro Monat landen auf ihrem Tisch. Wenn eine Räumungsklage beim Amtsgericht eingeht, wird sie informiert. Dann setzt sie sich mit den Betroffenen in Verbindung. Auch mit dem Vermieter sucht sie das Gespräch. "Ziel ist, eine Obdachlosigkeit zu verhindern", sagt Fleischer. Wenn die Mietrückstände nicht mehr als zwei Monate betragen, besteht beispielsweise die Möglichkeit, über eine Spende, wie der Stiftung Lichtblick, diese zu begleichen. "Oder wir vereinbaren mit dem Vermieter eine Ratenzahlung", berichtet Fleischer. Fünf Monate bleiben Zeit, um zwischen der Information des Amtsgerichts und dem Räumungstermin eine Lösung zu finden.

Zwei Wohnungen für Obdachlose stehen zur Verfügung

Reichlich 30 solcher Klagen gibt es in Radebeul pro Jahr. In einem Fall hatte ein Einwohner vergessen, seine Rente zu beantragen. Aber auch die gestiegenen Ausgaben für Energie und durch die Inflation belasten das Budget von Menschen mit geringem Einkommen oder kleiner Rente. Für Sozialleistungen ist eigentlich das Landratsamt in Meißen zuständig. Wer hier eine Beratung benötigt, muss nicht erst in die Porzellanstadt fahren.

Auch die beiden Büros von Diana Fleischer und Silke Haferkorn dienen als Anlaufstelle. Beide Frauen können auf ein großes Netzwerk zurückgreifen und einen Hilfebedarf mit Jobcenter, Kreisjugend und -sozialamt oder anderen Ämtern und Behörden klären. Für jeden einzelnen Fall erstellen sie einen individuellen Hilfeplan. So geriet beispielsweise einmal ein Unternehmer in Mietrückstände, weil er seine Rechnungen nicht mehr bezahlen konnte. Er saß auf Außenständen von rund 300.000 Euro - Geld für Leistungen, die er erbracht hat, aber Kunden keinen Cent überwiesen haben.

Sollten die Bemühungen der Beratungsstelle bei der Vermeidung einer Wohnungsräumung nicht von Erfolg gekrönt sein, muss in Radebeul niemand unter der Brücke schlafen. Für die Unterbringung von Obdachlosen stehen zwei Wohnungen zur Verfügung. In einer gibt es vier Betten, in der anderen fünf. Die Anzahl der sogenannten Einweisungen ist gestiegen, weshalb 2022 eine zweite Wohnung angemietet wurde. Die Menschen können dort in der Regel bleiben, bis sie wieder eigenen Wohnraum gefunden haben. Im Gegensatz zu Obdachloseneinrichtungen manch anderer Städte müssen sie die Wohnung tagsüber nicht verlassen, sondern können dort bleiben. Die Beratungsstelle hilft und unterstützt sie dabei mit ihrem Netzwerk, aus dieser Lebenskrise wieder herauszukommen.

Bereits 465 Beratungsgespräche in diesem Jahr

Pro Woche suchen im Schnitt 30 Radebeuler die Beratungsstelle auf. 465 Beratungsgespräche haben Diana Fleischer und Silke Haferkorn in diesem Jahr schon getätigt. Hinzu kommen Hausbesuche, 23 waren es seit 1. Januar 2023. Nicht nur, wenn Hilfesuchende zu ihnen ins Büro kommen, werden sie tätig. Sie gehen auch Hinweisen aus der Bevölkerung nach, wenn Radebeuler einen Nachbarn schon lange nicht gesehen haben oder dieser auf sie vernachlässigt wirkt oder dessen Wohnung. Dann suchen sie diese Personen persönlich auf.

Rund 40 Prozent der Fälle, die die Beratungsstelle in diesem Jahr bearbeitet hat, umfassen die Themen Soziales und Wohnungslosigkeit, 60 Prozent Schwerbehinderung und Pflege. Radebeul zählt gegenwärtig 34.309 Einwohner. "Zehn Prozent von ihnen gelten als Schwerbehindert", berichtet Haferkorn. Sie hilft ihnen etwa beim Beantragen von Leistungen. Auch bei Senioren besteht oft der Bedarf nach einer Hilfe, sei es für den Alltag oder durch Pflege. Zu diesen Fragen ist die Beratungsstelle ebenfalls da, vermittelt beispielsweise den Kontakt zu entsprechenden Dienstleistern oder unterstützt bei der Suche nach altersgerechtem Wohnraum.